© Frieder Blickle/Vinschgau Marketing

Reinhold Messner: »Ich konnte drei Tage klettern, ohne zu essen«

Die höchsten Gipfel hat Reinhold Messner erklommen, die größten Sand- und Eiswüsten der Welt durchquert. Gelungen sei ihm das alles, weil er in der Lage sei, zu verzichten, sagt der Abenteurer. Gut zu essen, am liebsten einfache, regionale Gerichte, darauf legt er dennoch großen Wert.

An den Duft der goldgelben Krapfen kann sich Reinhold Messner noch heute erinnern. Jeden Samstag stand seine Mutter am Holzherd der Wohnstube und backte diese süßen Köstlichkeiten für ihre neun Kinder im heißen Fett heraus. Gerstensuppe, Schlutzkrapfen, Kaspressknödel, Apfelkiachl, Strauben, diese und andere Südtiroler Gerichte haben die Geschmacksnerven des wohl bekanntesten Bergsteigers der Welt geprägt wie nichts anderes. Dabei hat der Weltenwanderer auch viele kulinarische Abenteuer erlebt. »Ich habe nie wieder so gut wie im Kaukasus gegessen«, erzählt er. »Die Menschen dort haben eine Ess- und auch eine Weinkultur, die beeindruckend ist. Wenn dort eine Gesellschaft zusammentrifft, kommen dreißig verschiedene Speisen auf den Tisch. Es wird gegessen, gesungen und gefeiert, das ist ganz großartig.«

An ein gemeinsames Mahl mit Hirtennomaden in der Wüste Gobi erinnert sich Messner hingegen mit gemischten Gefühlen: »Als ich dort hinkam, wurde ich mit großer Gastfreundschaft von ihnen aufgenommen und mit einem Schafsohr bewirtet. Das Fett tropfte überall nur so heraus. Da musste ich schon die Zähne zusammenbeißen, bevor ich ins Schafsohr gebissen habe.« Auch ausgestochene Schafsaugen in Kirgistan, lebenden Fisch in Japan und Käfer in Malaysia hat Messner schon verzehrt. Seine Devise in solchen Situationen: »Nichts ablehnen, nichts zurückschicken.« Denn eines liegt ihm fern: seine Gastgeber vor den Kopf zu stoßen. Doch zurück in die Kindheit des bald 80-jährigen Südtirolers: »Auf die gemein­samen Essen wurde bei uns zu Hause sehr großer Wert gelegt. Meine Mutter war eine gute Köchin einfacher, traditioneller Speisen ohne jede Spitzfindigkeit.« Sie verstand es vielmehr, aus dem, was da war, etwas Schmackhaftes und Sättigendes zuzubereiten. Genauso, wie das schon ihre Mutter und Großmutter getan hatten.

Messner Mountain Museum.
© Giulio Benzin
Messner Mountain Museum.

Anpacken

Mit wenig auszukommen, bescheiden zu sein und vor allem anzupacken, das hat der Bub aus Villnöss vom ersten Tag seines Lebens an von seinen Eltern gelernt. Messners Vater war ein strenger Lehrer. Mit seinem kleinen Gehalt hätte er seine große Familie niemals durchbringen können. Darum betrieb er auch noch eine Kaninchen- und später eine Hühnerzucht. Die viele Arbeit erledigte sich freilich nicht von allein. Für die Messner-Kinder war es deshalb selbstverständlich, mitzuhelfen: »Wir lernten, die Tiere zu füttern, die Ställe auszumisten, zu schlachten, Hühner zu rupfen. Es kostete mich Überwindung, einem Kaninchen das Fell abzuziehen. Als Braten am Sonntag schmeckte sein Fleisch trotzdem«, erinnert sich der Grenzgänger. Milch zu holen zählte ebenfalls zu den Pflichten von Reinhold und seinen Geschwistern. Bei Wind und Wetter musste eines der Kinder tagtäglich zum Fraß-Bauern in den Stall stapfen, um mit einer vollen Milchkanne nach Hause zurückzukehren.

»Essensreste wurden niemals weggeworfen, sondern kamen auf den Kompost und wurden zu Dünger. Alles im Haushalt, im Garten, im Hühnerstall wurde wiederverwendet. Und wenn etwas kaputt war, wurde es repariert und wieder brauchbar gemacht. Wir lebten nachhaltig, und das zu einer Zeit, in der es das Wort noch gar nicht gab«, sagt Messner. Weder unter der »Kinderarbeit« noch unter den ständigen Entbehrungen hat Messner gelitten. Im Gegenteil. Er sei froh, so aufgewachsen zu sein, denn so habe er gelernt, mit wenig auszukommen, auch in den Bergen. Die Liebe zum Klettern hatte Vater Sepp Messner bei seinen Söhnen geweckt. Vor allem Reinhold und Günther fühlten sich in den Felswänden so frei und lebendig wie nirgendwo sonst. Bald bildeten die beiden eine fixe Seilschaft und eroberten in den Dolomiten eine Felswand nach der anderen. Immer extremere Herausforderungen meisterten die beiden Himmelsstürmer – und das mit kaum Proviant: »Wir hatten meist Speck und Käse dabei. Aber später haben Günther und ich selbst bei unseren Zweitagestouren gar nichts mehr mitgenommen. Wir haben damit gerechnet, dass wir irgendwo ein Rinnsal mit Wasser finden, das hat uns gereicht. In der besten Zeit waren wir in der Lage, drei Tage zu klettern ohne zu trinken und ohne zu essen, und zwar auf Teufel komm raus.«

Alpinistisches Klettern im Winter.
Symbolbild © Ondra Vacek/Shutterstock
Alpinistisches Klettern im Winter.

Weitermachen

Nur deshalb sei es ihm überhaupt möglich gewesen, die Katastrophe am Nanga Parbat, seinem Schicksalsberg, zu überleben. Im Jahr 1970 bestiegen er und sein Bruder Günther bei nicht optimalen Wetterbedingungen den schwierigsten aller Achttausender. Beim Abstieg über die Diamirflanke kam Günther ums Leben. Reinhold gelangte erst nach sechs Tagen »mehr tot als lebendig und mit schweren Erfrierungen« wieder ins Tal. Der Verlust seines Bruders war die größte Zäsur in seinem langen Leben.

Seiner großen Leidenschaft, dem Extrembergsteigen, deshalb abzuschwören, kam ihm dennoch nicht in den Sinn. »Das hätte Günther nicht wieder lebendig gemacht«, sagt er. Schon ein Jahr nach der Tragödie kehrte er an den Nanga Parbat zurück, 1978 bestieg er ohne Sauerstoffflaschen als erster Mensch den Mount Everest, und 1982 bezwang er gleich drei Achttausender hintereinander.

Neue Herausforderungen

Ob Messner von der Besteigung des K2, der Durchquerung der Antarktis oder seinem Fußmarsch durch die Wüsten Taklamakan und Gobi berichtet, immer klingt es so, als sei all das erst gestern passiert. Haargenau hat er jedes Unterfangen im Kopf. Dabei hat er in den vergangenen Jahrzehnten noch so viel anderes gemacht und sich immer neue Herausforderungen gesucht. Politiker, Autor, Filmemacher, Museumsgründer, Naturschützer, Bergbauer, Weingut- und Schlossbesitzer, all das war und ist der Freigeist auch. Im Jahr 1983 etwa kaufte er das völlig verfallene Castel Juval im Vinschgau und restaurierte es von Grund auf. Ein paar Jahre später erwarb er noch die dazugehörenden Höfe in Ober- und Unterortl – und wurde zum begeisterten Bergbauern und Selbstversorger. Denn so eigenständig, unabhängig und selbstbestimmt leben zu können wie nur irgend möglich, ist seit jeher das höchste Ziel des bekennenden Anarchisten. Dass Messner genaue Vorstellungen davon hat, wie man Natur, Landwirtschaft, Kultur und Gastronomie schonend miteinander verbinden kann, versteht sich von selbst.

Dass seine Ideen nicht bei allen in der Region auf Anklang stoßen, auch. Am Oberortlhof, den mittlerweile sein Sohn Simon übernommen hat, tummeln sich heute jedenfalls Schafe, Esel, Hühner und Pferde ebenso wie eine Ziegenherde und Schweine. Mit den Produkten des Hofs wird das Gasthaus »Schlosswirt« beliefert. Dort werden Gästen ausschließlich regionale Spezialitäten serviert. Und Wein und Schnaps kommen auch nicht von weit her, sondern von Messners Weingut Unterortl, das auf den steilen Hängen des Juvaler Hügels liegt. Immer wieder ist Messner dort auch selbst mit seiner dritten Ehefrau Diane anzutreffen. Wenn die beiden nicht gerade auf Reisen sind, leben sie in Meran, München oder auf Schloss Juval. Ebendort hat er die Luxemburgerin im Sommer 2018 auch kennengelernt.

Reinhold Messner und Peter Habeler (r.) waren 1978 die ersten Menschen, denen es gelang, den Mount Everest ohne Sauerstoffflasche zu besteigen.
© Diane und Reinhold Messner
Reinhold Messner und Peter Habeler (r.) waren 1978 die ersten Menschen, denen es gelang, den Mount Everest ohne Sauerstoffflasche zu besteigen.

»Kannst du kochen?«

Wie wichtig es diesem Mann ist, gut verköstigt zu werden, das erfuhr die damals 38-Jährige schon kurz nach ihrem ersten Rendezvous. »Kannst du kochen?«, war eine der ersten Fragen, die ihr Messner bei dem Abendessen in einem kleinen Restaurant in Bruneck stellte. »Ja …«, lautete ihre verdutzte Antwort. Mit seiner direkten Art konnte er die selbstbewusste Frau nicht verschrecken. Vor drei Jahren heirateten die beiden – und Reinhold schätzt Dianes Kochkünste sehr, wie er sagt. »Allerdings genießen wir es auch, gut essen zu gehen. Das machen wir häufig. Ich denke, das habe ich mir mit meinen 80 Jahren ­verdient.«

Der Extrembergsteiger privat: Messner ist Vater von vier Kindern, hier mit Tochter Magdalena. Diese verwaltet heute die sechs Messner Mountain Museen.
© Diane und Reinhold Messner privat
Der Extrembergsteiger privat: Messner ist Vater von vier Kindern, hier mit Tochter Magdalena. Diese verwaltet heute die sechs Messner Mountain Museen.
  • Reinhold Messner zählt zu den erfolgreichsten Extrembergsteigern der Welt. Ihm gelangen viele Erstbegehungen, die Besteigung aller 14 Achttausender sowie der »Seven Summits« ohne zusätzlichen Sauerstoff. Er durchquerte die Antarktis, die Wüsten Gobi und Taklamakan sowie Grönland der Länge nach.
  • Messner wurde 1944 in Brixen in Südtirol geboren und wuchs mit seinen acht Geschwistern in Villnöss auf. Schon mit fünf Jahren bestieg er mit seinem Vater seinen ersten Dreitausender. Bis 1964 absolvierte er über 500 Klettertouren in den Ostalpen, die meisten davon in seinen Heimatbergen, den Dolomiten.
  • Nachdem er ein Jahr lang an einer Mittel-schule unterrichtet hatte, entschied sich Messner 1969, sein Leben ganz dem Berg-steigen zu widmen. Im Juni 1970 nahm Messner mit seinem jüngeren Bruder Günther bei einer Nanga-Parbat-Südwand-Expedition teil. Bei dem Abstieg kam Günther ums Leben.
  • Seit den 1980er-Jahren engagiert sich der Südtiroler politisch. 1999 wurde er als parteiloser Kandidat für die Grünen Südtirols für fünf Jahre in das Europäische Parlament gewählt.
  • Im Juni 2006 eröffnete Messner den ersten Standort seines Messner Mountain Museums auf der Festungsanlage Schloss Sigmundskron. Mittlerweile gibt es fünf weitere Ausstellungsorte in Südtirol. Mit seiner Stiftung Messner Mountain Foundation versucht er, Bergvölker im Himalaya, Karakorum, Hindukusch, in den Anden oder im Kaukasus zu unterstützen.
  • Messner hat viele Dokumentar- und Spielfilme über sich und seine Erlebnisse in den Bergen produziert. Er hat über 80 Bücher über seine Expeditionen, Grenzgänge, aber auch über seine Haltung zu Natur und Umwelt verfasst. Er bezeichnet sich selbst als Erzähler und ist als gefragter Vortragender ständig auf Reisen.
  • Reinhold Messner hat vier Kinder. Er lebt heute mit seiner dritten Frau Diane in Meran, München und auf Schloss Juval. Am 17. September 2024 feiert er seinen 80. Geburtstag.

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Erschienen in
Falstaff Nr. 04/2024

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Judith Hecht
Autor
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