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Wagnerianer: Passionierte Verehrer oder unbeugsame Kritiker?

Bayreuth
Bayreuther Festspiele

Wagnerianer sind alle meschugge, um ein in diesem Kontext eher ungewöhnliches jüdisches Wort zu bemühen. Zwar gibt es auch Brahms- und Meyerbeer-Verbände, Hugo-Wolf- und Beethoven-Gesellschaften, aber deren Mitglieder sind alle nicht so hartnäckig, laut und verhaltensauffällig. Aber eben auch nicht so passioniert, leidensfähig und unverbrüchlich im Glauben.

Wagnerianer, so nennt man nicht nur die Mitglieder der seit 1871, also fünf Jahre vor den ersten Festspielen sich gründenden Wagner-Verbände, sondern auch die mindestens mittelleicht fanatisierten Fans seiner Musik – was meist deckungsgleich ist. Sie haben ein Pilgerziel mit einem Tempel ihrer Religion: das von Richard dem Großen selbst architektonisch wie akustisch designte Festspielhaus auf dem sogenannten Grünen Hügel.

Der liegt weithin sichtbar über dem idyllischen, bisweilen auch klein karierten Oberfrankenstädtchen Bayreuth – auf der anderen Seite ist übrigens die örtliche Nervenklinik zu finden …

Kultureller Vorreiter

Man ist hier weg aus der Stadt, auf dem Land, der vollen Konzentration auf den Meister und sein Werk ergeben. So entstand nicht nur das erste Kulturfestival weltweit, das Bayreuth machte Schule: Die meisten Festspielorte sind heute eher jenseits der Metropolen zu finden.

Doch nirgendwo ist man so apodiktisch auf einen Komponisten und nur zehn seiner Werke konzentriert wie im nur fünf Wochen im Juli/August international erblühenden Bayreuth. Und nirgendwo regieren – erst in der dritten Generation nach ihm, dem 1883 Verstorbenen – bis heute seine Erben und Nachkommen. Die Wagners – streitbar und stolz, Deutschlands nicht mehr vorhandene Royals; wären sie nicht mehrheitlich so erfrischend bodenständig.

Die Wagnerianer engagieren sich, so weit organisiert, zum einen finanziell für das Werk ihres Idols. Zum anderen verbreiten sie seine Botschaft an ihren Heimatorten, sie laden ein zu Wagnerkonzerten, ja sogar zu selbst gestemmten, durchaus respektablen Opernaufführungen.

Erbarmungslose Kritik

Der größte Wagnerverband in Würzburg, lange geführt von der legendären Autohausbesitzerin Margot Müller, ermöglichte etwa der heutigen Hügelchefin, Urenkelin Katharina Wagner, 2002 ihr Regiedebüt am lokalen Stadttheater. Doch ein heiliger Name ist nicht gegen die Kritik der Wagnerianer gefeit.

 

Das ist das Schizophrene der Wagnerianer: Sie tun alles für ihren Helden, aber beschmutzt jemand vorgeblich sein Erbe, da sind sie unerbittlich

 

Ihr »Fliegender Holländer« wurde brutalst möglich ausgebuht. Da konnte sich die Festspielleiterin in spe bereits für ihre 2008 erfolgte Übernahme für Kommendes wappnen und abhärten.

Das ist das Schizophrene der Wagnerianer: Sie tun alles für ihren Helden, aber beschmutzt jemand vorgeblich sein Erbe, da sind sie unerbittlich, rücken mit Trillerpfeifen und Buh-Chören an. Was aber auch kippen kann, später sentimental verklärt wird.

Von Widerstand zu Wertschätzung

Anfang der Siebziger wurde der DDR-Regisseur Götz Friedrich für seinen sozialkritischen »Tannhäuser« von der Bühne geschrien, 1976 ebenso der junge Franzose Patrice Chéreau, der es gewagt hatte, den sakrosankten »Ring« kapitalismuskritisch zu lesen.

Vier Jahre später war diese Inszenierung Kult, wurde mit einer Stunde Applaus verabschiedet. Heute ist sie eine längst verklärte Legende, an der alle Nachfolger sich messen müssen.

Emotionale Ambivalenz

Wagnerianer lieben und hassen gleichermaßen. Und sie tun es bei vollstem Bewusstsein. Sie leiden an dem bis heute provinziellen, schlecht erreichbaren Festspielflecken mit seinem überschaubaren Hotel- wie Gastroangebot. An den Inszenierungen, die wie nirgendwo sonst umkämpft sind, die aber selbstredend wieder besucht werden. An den mittelganglosen, fast ungepolstertern Endlossitzreihen mit ihren Bandscheibenschäden fördernden Lehnen. An der Länge der Opern mit ihren einstündigen, von jeweils passenden Posaunenfanfaren beendeten Pausen. An der Hitze im unklimatisierten Festspielhaus, nur gelindert durch verschämtes Smokingjackenablegen, setzt die vom Meister verfügte Verdunkelung endlich ein.

Großzügige Förderung

Die Wagnerverbände spenden für neue Festspielproduktionen, Renovierungsmaßnahmen und Künstlerstipendien. Eine Stufe höher thront die Gesellschaft der Freunde von Bayreuth (GdF), gegründet 1949, die inzwischen auch bei den Gesellschafterversammlungen am Tisch sitzen und mit stimmen darf. Weil sie sich finanziell einbrachte.

 

Auf immer und ewig.

 

Das ist aber jetzt wohl bald vorbei, denn als saftig beitragspflichtiges Instrumentarium, um an diese einst begehrten Karten heranzukommen, hat man ausgespielt. Durch flexiblere Onlinekassensteuerung, geändertes Besuchsverhalten und nicht zuletzt die inzwischen sehr teuren, von den Geldgebern Bund, Land Bayern, Stadt Bayreuth und eben GdF so gewollten Tickets sind diese leichter als früher zu bekommen.

So hat man weniger Mitglieder, vulgo: weniger Geld für den Festspieletat. Für zusätzliche Erosion sorgte zudem 2010 eine modernere, jüngere Gegengründung, das Taff – Team der aktiven Festspielförderer.

Wagnerfieber weltweit

Nirgendwo freilich kann man so viel über Genie und Wahnsinn Wagners wie über die Verfasstheit seiner Anhänger im Guten wie Grotesken lernen wie bei den alljährlichen Wagnerkongressen des Weltwagnerverbands. Der umfasst etwa 130 Verbände mit 20.000 Mitgliedern, davon 44 deutsche Verbände. Gemeinsam hat man beispielsweise dafür gesorgt, dass Wolfgang Wagner 2000 der hawaiianischen Erstaufführung von »Tristan und Isolde« beiwohnen konnte.

Ihre Zusammenkünfte finden immer an schönen, oft wagnerwichtigen Orten statt. 2019 versammelte man sich etwa in Venedig, am Sterbeort im Palazzo Vendramin.

Dort, wo heute im Winter das Casino seinen Sitz hat, wo freilich ebenfalls ein kleines Museum vom örtlichen Wagnerverband den Rouletteherrschaften abgetrotzt wurde, aber auch im Teatro La Fenice oder in anderen historischen Lokalitäten lässt sich bei Musik wie kulinarischen Genüssen im Wagnerfieber schwelgen – wie sonst nur in Bayreuth, wenn der eigens für dieses Haus komponierte »Parsifal« als klingende Ersatzreligion genossen werden kann.

Auf immer und ewig.


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Erschienen in
Falstaff Spezial Bayreuth & Franken

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Manuel Brug
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