Die skandinavischen Frucht-weine sind weit mehr als einfache Durstlöscher für heiße Sommerabende. Im Idealfall eröffnen sie eine völlig neue Geschmacksdimension.

Die skandinavischen Frucht-weine sind weit mehr als einfache Durstlöscher für heiße Sommerabende. Im Idealfall eröffnen sie eine völlig neue Geschmacksdimension.
© Natalia Mishina / Stocksy United

Goldene Tropfen: Warum die Fruchtweine Skandinaviens so boomen

Skandinavien
Wein
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Beeren

Frucht- und Beerenweine erleben in Skandinavien seit vielen Jahren einen Boom. Die Produzenten sind einfallsreich, die Produkte einzigartig und absolut lokal noch dazu.

Nicht nur auf dem Teller hat der hohe Norden in den letzten Jahrzehnten einen Qualitätssprung hingelegt. Inspiriert von der New Nordic Cuisine, die Anfang der 2000er-Jahre begann, die Gourmetwelt zu revolutionieren, entschieden sich mehrere Obstproduzenten, ihre Früchte und Beeren zu veredeln, statt sie zu günstigen Preisen zu verkaufen. 

Das beste Beispiel hierfür ist das Gut Frederiksdal, das auf der Insel Lolland im Süden Dänemarks Kirschwein produziert und heute eines der größten Weingüter des Landes ist. Der Eigentümer und Landwirt Harald Krabbe hatte ursprünglich erwogen, seine 25 Hektar mit der alten dänischen Kirschsorte Stevnsbær zu roden, da der Verkauf von Kirschen nicht mehr rentabel war. Ein Treffen mit dem passionierten Weinliebhaber und Journalisten Morten Brink Iwersen und dem Koch Jan Friis-Mikkelsen änderte Krabbes Meinung jedoch im letzten Moment. »Ich wusste nichts über Wein, als Morten und Jan mich davon überzeugten, Kirschwein zu produzieren. Ich war es gewohnt, Kirschsaft auf dem freien Markt zu verkaufen, wo der Käufer den Preis bestimmt, was nicht rentabel war. Daher war ich von der Idee begeistert, ein Produkt zu schaffen, das aus dem bestmöglichen Rohstoff hergestellt wird und unser einzigartiges Terroir widerspiegelt«, sagt Krabbe, dessen Anbaufläche mittlerweile 38 Hektar umfasst.

Heute sind die Kirschweine von Frederiksdal für viele Dänen das bevorzugte Getränk zum klassischen dänischen Weihnachtsdessert Risalamande, einem kalten Milchreis mit Vanille und warmer Kirschsauce. Mit ihren konzentrierten dunklen Früchten und der feinen Balance zwischen Säure und Süße sind Krabbes Weine, die aus neun verschiedenen Sorten hergestellt werden, aber auch ideale Begleiter zu Wild, Pfeffersteak, einem guten Stück Blauschimmelkäse oder dunkler ­Schokolade. 

Baltische Tradition

Während die neue Welle der nordischen Obst- und Beerenweine immer mehr Anerkennung findet, muss man wissen, dass das Baltikum, insbesondere Estland und Lettland, eine tief verwurzelte Tradition der Obst- und Beerenweinproduktion hat, die Jahrhunderte zurückreicht.

Diese Länder nutzen seit Langem lokale Früchte und Beeren wie Äpfel, Schwarze Johannisbeeren und Himbeeren, um eine Vielzahl von Weinen herzustellen. Diese Tradition wird von zeitgenössischen Erzeugern, die historische Methoden mit innovativen Techniken verbinden, wiederbelebt und modernisiert. So sind beispielsweise lettische und estnische Weinkellereien für ihre einzigartigen Fruchtweine bekannt, die sowohl traditionelle als auch moderne Gaumen ansprechen. Das historische Wissen des Baltikums um die Fruchtweinproduktion bietet eine reichhaltige Quelle an Inspiration, welche die aufstrebende Obstweinszene in Dänemark und Schweden ergänzt. 

Zu den bekanntesten Erzeugern des Baltikums gehören Jaanihanso und Tori Siidritalu im Westen beziehungsweise im Osten Estlands, die für ihre hervorragenden, handwerklich hergestellten Apfelweine berühmt sind, während Murimäe dank seiner spritzigen Johannisbeerweine in aller Munde ist.

Obwohl die Erzeugung von Traubenwein in Dänemark und Südschweden auf dem Vormarsch ist, stößt diese heute noch auf klimatische Hindernisse. Andere Früchte wie Äpfel, Birnen, aber auch Erdbeeren, Himbeeren, Johannisbeeren und die bereits erwähnten Kirschen sind deutlich besser an das nordische Klima angepasst. Die Beeren reifen in der Regel früher als die meisten Traubensorten aus, hinzu kommt, dass beispielsweise Apfelsorten im kalten nordischen Klima besonders gut gedeihen und dort während der vergleichsweise längeren Reifezeit eine hohe Geschmacksintensität entwickeln können. Ein Betrieb, bei dem dies besonders gut gelingt, ist das Weingut Cold Hand Winery bei Randers im Nordosten Dänemarks. Hier hat man sich nach und nach auf verschiedene Obst- und Beerenweine spezialisiert, das Aushängeschild sind aber die fantastischen Apfelweine, die zum Beispiel im legendären Kopenhagener »Geranium« auf der Weinkarte zu finden sind. 

Vom Eiswein inspiriert

Bei der Herstellung der Apfelweine lässt man sich vom Eiswein inspirieren: Die Äpfel werden gepresst und der Saft eingefroren. Anschließend taut der Saft im Freien bei Minusgraden auf, wobei die Kälte das Wasser im Saft bindet, während Zucker, Säure, Aroma und Farbe wie ein dicker Sirup abtropfen und nur die konzentrierte Essenz des Fruchtsafts übrig bleibt. Das Ergebnis ist eine wahre Apfelgeschmacksexplosion mit einem Hauch Karamell und wunderbarer Balance zwischen Süße und Säure.

»Viele, die sich an die Herstellung von Weinen aus dänischen Früchten und Beeren gewagt haben, wurden durch das 2004 verfasste Manifest der nordischen Küche und die vielen aufstrebenden nordischen Restaurants inspiriert«, sagt Jens Skovgaard, der Kopf hinter der Cold Hand Winery.

Was er in den letzten Jahren zunehmend beobachtet, ist, dass Obstwein in der Gastronomieszene eine immer wichtigere Rolle spielt:

Für mich war es etwas paradox, dass viele Restaurants ausschließlich einheimische Zutaten verwendeten und Weine aus Frankreich oder Italien servierten. Diesbezüglich hat sich etwas getan, und immer mehr Restaurants beginnen Getränkekarten zu kreieren, auf denen nur einheimische Gewächse zu finden sind. So wie etwa das mit einem Michelin-Stern dekorierte ›Domestic‹ in Aarhus, das inzwischen ein rein dänisches Getränkemenü anbietet.

Auch im benachbarten Schweden sind Apfelweine auf dem Vormarsch. Nicht zuletzt wegen Erzeugern wie Brännland an der schwedischen Ostküste, das sich ebenfalls auf Apfeleisweine spezialisiert hat, die unter anderem beim Nobelpreisdinner 2023 ausgeschenkt wurden.

Apropos Äpfel: Die stehen auch im Zentrum eines immer größer werdenden Angebots von skandinavischen Fruchtschaumweinen, die als Aperitif oder als Begleiter zu Fisch und Schalentieren sowie zu Süßspeisen dienen können. Die prickelnden Apfelgetränke werden unter anderem mittels klassischer Champagnermethode hergestellt. Ein Verfahren, das auch bei der Cold Hand Winery zum Einsatz kommt. Besonders die Andersen Winery, ebenfalls aus Dänemark, hat sich auf die Herstellung komplexer Prickler aus alten dänischen Apfelsorten und Beeren spezialisiert und sich damit in den letzten Jahren einen Namen gemacht. Nicht zuletzt, da Fruchtschaumweine inzwischen zum Trend geworden sind. »Die Restaurants haben unsere Schaumweine sehr gut aufgenommen. Die Sommeliers arbeiten gerne mit ihnen, für die Gäste sind sie leicht verständlich, und dazu kommt, dass sie vielseitig einsetzbar sind«, erklärt Jens Skovgaard.

Komplexe Weine mit spannendem Farbenspiel: Die Produkte des Weinguts Cold Hand Winery bei Randers im Nordosten Dänemarks finden sich auf den Karten der Topgastronomie.
Foto beigestellt
Komplexe Weine mit spannendem Farbenspiel: Die Produkte des Weinguts Cold Hand Winery bei Randers im Nordosten Dänemarks finden sich auf den Karten der Topgastronomie.

Die Zukunft ist trocken

Die erste Welle der skandinavischen Frucht- und Beerenweine war zweifellos von Süße geprägt. Kaum verwunderlich, denn süße Fruchtweine sind beliebt und räumen auch bei Wettbewerben häufig Medaillen ab. Die Herausforderung für die Erzeuger solcher Weine ist jedoch dieselbe wie für Erzeuger von Süßweinen aus Gebieten wie Tokaj, Sauternes oder der Mosel: Die Konsumenten heute trinken weniger Süßwein als früher. »Es erfordert viel Arbeit, den Verbrauchern beizubringen, dass restsüße Weine nicht nur im Dessertbereich eingesetzt werden können. Diesbezüglich liegt noch viel Aufklärungsarbeit vor uns«, sagt Harald Krabbe von Frederiksdal. 

Jens Skovgaard ist sich ebenso bewusst, dass es von Vorteil ist, trockene Weine im Sortiment zu führen, weshalb die Cold Hand Winery eine Reihe trockener Apfelweine auf den Markt gebracht hat, die seiner Meinung nach in Zukunft eine immer größere Rolle bei den nordischen Obst- und Beerenweinen spielen werden. »Die trockenen Weine kommen sehr gut an. Die Wahrheit ist, dass die meisten Menschen trockenen Wein zum Essen trinken, und den können wir auch leicht aus Äpfeln herstellen. Ich glaube, dass wir in Zukunft viel mehr trockene Beeren- und Fruchtweine sehen werden.«


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Erschienen in
Falstaff Nr. 05/2024

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Rasmus Palsgård
Autor
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