Foto bereitgestellt

Alexander Herrmann und Tobias Bätz: Das »AH« Team

Die Zwei-Sterne-Köche Alexander Herrmann und Tobias Bätz haben vor den Toren Bayreuths einen kulinarischen Leuchtturm geschaffen, an dem sich die gesamte Branche orientiert. Ihr Erfolgsgeheimnis: eine bedingungslose Liebe zur Heimat.

Alexander Herrmann gibt gern weitschweifige Antworten auf simple Fragen, wie zum Beispiel, was es mit der Wandfarbe in seinem Gourmetrestaurant auf sich hat. Das ist erstaunlich, weil viel beschäftigte Leute wie er in der Regel ziemlich kurz angebunden sind. Gleichzeitig ist es kein Wunder. Schließlich ist Herrmann ein absoluter Medienprofi. Aus diesem Grund versieht der 53-jährige Spitzenkoch jede seiner Antworten mit einer ausgeklügelten Spannungskurve, ähnlich einem Shakespeare-Stück, weshalb man sich seinen Anekdoten auch nicht entziehen kann. Die mit der Wandfarbe geht so: »Die Architektin wollte Grün. Das ging für mich aber gar nicht, weil Grün mich an Tine Wittler erinnert, die in ›Einsatz in 4 Wänden‹ immer alles grün gestrichen hat.« Blau wäre zu viel gewesen, sagt er. »Weil unsere Arbeitsbekleidung schon blau ist.« Es klingt nach einem unlösbaren Dilemma.

 

Fuck normal. I want Magic.

 

Eines Tages, fährt Herrmann fort, sei er in München an einem Schaufenster vorbeigekommen und habe dort im Augenwinkel das Angebot »Drei T-Shirts zum Preis von zwei« entdeckt. Angelockt von diesem Schnäppchen habe er den Laden betreten und erst in diesem Moment bemerkt, dass er sich wider Erwarten in einem Damenunterwäschegeschäft befand. Natürlich wäre es keine Herrmann-Geschichte, hätte diese peinliche Verwechslung keine positive Wendung. Beim Anblick eines Damenschlüpfers kam ihm die Erleuchtung: »Altrosa, das ist die gesuchte Wandfarbe.«

Der provokante Schriftzug ist ein Kunstwerk von Mateusz von Motz. Herrmann hat es selbst ausgesucht, nachdem er auf Instagram auf den Künstler aufmerksam wurde.
© Nils Hasenau
Der provokante Schriftzug ist ein Kunstwerk von Mateusz von Motz. Herrmann hat es selbst ausgesucht, nachdem er auf Instagram auf den Künstler aufmerksam wurde.

Heute hängt besagter Schlüpfer in seinem Zwei-Sterne-Restaurant wie ein wertvolles Kunstwerk hinter Plexiglas – und das ist längst nicht das einzige Kuriosum im Wirsberger »Posthotel«, dem Stammsitz der Familie Herrmann.

Wer das Gourmetrestaurant im Erdgeschoss betritt, blickt auf einen Wandspiegel, über dessen gesamte Fläche der Schriftzug: »Fuck normal. I want Magic.« prangt. Eine Parole, die hier auf dem Land mindestens für Naserümpfen sorgen dürfte, aber nicht grundlos die fränkische Idylle und das brave Image des TV-Kochs konterkariert. Sie markiert eine neue Zeitrechnung.

Nach Vorne Arbeiten

»Während andere in der Pandemie in ein tiefes Loch gefallen sind, weil von einem Tag auf den anderen alles dicht war, haben wir uns aufgerafft und nach vorne gearbeitet«, erzählt Küchendirektor Tobias Bätz. Der 41-Jährige hat das Sagen, wenn Herrmann nicht zugegen ist. Ein Umstand, der wegen der vielen TV-Auftritte seines Chefs mehr die Regel ist als die Ausnahme.

 

Was Bätz mit »nach vorne arbeiten« meint, darauf geben die grob geschätzt tausend Drahtbügelgläser und Fässer Eingelegtes eine Antwort, die neben- und übereinandergestapelt in einem schräg gegenüber der »Post« liegenden Lager und dem seit vergangenem Jahr in Betrieb befindlichen Fermentationslabor »Anima« auf ihre Weiterverarbeitung warten. In Wirsberg nennen sie diesen Ort auch ihr »Future Lab«, weil das dort Entwickelte die kulinarische Zukunft sei, wenn man ohne geschmackliche Verluste zu hundert Prozent nachhaltig, regional und saisonal kochen möchte.

Jörg Osswald ist die Triebfeder des Ganzen. Als Foodscout reist er durch ganz Franken auf der Suche nach den hochwertigsten regionalen Lebensmitteln, um sie im »Anima« weiterzuverarbeiten. Sie werden eingelegt, fermentiert, geräuchert, gepökelt oder was Osswald noch so einfällt. Erst dann finden sie ihren Weg in die Küche.

Ein kulinarischer Quantensprung

»Keines der Produkte, die im ›Anima‹ entwickelt werden, gibt es irgendwo zu kaufen«, erklärt Bätz stolz. »Und sie sind alle echt fränkisch.« Angefangen beim texanischen Longhorn-Rind aus dem 40 Kilometer entfernten Prebitz, das sich ausschließlich von heimischem Gras und Hafer ernährt, bis hin zur hundertprozentig regionalen Papaya aus einem nahe gelegenen Tropenhaus.

 

Die gemeinschaftliche Idee unseres Schaffens ist größer als mein Name.

 

Und weil das mehr als nur nette Geschichten sind, sondern in Herrmanns »Post« tatsächlich ein kulinarischer Quantensprung gelungen ist, trägt das Zwei-Sterne-Restaurant seit vergangenem Mai nicht mehr den Namen seines Inhabers, sondern heißt jetzt »Aura« wie das lateinische Wort für Ausstrahlung. »Dieser Schritt soll der Welt zeigen, dass die gemeinschaftliche Idee unseres Schaffens größer ist als mein Name«, sagt Herrmann.

Alex und sein Spießgeselle

Für sein 2003 eröffnetes Hotelrestaurant ist es bereits die zweite Wende. Die erste war sein Rückzug aus der Küche und die Stabübergabe an Bätz vor 15 Jahren, der seither die gemeinsame Vision umsetzt, während Herrmann selbst sein Restaurantimperium ausbaute, Bücher schrieb und zum TV-Dauerbrenner avancierte.

Dass diese Konstellation dem Restaurant 2019 den zweiten Michelin-Stern einbrachte, ist keine Selbstverständlichkeit – und doch nicht verwunderlich. Als 19-Jähriger stand Bätz schon einmal für Herrmann in der Küche – allerdings nicht länger als für ein kurzes Intermezzo. Nach nur einem Dreivierteljahr wurde er in den elterlichen Betrieb gerufen. 2009, schon auf dem Sprung nach New York, wollte Bätz sich ein neues Arbeitszeugnis von seinem kurzzeitigen Chef ausstellen lassen – das alte war in Mitleidenschaft geraten und Herrmann inzwischen ein Star. Auf wundersame Weise gelang es dem TV-Koch, Bätz vom Verbleib in der Heimat zu überzeugen.

Der gebürtige Kronacher absolvierte seine Kochausbildung wie Herrmann im Restaurant »Rottner« unter dem damaligen Küchenchef Franz Wittmann. Mit 19 Jahren gab Tobias Bätz sein erstes Intermezzo in Herrmanns »Post«. Es dauerte allerdings nur ein Dreivierteljahr, weil Bätz im elterlichen Betrieb verpflichtet wurde. 2009 holte ihn Herrmann erneut nach Wirsberg – als Küchenchef.
© Dominik Lenz
Der gebürtige Kronacher absolvierte seine Kochausbildung wie Herrmann im Restaurant »Rottner« unter dem damaligen Küchenchef Franz Wittmann. Mit 19 Jahren gab Tobias Bätz sein erstes Intermezzo in Herrmanns »Post«. Es dauerte allerdings nur ein Dreivierteljahr, weil Bätz im elterlichen Betrieb verpflichtet wurde. 2009 holte ihn Herrmann erneut nach Wirsberg – als Küchenchef.

Gleich beim ersten Wiedersehen einigten sich beide auf eine gemeinsame Marschroute. Sie wollen das Hauptproblem der Gastronomie überwinden: den rauen Ton und die fehlende Wertschätzung. »Das ist wichtiger als der Küchenstil, der resultiert nur aus dem Team«, erklärt Bätz auf das Credo der »Post« angesprochen. Woraufhin Herrmann wie bestellt eine passende Anekdote liefert: »Es gab mal eine Servicekraft, der vor den Gästen ein ›Fuck!‹ rausrutschte, weil ihr die Bezeichnung für den Hauptgang entfallen war.« Die Zeugen hätten sich daraufhin bei ihm beschwert, erzählt Herrmann. »Ich nahm die Vorwürfe natürlich ernst, aber insgeheim dachte ich: Toll, dass die ›Post‹ ein solch angenehmer Arbeitsplatz ist, dass meine Mitarbeiter sich wie zu Hause fühlen.«

Stark durch Beziehungen

Auch wenn Herrmann inzwischen der Einzige seiner Sippschaft ist, der im Hotel arbeitet, ist die »Post« noch immer ein Familienbetrieb durch und durch – aus dem einfachen Grund, dass jeder, der dort arbeitet, für Herrmann Familie ist – das war schon so, als er Kind war. Die Hausdame Monika, die noch von Herrmanns Uropa eingestellt worden war, brachte ihn in den Kindergarten, Kaltmamsell Gertrud bereitete ihm jeden Morgen seine Trinkschokolade zu, Küchenchef Jürgen brachte ihm geduldig das Kartenspielen bei und später die ersten Handgriffe am Herd.

»Diese Leute waren wie Tanten oder Onkel für mich – nie nur irgendwelche Leute, die im Hotel gearbeitet haben.« Und sie wurden es umso mehr, nachdem die »Posthotel«-Familie von einem tragischen Ereignis erschüttert wurde: Am 9. Juni 1980, zwei Tage nach Herrmanns 9. Geburtstag, erlitt ein Autofahrer am Steuer einen Herzinfarkt, verlor die Kontrolle über sein Fahrzeug und fuhr frontal in den Wagen von Herrmanns Eltern, was beide das Leben kostete. Eine brutale Zäsur. Herrmanns Fels in der Brandung waren fortan sein Onkel und die Tante, seine Großmutter Herta und die »Post«-Familie.

 

Keiner kommt an uns vorbei, wir haben drei!

 

Noch heute ist das Teamgefüge in dem Haus, wo sich Herrmanns Kinderzimmer zwischen normalen Gästezimmern befand, wo er im Hotelpool das Schwimmen lernte und seinen ersten Rausch mit Ansbach-Cola an der Hausbar hatte, enger als anderswo. Es fängt schon damit an, dass alle im Team, die Serviererinnen und Kellner, der Sommelier, selbst die Leute an der Rezeption, eine Kochjacke mit den Initialen »AH« tragen. Der Service hilft nachmittags beim Schnippeln, die Köche servieren am Abend mit. Ein Rad greift ins andere – wie bei einem Uhrwerk. Bevor die ersten Gäste im Restaurant eintreffen, motiviert das Team sich draußen im Hof mit dem Schlachtruf: »Keiner kommt an uns vorbei, wir haben drei!« Gemeint sind Sterne. Denn: Mentales wird Reales, davon ist Herrmann überzeugt.

Das AURA im Posthotel Alexander Herrmann samt kulinarischer Forschung im »Future Lab ANIMA« und eigenem Food-Scout-Team ist ein zukunftsweisendes Konzept, das ebenso gut schmeckt wie es klingt.
Marktplatz 11
95339 Wirsberg
Deutschland
Das legere oma & enkel Bistro vereint bewährte fränkische Klassiker mit moderner Pfiffigkeit – als fränkische Tapas, Menü oder feine Sonntags-Specials. Natürlich mit regionalen saisonalen Zutaten.
Marktplatz 11
95339 Wirsberg
Deutschland

NICHTS MEHR VERPASSEN!

Melden Sie sich jetzt für unseren Newsletter an.

Erschienen in
Falstaff Spezial Bayreuth & Franken

Zum Magazin

Sebastian Späth
Sebastian Späth
Chefredakteur Deutschland
Mehr zum Thema