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Die Kunst des Aperitivo: Geselligkeit und Entspannung in einem Glas

Aperitif
Aperitivo
Dinner

Leicht, prickelnd, mal erfrischend, mal verführerisch süß, stets unkompliziert und immer wandelbar – all diese Attribute vereinen sich zu dem, was wir heute unter Aperitif-Kultur verstehen. Wir verraten, warum die jahrtausendealte Idee eines flüssigen Appetitanregers bis heute so erfolgreich ist und was 2024
in keinem Glas fehlen darf.

Die Idee, dem abendlichen Dinner einen appetitfördernden Drink – am besten direkt kombiniert mit einer kleinen Vorspeise – voranzustellen, hat im südeuropäischen Raum eine lange Tradition. Laut diverser Historiker geht ihr Ursprung sogar bis in die Zeit des Römischen Reichs zurück. Wohlhabende Römer sollen schon damals vor ihren oftmals ausschweifenden Gelagen einen sogenannten »Gustatio«, einen Appetithappen, der von einem Becher honiggesüßten Weins begleitet wurde, genossen haben. Und auch das Wort »Aperitivo« stammt aus dem Lateinischen. »Aperire« bedeutet so viel wie »öffnen« – in diesem Fall also Magen, Abend und Appetit. Eine der frühesten Aperitivo-Legenden der Neuzeit findet sich ebenfalls in Italien und erzählt vom König von Sardinien-Piemont, Vittorio Emanuele II., der Mitte des 19. Jahrhunderts die Angewohnheit hatte, vor dem Abendessen regelmäßig einen Wermut zu trinken.

Das kommt der auch heute noch gelebten Grundidee recht nahe, mit einem kleinen Drink Magen und Abend gleichermaßen zu eröffnen, wenngleich es bis zum Schritt hin zu einem richtigen Cocktail noch ein paar Jährchen dauerte. Verfolgt man diese Entwicklung aber weiter, so begegnet man dem bekannten Graf Camillo Negroni, der der Legende nach den berühmten »Negroni«-Cocktail erfand, indem er dem damals auch bei ihm selbst bereits populären »Americano« (Campari, Wermut, Soda) noch Gin hinzufügte und damit aus einem leichten Aperitif einen kräftigen Drink machte. Seitdem ist die Idee, mit einem wahlweise mal mehr oder weniger alkoholischen Getränk vor dem Dinner den Appetit anzuregen, auch Teil unserer Trinkkultur geworden. Doch die geschmackliche Natur des Aperitifs hat sich über die Jahrzehnte durchaus weiterentwickelt.

Heute verbindet man mit ihm zwar immer noch häufig ein Getränk mit Wermut, aber oftmals ist es eher der Spritz, der die Apéro-Szene bestimmt. So sieht auch Stephan Hinz, einer der erfolgreichsten deutschen Barbetreiber der letzten Jahre, in Apéros noch viel Potenzial. »Der Spritz ist mittlerweile ganzjährig beliebt und lässt sich einfach durch saisonale Früchte und Gewürze variieren. Doch aus meiner Sicht sind viele der etablierten Aperitifs zu eindimensional und bringen nicht genug Charakter mit«, so der Kölner Chef des »Little Link«, der weiß, dass der Apéro nicht erst seit der süßen Hugo-Welle auch andere Facetten haben kann. Alexander Morgenstern, von Falstaff jüngst zu Österreichs innovativstem Bartender 2024 gekürt, sieht die Rolle des Aperitifs heute ebenfalls in einem anderen Licht. »Heutzutage ist der Aperitif eher kein bitteres, kleines Kräuter-Erlebnis. Zeiten ändern sich und das muss man einfach auch mal akzeptieren. Wenn wir offenlegen würden, wie viel Zucker – der alles andere als appetitanregend ist – in unseren Aperitif-Drinks enthalten ist, müssten wir uns schnell eingestehen, dass diese in der heutigen Zeit oftmals nicht als Magenöffner, sondern als Eisbrecher und Süßigkeit den Nachmittag und Abend begleiten.«

Der Highball 130.
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Der Highball 130.

Die neue Happy Hour

Ob sie nun klassisch als Appetitanreger oder als süßer Abendbegleiter genossen werden, eines steht fest: Aperitivos sind weit mehr als nur ein simples Getränk vor dem Abendessen. Der Apéro verkörpert einen Lifestyle, ein charmantes Ritual in Kombination mit geselligem Beisammensein und köstlichen Getränken. Der Kerngedanke der sogenannten »Aperitivo Hour« soll einen Übergang vom regulären Arbeitstag zum Feierabend markieren und diesen auch dementsprechend einleiten. Glaubt man einer aktuellen Studie der Trendexperten von Baum + White­man, hat der Aperitivo sogar das Zeug dazu, international die Happy Hour zu verdrängen, die vor allem aus der amerikanischen Barwelt nach Europa schwappte. Eine Vermutung, die nicht ganz abwegig erscheint, denn die gelebte Gemütlichkeit und das traditionell italienische Ambiente, die Aperitivos authentisch transportieren, sind eben irgendwie charmanter als eine auf gesteigerten Abverkauf und Wirkungstrinken ausgerichtete Happy Hour.

Der Treiber der modernen Aperitivo-­Welle und zugleich Wegbereiter einer ganzen Drink-Kategorie war lange Zeit Aperol und ein Ende dieser Erfolgsstory ist erst mal nicht in Sicht, denn aktuell arbeitet man an einer Erweiterung der Produktionsanlagen in Novi Ligure, wo in Zukunft weitere 100 Millionen Flaschen Aperol pro Jahr abgefüllt werden sollen – doppelt so viele wie zuvor. Doch Aperol hat nicht nur die eigene Marke groß, sondern auch Bitterkeit in Drinks zur Avantgarde gemacht und der Kategorie der Spritzer generell einen weltweiten Aufschwung ermöglicht. So verwundert es wenig, dass die Spritz-Kultur über die Jahre viele kreative Weiterentwicklungen erlebt hat – sowohl produkt- als auch cocktailseitig. Denn eines ist klar: Werden Wermuts, verstärkte Weine oder Aperitif-Liköre beispielsweise mit einem Filler kombiniert, ergeben sie schnell und einfach ein spannendes Getränk, das dank seiner Simplizität auch massentauglich ist. Davon hat in den vergangenen Jahren auch eine Marke profitiert, die vor allem für franzöisches »Savoir Vivre« steht: Lillet. Auf Basis des vielseitig einsetzbaren Weinaperitifs lassen sich je nach Begleiter, die von diversen Fillern über Säfte bis zu Champagner reichen, fruchtig-beerige bis floral-herbe Drinks kreieren, die den Genießer über die ganze Saison tragen können.

Das zeigt, dass sich die DNA eines Spritz oder eines Aperitivos enorm weiterentwickelt hat, denn die aromatische Vielfalt ist mittlerweile durchaus komplex. Heute gibt man beispielsweise nicht mehr einfach nur Zitrone oder Orange in den Drink, sondern man arbeitet mit Bergamotte, Yuzu oder Pomelo. Besonders letztere Frucht könnte auf den Apéro-Terrassen landauf, landab zukünftig eine größere Rolle spielen, denn der »Pomelo Spritz« (eine fruchtig-florale Abwandlung eines Aperol Spritz) gehört international zu den Trendgetränken des Sommers.

Der Paloma.
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Der Paloma.

Der Aperitif lebt vom Twist

Er basiert im Original auf dem bitter-floralen Aperitif »Pomello«, der die gleichnamige Frucht und Holunderblüten enthält, und wird mit Prosecco und Soda gemixt. Da dieser spezielle Likör aber noch schwer zu bekommen ist, kann man ihn auch durch einen Grapefruitlikör ersetzen und gegebenenfalls noch einen Spritzer Holunderblütensirup hinzugeben. Unverändert bleibt bei diesem Drink – wie bei den meisten Aperitivos – jedoch der Ansatz, die Süße gewisser Zutaten zu konterkarieren oder hinter einer Bitternote zu verstecken. Daher erfreuen sich aktuell auch im Filler-Bereich lebendige Zitrus- und vor allem herbe Grapefruit­noten besonderer Beliebtheit.

Die Süße-Bittere-Komponente kommt damit immer öfter nicht mehr von der Spirituose, sondern vom Filler, was wiederum Liquids die Aperitif-Tür öffnet, die man hier traditionell eher nicht verortet hätte. So zum Beispiel nordische Aquavite, die nicht nur klassisch zu Seafood passen, sondern auch in Aperitivos auftrumpfen können. Ein ungereifter Aquavit in Kombination mit Tonic oder Ginger Beer kann ein echtes Aha-Erlebnis werden, denn mit ihren typischen Fenchel- und Kümmel­aromen wissen sie durchaus zu erfrischen. Ein anderes Beispiel ist Bourbon. Jim Beam beispielsweise erschließt das Aperitiv-­Segment gerade mit dem vergleichsweise weichen Jim Beam Sunshine Blend, der zu Grape­fruit-Limonade passt – und twistet so nicht nur den Spritz, sondern auch gleich noch einen anderen Drink des Sommers: die Paloma! Dieser wunderbar fruchtig-­herbe, erfrischende Longdrink auf Basis von Grape­fruitlimonade und Tequila spielt mit den gleichen Elementen wie der berühmte »Margarita« und vereint Agavenbrand mit Zucker und Zitrusnoten, ist aber wesentlich schneller und einfacher zuzubereiten. Zusammen mit der mittlerweile großen Auswahl an Grape­fruit-Fillern könnte die Paloma nicht nur ein echter Aperitivo-Hit werden, sondern ganz nebenbei dem ­Tequila die Tür zu einem neuen Hype öffnen. Aber das ist wieder eine andere Geschichte.

Diese Aperitivos sind einen Versuch wert:


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Erschienen in
Falstaff Nr. 05/2024

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Alexander Thürer
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