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Grilltrends im Fokus: Die Flamme schüren

Grillen gilt als urtümlichste Form des Kochens überhaupt. Seit ein paar Jahren ist es aber auch eine besonders angesagte, nicht zuletzt in der Sterneküche. Die Faszination und der einzigartige Geschmack des Essens aus der Flamme vermittelt sich aber auch in ganz archaischen Rezepten – und die müssen gar nicht schwierig sein. Wir haben zum Start der Grillsaison die spannendsten Trends und ihre köstlichen Traditionen recherchiert.

Es ist schon eine Weile her, aber Grillen über offenem Feuer war die entscheidende Aktion dafür, dass wir irgendwann vom Tier zum Menschen wurden. Das sagt kein Geringerer als der Harvard-Anthropologe Richard Wrangham. Die Entdeckung des Feuers als Schutz vor Kälte und wilden Tieren, aber auch als Mittel zum Garen von Lebensmitteln war demnach nur ein Aspekt. Das andere, mindestens so Entscheidende für den Weg aus dem bewusstlosen Zustand des Tiers hinüber ins wahrhaft Menschliche aber war laut Wrangham die soziale Komponente: der Moment des Innehaltens im Tagwerk, wenn das Feuer entzündet wird; die Vorfreude auf das Gemeinsame, das vor einem liegt. Rund ums Feuer sitzen, Zeit finden, dem Gegenüber in die Augen zu schauen – und in ihm sich selbst erkennen: Das ist der magische Augenblick, der uns zu Menschen machte.

Gerade waren unsere Vorfahren noch wie wilde Tiere dabei, sich möglichst große Fleischfetzen aus der Jagdbeute zu reißen und die Schwächeren von den vorderen Plätzen am Brombeerbusch zu verdrängen – und jetzt sitzen sie am Feuer und warten, bis das gemeinsame Mahl endlich gar ist. Dieser Moment der Besinnung, des Zu-sich-Kommens in der Gemeinschaft, der Selbsterkenntnis im Anderen – den haben wir tatsächlich dem Akt des Grillens zu verdanken. Ecce homo – er hat ein Kotelett in der Hand! Wenn man sich ansieht, mit welcher Ernsthaftigkeit die Herren der Schöpfung sich bis heute dem Fleischverbrennen in geselliger Runde widmen, dann möchte man fast meinen, dass sie sich der uralten Symbolik des Akts bewusst sind.

Die archaische Kraft des Grillens hat aber ganz zentral auch mit dem einzigartigen Geschmack zu tun, den die Flamme, das Glosen der Glut dem Fleisch oder Fisch zu vermitteln vermag. Salz und Feuer – mehr braucht es bei wirklich guten Grundprodukten gar nicht zur Perfektion. Ein trocken gereiftes Schweinskotelett mit ordentlichem Fettrandl etwa kann man, wenn man den Toskanern glaubt, gar nicht besser hinbringen, als wenn man es, gut gesalzen, der Glut überantwortet. Auch die Franzosen verstehen das Grillen im Wesentlichen als einen Akt der Reduktion auf die Essenz des Geschmacks. Rund um Bordeaux etwa werden die Entrecôtes der prachtvollen Charolais- und Aubrac-Rinder auch nur kräftig gesalzen, bevor sie auf den Rost kommen. Die besondere Würze kommt ja von unten: Von der Glut, die dem Fleisch dank der Rebenholz-Abschnitte aus den umliegenden Weingärten ein einzigartig nobles Aroma verleiht.

Meister des Weglassens

Zweimal ums Eck im Baskenland sind die unbestrittenen Jefes der Fischküche zuhause und auch sie erweisen sich bei genauerer Betrachtung als Meister des Weglassens. Der Genuss eines im Golf von Biskaya wild gefangenen Steinbutts, der auf dem Rost der berühmten Restaurants »Elkano« oder »Kaia Kaipe« im Küstenort Getaria zu vor Saft strotzender und doch unendlich eleganter Perfektion gegrillt wird, ist ein Monument des Minimalismus: Außer mit Glut und Salz bekommt es der »Rodaballo« nur mit einer simplen Mischung aus Olivenöl und Weinessig zu tun. Die wird ihm vom Grillmeister in periodischen Abständen, beim oftmaligen Wenden am Rost, mittels Sprayflasche verabreicht.

Überhaupt, die Spanier: Vergleichbare Expertise im Umgang mit dem Feuer als Geschmacksmedium – und der kindlichen Freude über den daraus resultierenden Genuss – wird man kaum finden. Im Frühling etwa lässt sich in manchen Gegenden Kataloniens ein ebenso skurriles wie kompromisslos dem Genuss geweihtes Schauspiel erleben. Da treffen sich Gruppen erwachsener Bürger, um sich auf offener Straße Trenzbarterln umzubinden und neben unvernünftigen Mengen jungen Weins auch jede Menge gegrillter Jungzwiebeln, Calçots genannt, einzuverleiben.

Die Dinger werden, auch über Rebenholzfeuer, richtiggehend verkohlt. Dann zieht man ihnen die verbrannte Außenhaut ab, was erotomane Katalanen gern mit dem Moment vergleichen, da man einer Frau die Seidenstrümpfe ausziehen darf: Was zum Vorschein kommt, ist alabasterfarben schimmerndes junges Gemüse, verführerisch duftend, zart im Biss und rauchig-süß am Gaumen. Traditionell wird die Zwiebel in ihrer ganzen Länge durch die Salvitxada gezogen, eine Salsa aus gebratenem Knoblauch und Mandeln, getrockneten Pimientos, Paradeiser, Petersil, Bröseln und Weinessig, die im Mörser (oder Mixer) mit Olivenöl aufgeschlagen wird. Dann legt man den Kopf zurück und macht die von Salsa triefende Zwiebel in Schwertschlucker-Manier zu einem Teil seiner selbst, wischt sich die kohleschwarzen Finger in den Sabberlatz und ist glücklich, dass es so etwas gibt: ein großes Feuer, rundherum ein dionysisches Gelage in der klaren, milden Frühfrühlingsluft, mit reichlich Wein und einer simplen, vegetarischen Delikatesse als Hauptdarsteller.

Der Osten und die Gewürze

Jetzt wird es aber Zeit, sich der Kunst des Grillens auch von jener Seite zu nähern, die dem Einsatz von Gewürzen ganz und gar nicht skeptisch gegenübersteht. Der nahe Osten, und ganz besonders die Grillmeister des östlichen Mittelmeerraums, in Syrien und im Libanon, sind da natürlich zuvorderst erwähnenswert. Kebab Keres etwa, aus Lammfaschiertem geformte Bällchen, werden in Aleppo (vor dem Krieg die wohl schönste Stadt der Region) über Holzkohle schön rauchig gegrillt, danach die ebenso einfache wie süchtig machende Salsa aus gegrilltem Paradeiser, wenig rohem Knoblauch, Zitronensaft, Salz und frisch gemörsertem Pfeffer. Das Rezept passt auch verdammt gut zu gegrilltem Fisch, da könnte man noch frischen Dill dazu zupfen.

In Argentinien ist es der Gentleman-Restaurateur Francis Mallmann, der die Feuerküche der Gauchos mit französischem Flair und der Lässigkeit des Patriziers in hohe Kunst zu verwandeln versteht. Der in französischen Dreisternern ausgebildete Koch mit privater Insel in Patagonien hat neben Restaurants in Argentinien, Chile und Paraguay längst eine Außenstelle in Miami und verwöhnt seine Gäste nun auch in Europa, konkret im provenzalischen »Château La Coste«.

Mallmann ist für den Insta-Craze verantwortlich, dank dem plötzlich überall ganze Lämmer, aber auch Wildschweine und Rehe wie in einer religiösen Zeremonie auf Holzkreuze gebunden und in den heißen Rauch massiver Lagerfeuer gestellt werden: Archaischer geht es kaum. Aber Mallmann hängt auch nobel gefülltes Wildgeflügel auf spektakulären Gerüsten meterhoch über die Flammen, um schonende Garung zu gewährleisten. Und er hat, natürlich, auch ganz andere Techniken entwickelt, etwa mit von oben und unten befeuerten Grillplatten, um Meeresfrüchte kurz und knapp anzugrillen und in betörende Vorspeisen zu verwandeln oder Gemüse so von der Flamme küssen zu lassen, dass die Knackigkeit erhalten, der Geschmack aber potenziert wird.

Kraft des Feuers

All das verblasst im Vergleich zu dem, was Victor Arguinzoniz im entlegenen baskischen Bergdorf Axpe, fernab jedes international einigermaßen zuverlässig angeflogenen Flughafens, mit herausragenden Zutaten und diversen Feuerstellen anzufangen weiß. Sein »Asador Etxebarri« ist seit Jahren immer in den Top fünf der »World’s 50 Best Restaurants« zu finden. Was aber noch wichtiger ist: Besser gebucht als der baskische Magier der Flammen ist wohl weltweit kein Top-Restaurant. Im »Etxebarri« einen Tisch zu ergattern, ist echte Arbeit.  Die 14 Gänge und Happen, die der Meister im Rahmen eines Menüs den Gästen überlässt, von gartenfrischen Erbsen über fette Sardellenfilets auf Brot bis zu einer Scheibe Mozzarella vom hauseigenen Büffel sind Zeugnisse herausragender Produktqualität, ebenso wie die Kraft des Feuers, diese wahrhaftig in magische Erlebnisse zu verwandeln.

Die Forscher und das Bier

Jetzt kommt’s aber: Seit vergangenem November aber gibt es im winzigen Ort Axpe ein zweites Feuer-Gourmetrestaurant, nur einmal ums Eck von Arguinzoniz. Das macht kein anderer als sein langjähriger Souschef Tetsuro Maeda – und es heißt »Txispa«. Maeda war über zehn Jahre die rechte Hand des Meisters, er hätte überall auf der Welt seine Version eines Feuertempels aufmachen können und wäre gestürmt worden. Es zeugt schon von besonders japanischer Ehrerbietung in der Kunst des Nachempfindens, dass er sich nicht um die Burg woanders hinsetzen wollte. So gibt es nun eben zwei weltbeste Feuerküchenrestaurants in einem baskischen Kuhdorf hinter den sieben Bergen – und einen Grund mehr, sich dorthin zu verfügen.

Derlei mönchische Konzentration auf das endgültig allerbeste Grill-Ergebnis sollte unsereins feuchtfröhlichen Grillage-Amateur aber ja nicht einschüchtern oder gar abhalten, sich wie seit je als Herr der Flammen fühlen zu dürfen und den Würsteln und Steaks beim geschmackvollen Verbrennen zuzusehen. Wenn die Flammen einmal allzu lustig züngeln sollten, wird der Meister der Glut sie mittels lässig geführter Bierdosenschüttung wie stets zu zügeln wissen. So war es immer, so soll’s auch weiterhin sein!

Just die Wissenschaft, wiewohl gemeinhin nie verlegen, einem die Lust an der Unvernunft zu verleiden, springt dem Homo grillensis dabei anfeuernd bei: Eine Studie der Uni Porto hat tatsächlich ergeben, dass Bier ein probates Mittel sein dürfte, um die Entstehung krebserregender Stoffe beim Grillen hintanzuhalten. Die Forscher haben Schweinefleisch gegrillt und danach untersucht, ob die Konzentration gefährlicher polyzyklischer aromatischer Kohlenwasserstoffe (PAK) abnimmt, wenn das Grillgut in Bier mariniert wurde. Fazit: Und wie! Die im Bier enthaltenen Melanoidine wirken als PAK-Fänger und können den Gehalt karzinogener Stoffe im Fleisch um mehr als die Hälfte senken. Ob die segensreiche Wirkung des Gerstensafts auch dann eintritt, wenn der Grillmeister statt des Fleisches den eigenen Körper mit Bier behandelt, muss hingegen – vorerst – noch ungeklärt bleiben.

ZUM REZEPT BANDORA MECHOUI

ZUM REZEPT SALVITXADA


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Severin Corti
Severin Corti
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