© Jenni Koller

Helmuth Gangl: »In unserer Philosophie existieren weder Stillstand noch unveränderliche Abläufe«

Interview
Küchenchef
Burgenland

Der langjährige Küchenchef des »Reiters Reserve« spricht im Interview über nachhaltiges Wirtschaften auf höchstem kulinarischen Niveau, was Schlachthof, Bäckerei und Nudlerei damit zu tun haben und was sein 48-Stunden geschmortes Schulterscherzl so besonders macht.

So viel wie möglich selbst machen, lautet die Devise im »Reiters Reserve« in Bad Tatzmannsdorf. Vor fast fünf Jahren wurde sogar eine eigene Hofschlachtung eingerichtet, mit der man eine stresslose Schlachtung ermöglichen und so zur nachhaltigen Verarbeitung des gesamten Rindes beitragen will.

Falstaff: Das »Reiters Reserve« hat ja einen eigenen Schlachthof für Rinder. Was sind die Hintergründe?

Helmuth Gangl: Für uns ist es wichtig, dass nur die beste Qualität der Speisen auf die Teller kommt. Hierfür sind erstklassige Grundprodukte unverzichtbar. Die Leidenschaft für Landwirtschaft begleitet Herrn Reiter seit seinen Anfängen in Achenkirch. Dieser Leidenschaft folgend entstand die Vision einer eigenen Rinderzucht, die mit einer hofeigenen Schlachtung einhergeht. Diese Vorgehensweise ermöglicht eine schonende Schlachtung und eine nachhaltige Verarbeitung des gesamten Rindes. Das Tier gelangt direkt im Stall in die letzte Box, wo es ohne Stress oder unnötigen Transport geschlachtet wird. Das gesamte Fleisch wird direkt verarbeitet oder in den Kühlhäusern zu Dry Aged Beef gereift.

Welche Tiere gibt es auf der hauseigenen Rinderfarm. Wie kann man sich die Bewirtschaftung dieser vorstellen?

Unsere Rinder bilden das Herzstück unserer Farm. Neben den Angus-Rindern, die wir in Mutterkuh-Haltung mit Natursprung auf weitläufigen Weiden und Almen züchten, hegen wir auch besonderes Interesse an der Arterhaltung. Daher halten wir einzelne Wagyu-Rinder sowie seltene Haustierrassen wie Tux-Zillertaler, Grauvieh und Pinzgauer. Die Kühe, die das ganz Jahr auf weitläufigen Weideflächen grasen, erhalten liebevolle Pflege von unseren landwirtschaftlichen Fachkräften. Zudem gönnen wir den Mutterkühen in Begleitung ihrer Kälber sowie den ein- und zweijährigen Rindern und Ochsen jeden Sommer eine 5-monatige Almzeit. Die Kälber verbleiben mindestens 8 Monate bei ihren Müttern.

Unsere Tiere werden in der Bio-Haltung frühestens mit 30 Monaten, bevorzugt mit 36 Monaten, geschlachtet. Diese Periode ist doppelt so lang im Vergleich zur konventionellen Tierhaltung, die eine Schlachtung bereits ab 18 Monaten vorsieht. Diese ausgedehnte Zeitspanne erlaubt es uns, unsere Hotels weitestgehend mit erstklassigem Rindfleisch aus eigener Produktion und den damit verbundenen Erzeugnissen zu versorgen. Sämtliche Teile des Tieres werden sorgfältig verarbeitet und die Schlachtung erfolgt in vertrauter Umgebung direkt auf unserem Bauernhof.

»Farm to table« lautet also das Konzept?

Der Begriff »Farm to table« spiegelt unsere gelebte Philosophie wider. Auf unseren Höfen im Rabenwald und bei befreundeten Bäuerinnen und Bauern finden rund 200 freilaufende Hühner, Mangalitza-Schweine, Sika-Wild, Rinder, Weidegänse und Bienen ein Zuhause. Sie alle sind die Garanten für herausragende Qualität, sei es bei dem einzigartigen Frühstücksei oder in unseren Gerichten. Zudem bauen unzählige kleine Obst- und Gemüsebetriebe die Basis unserer Zutatenpalette weiter aus. Hier steht der authentische Geschmack und der richtige Erntezeitpunkt im Mittelpunkt – nicht das Aussehen der Produkte. Wir sind ebenso stolz darauf, Produkte zu erwerben, die aufgrund ihres nicht makellosen Äußeren nicht mehr für den herkömmlichen Handel geeignet sind.

Welche Geschmacksmerkmale stechen bei »Ihren Reiters Reserve Rindern« besonders hervor?

Durch die natürliche Gras- oder Heufütterung erhält das Fleisch einen einzigartigen Duft, der sich stark von dem der Tiere unterscheidet, die den Großteil ihres Tages im Stall verbringen. Insbesondere bei edlen Fleischstücken, die am Knochen gereift werden, entwickelt sich durch die ausgedehnte Reifungszeit ein unvergleichlicher Geschmack, der an den feinen Charakter von Trüffel erinnert.

Was macht perfektes Fleisch für Sie aus?

Dass ich die Herkunft des Tieres kenne und mich somit auf die höchste Qualität verlassen kann.

Welches Gericht sollte man unbedingt bei Ihnen bestellen, bei dem man dieses Geschmackserlebnis feststellen kann?

Mein persönlicher Geheimtipp ist das 48-Stunden geschmorte Schulterscherzl von unseren eigenen Rindern. In Kombination mit einer fruchtigen Note, sei es durch süß-saure Zwetschgenkonfitüre oder ein Ringlottenchutney, entsteht eine vielschichtige Geschmackserfahrung. Die begleitenden Texturen von Sellerie, Petersilienwurzeln oder Pastinaken verleihen diesem Gericht zusätzliche Tiefe und Raffinesse, die alle Sinne ansprechen.

Können Sie uns einen Einblick in Ihren kreativen Prozess geben, wenn es darum geht, ein neues Menü zu entwerfen?

Angesichts unserer zahlreichen Gäste, von denen viele längere Aufenthalte genießen oder regelmäßig zu uns zurückkehren, liegt die wahre Kunst der Menügestaltung darin, täglich aufs Neue inspirierende Gerichte und Menüs zu erschaffen. Ein herausragendes Merkmal unserer Küche ist, dass bei uns keinerlei Wiederholung der Menüpläne stattfindet. Ausgangspunkt sind für uns stets saisonal verfügbare Spezialitäten, jedoch achten wir gleichzeitig darauf, eine vielfältige Auswahl an Fleischarten und Zubereitungsarten anzubieten. Aus diesem breiten Spektrum an Möglichkeiten bemühe ich mich, in enger Abstimmung mit meinem Team, immer wieder neue Menüs zu komponieren, die unsere Gäste begeistern.

Wie wichtig ist es Ihrer Meinung nach, traditionelle Kochtechniken zu bewahren, während man gleichzeitig moderne Ansätze in der Küche verfolgt?

Die Grundpfeiler eines jeden Gerichts bilden die exzellente Qualität der Ausgangsprodukte sowie ihr unverfälschter Geschmack. Die Einbindung traditioneller Kochtechniken erscheint mir als absolut unverzichtbar. Selbstverständlich integrieren wir stets zeitgemäße Elemente, wobei das Geheimnis darin liegt, eine harmonische Balance zwischen den althergebrachten und modernen Komponenten zu schaffen.

Welche Trends in der kulinarischen Welt finden Sie derzeit besonders spannend oder beeinflussen sogar Ihre eigene Kochphilosophie?

Verschiedene Trends kommen und gehen, jedoch liegt meine ständige Priorität darin, neue Ansätze zu erkunden und sie gekonnt einzubinden. Trotz der Vielfalt an Entwicklungen steht für mich stets die Leidenschaft fürs Kochen im Vordergrund, ebenso wie der unvergleichliche Geschmack, der letztendlich den entscheidenden Unterschied ausmacht.

Auch eine Bäckerei und eine eigene Nudlerei gibt es im »Reiters«. Was steht noch alles auf der Agenda?

Während der Herausforderungen der Corona-Zeiten haben wir in Form unserer Genusswerkstatt aus der Not eine besondere Gelegenheit geschaffen. Wir haben viel überlegt, wie wir in diesen schwierigen Zeiten nicht nur Ressourcen schonen, sondern auch einen Schritt nach vorne machen können. Aus diesem Grund haben wir die Produktionskapazitäten unserer beiden Hotels zusammengeführt und parallel dazu eine Nudlerei, eine Bäckerei, eine Konditorei und eine Eismanufaktur für beide Einrichtungen etabliert. Auf diese Weise übernehmen wir die vollständige Produktion in unseren Küchen und sind somit in der Lage, die Qualität und Kreativität eigenhändig zu gestalten. Ein hervorragendes Beispiel ist unser Eis, bei dem ausschließlich die süßesten Früchte ohne jegliche künstliche Zusatzstoffe Verwendung finden – ein unverwechselbares Geschmackserlebnis.

In unserer Philosophie existieren weder Stillstand noch unveränderliche Abläufe. Aktuell wird unser ehemaliges Restaurant »Panorama« erneuert, verbunden mit der Entwicklung und Erprobung eines neuen kulinarischen Erlebnisses. Aber mehr dazu in Kürze.


Nichts mehr verpassen!

Melden Sie sich jetzt für unseren Newsletter an.

Julia Emma Weninger
Julia Emma Weninger
Autor
Mehr zum Thema