Am 30. August findet wieder die »Lange Nacht der Wiener Märkte« statt

Am 30. August findet wieder die »Lange Nacht der Wiener Märkte« statt
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Wiener Märkte: Wie die Lokalszene für Besucherrekorde sorgt

Wien
Marktplatz
Restaurant

Die neue Beliebtheit der Märkte in Wien und anderen österreichischen Städten ist auch dem Einfluss einer neuen Generation an Gastronomen zu verdanken. Was den Charme der Märke auch ausmacht: Sie sind im Kern ein Wiener Original geblieben.

Am Markt kommt alles und jeder zusammen: Farben, Gerüche und Geschmäcker. Hier treffen sich Spitzen­köche, Bauern, Einheimische und Touristen. Bis heute sind die Märkte wichtige Pfeiler der Versorgung. Dabei ist die Zeit hier nicht stehen ge­blieben, Standler und Kundschaft haben sich verändert.

Galten Märkte vor wenigen Jahren noch als altmodisch, haben sie wieder an Bedeutung gewonnen und verzeichnen Besucherrekorde. Dabei sah es in den 1990er-Jahren nach dem genauen Gegenteil aus.

Restaurants als einzige Rettung

Der Vormarsch großer Supermarktketten dezimierte die Anzahl der Standler. »Die Märkte funktionierten als reine Handelsplattform nicht mehr. Lokale waren die einzige Möglichkeit, sie zu retten«, erzählt etwa Alexander Hengl vom Wiener Marktamt.

Eine echte Trendumkehr stellte sich in Wien ab den 2000er-Jahren ein, als sukzessive Brunnenmarkt, Kutschkermarkt, Naschmarkt und auch der Vorgartenmarkt saniert wurden. Die Einführung verpflich­tender Kernöffnungszeiten von 15 bis 18 Uhr im Jahr 2018 sollte die Märkte weiter attraktiveren.

Am 30. August feiert die „Lange Nacht der Wiener Märkte“ seine dritte Ausgabe auf allen 17 Märkten. Stände und Lokale dürfen bis 23 Uhr geöffnet bleiben, Begleitet wird die Lange Nacht von einem Kultur- und Musikprogramm. 2023 zog das Event über 160.000 Besucher an.

Für die Gastronomie am Markt gibt es inzwischen eine Quote von maximal 40 Prozent. Tatsächlich machen Lokale im Schnitt 33 Prozent der verbauten Fläche auf Märkten aus – und sind ein entscheidender Faktor fürs Geschäft.

Märkte florieren in ganz Österreich

Das Phänomen beschränkte sich ­dabei nicht nur auf die Bundeshauptstadt. In Graz führte man aufgrund des großen Andrangs zusätzliche Markttage ein, am Linzer Südbahnhofmarkt wurde um 2,4 Millionen Euro saniert und Marktkojen neu vergeben. Zu Standlern der ersten Stunde haben sich junge neue Betreiber dazugesellt.

Sie alle wählten die Falstaff-User in einer großen Onlineumfrage zuletzt unter die Top-Ten der beliebtesten Märkte in ganz Österreich. Mit dabei ist auch der ­Brunnenmarkt in Wien, Topplatzierungen holen der Karmeliter- und der ­Kutschkermarkt.

Ein weiterer Grund für den Aufschwung ist in der Coronapandemie zu finden. Die Märkte funktionierten in der Krise unabhängig von internationalen Handelsketten und schärften das Bewusstsein der Bevölkerung für die regionalen Nahversorger.

Gegenbeweis zum unfreundlichen Wien

Wer auf der Suche nach sozialen Kontakten und einer Plauderei war, fand am Markt auch das. Der Markt menschelt und behält selbst in der Großstadt seinen Dorfcharakter. Nicht zuletzt ist er damit ein Stück weit auch der Gegenbeweis zum ­Klischee des unfreundlichen Wien.

Man ist nicht anonym, wird gegrüßt, vielleicht sogar beim Vornamen. Wie Herr Peter, der am Vorgartenmarkt im zweiten Bezirk etwas Blühendes für seinen Balkon kauft. Mit Verkäufer Dagan Nucic unterhält er sich über Begonien und seinen grauen Star. Eine andere Anrainerin verstaut ihre gekauften Blumen im Kinderwagen, in dem zwei Chihuahua sitzen, während ihr Mopps hinter dackeln muss.

Die Nachbarschaft trifft man auch an Standnummer 10 in der »Enoteca Amici Miei«. Josef Stachl alias „Pepi“ übernahm die Filiale 2020 und ist „eine Anlaufstelle für jeden“, wie er sagt. An den Wänden reihen sich die Proseccoflaschen und Weine aneinander, die auch als Lampe von Decke baumeln.

Eine Liebeserklärung

Egal wohin man sieht, scheint man ein neues Schildchen oder einen Schriftzug zu entdecken, der eine Spezialität anpreist. In der Vitrine sind Focaccia, Prosciutto, Lardo, Würste, Salami, Kapern, Oliven und Käse liebevoll angerichtet. Vier Stunden täglich nimmt sich Stachl dafür Zeit, damit alles genauso aussieht, wie er es möchte.

In Wien gibt es inzwischen 27 Märkte und Wochenmärkte. Vier Probe-Märkte wurden 2023 zu fixen Wochenmärkten: Der Neubaumarkt in Neubau, der Matznermarkt in Penzing, der Alszeilenmarkt in Hernals und der Servitenmarkt am Alsergrund. Der Mazzucco-Markt in der Donaustadt soll ebenfalls zum fixenWochenmarkt werden.

Stachl's besonders treue Stammgäste kommen mehrmals täglich. Für einen oder mehrere Espresso am Vormittag, dann zum Mittagessen, später für etwas Süßes, wie italienische Apolline, süße Blätterteighörnchen, und nochmal am Abend für eine Jause aus Antipasti.

Dass sich seine Gäste nach eigner Aussage weigern, in ein anderes Lokal zu gehen, selbst wenn er zwei Wochen auf Urlaub ist, empfindet Stachl als Liebeserklärung – eine, die er erwidert: »Ich werde einfach nie mehr zusperren. Am Vorgartenmarkt will ich bleiben, solange ich leb'.«

Zwischen Nudelsuppe und Austern mit Champagner

Unter die Nachbarschaft mischen sich aber auch Studierende der WU, auch wenn es sie eher in die »Mochi Ramen Bar« zieht. Die japanische Nudelsuppenküche ist ein Besuchermagnet und auch unter der Woche fast immer bummvoll. Zur Auswahl stehen sechs Ramen-Varianten für rund 16 Euro von Schweinebauch bis hin zu Pilzen, die mit zusätzlichen Toppings ergänzt werden können.

Die riesigen Suppenschüsseln sorgen beim Servieren erst Mal für große Augen. Der erste Schreck weicht schnell der Begeisterung, da die schaumige Brühe mit scharfem Hühnerfaschiertem und Frühlingszwiebel so gut ist, dass man eh nicht genug haben kann. Der nur 30 Meter entfernte Sushi-Ableger „Mochi am Markt“ wurde Ende Jänner geschlossen, eingezogen ist das »C.O.P.-UP« der Familie Molcho.

Der „Schnellimbiss“ von Gerd Sievers hat seit Anfang des Jahres ein neues Konzept. Übernommen hat sein bisherigen Souschef Imran Sheik. Von außen völlig unscheinbar, serviert das Bistro edelste Produkte, Spezialität des Hauses sind marinierte Austern, genauer die Miso-Austern. Und weil man immer noch ein Imbiss ist, gibt’s auch Frankfurter, nur eben nach hauseigenem Geheimrezept und mit einer Dose Schwechater dazu.

Entspannte »Wurschtigkeit« in Meidling

Der ehemals verrufene Vorgartenmarkt ist wohl das Musterbeispiel für die Belebung der Wiener Märkte: jünger und urbaner, aber auch nicht zu gentrifiziert oder auf Hochglanz poliert. Er ist aber nicht das einzige Beispiel: Der 150 Jahre alte Meidlinger Markt mitten im 12. Bezirk hat sich vom Sorgenkind zum Vorzeigeschüler gemausert und ist zum Anziehungspunkt vieler Hippster und Bobos geworden.

Neben dem Karmelitermarkt gehört er zu jenen Märkten mit den größten Besucherzuwächsen. Die Atmosphäre aus entspannter »Wurschtigkei« und Spitzengastronomie schließen sich in Meidling nicht aus: Mit der »Wirtschaft am Markt« verfügt der Bezirk über das erste und bisher einzige Marklokal mit Haube.

Küchenchefin Heidi Ratzinger tischt traditionelle Wiener Küche aus den Produkten der Nachbarstände auf, ergänzt um orientalische Einflüsse. Zu den Alteingesessenen wie Fleischer Nuran haben sich auch andere hübsche Bilderbuch-Lokale dazugesellt, wie der Feinkostladen »Heu & Gabel« mit Stadtheurigen. Serviert wird Hausmannskost, Veganes, Brettljause und Aufstrichplatte, alles mit regionalen Produkten aus heimischer Erzeugung.

Unangefochtener Platz 1

Im Trend liegt laut dem internationalen »Time Out«-Magazine auch der Brunnenmarkt und Yppenplatz in Ottakring. Das Magazin kürte das Grätzel 2019 auf Platz 34 der weltweit Top-50 Trendviertel. Bei den Wienern ist der Brunnenmarkt schon länger im Kommen. Jahrelang konkurrierte er mit dem Naschmarkt um Platz Eins. Mit über 85.000 Besuchern die Woche hat er alle anderen Märkte aber inzwischen weit hinter sich gelassen.

Auch die fixen Märkte wurden ausgebaut, wie der Karmelitermarkt in der Leopoldstadt, der in der Pandemie erweitert wurde – was so gut angenommen wurde, dass man ihn nicht wieder verkleinerte. Der Kutschkermarkt in Währing erhielt vier Stände dazu, der Bauernmarkt wurde über die Schopenhauerstraße hinaus vergrößert.

Nirgends sonst kann man so weit strandeln, schauen, kosten und günstig einkaufen wie auf der fast ein Kilometer langen Marktmeile. Gehandelt wird bei über 170 Ständen mit Kaffee, Kalbfleisch, Käse und frischen Obst und Gemüse. Was auch zum Bild des Brunnenmarkts gehört: die Stände für Kleidung, Geschirr und anderen Klimbim, von dem man nicht wusste, dass man ihn braucht.

Am Brunnenmarkt sind 46 verschiedene Nationen vertreten, viele auch kulinarisch: Lamm- und Rindfleisch-Kebab, syrische Fleischspieße vom Holzkohlegrill, ofenwarmes und gefülltes Fladenbrot oder Falafel mit Hummus und Baba Ganoush von »Ashraf – König der Bohnen« an Stand 64.

Die neuen am Yppenplatz

Zu den türkischen und arabischen Geschäftsleuten haben sich auf Höhe des Yppenplatzes moderne Street Food-Stände und Pop-ups inklusive keiner Schanigärten gesellt, wie die „Tackerei“ an Stand 121. Am Nachbarstand »S'Cazzo« von Anna-Sophie Müller gibt es Schweinsbraten im Wachauer Weckerl oder Raclette-Semmel mit Jumi Käse, während gegenüber bei »Garbanzo« (deutsch: Kichererbsen) alles vegan ist.

Im Kontrast zur chaotischen Marktmeile wirkt der Yppenplatz fast schon idyllisch und das obwohl sich hier in kürzester Zeit gastronomisch so viel getan hat, wie nirgends sonst in Wien. Der Verein Speisen ohne Grenzen ist in ein ehemaliges Gasthaus an der Ecke Payergasse eingezogen, wo ab sofort auch Brunnenmarkt-Kenner Unbekanntes kosten können. Neu übernommen wurde auch die ehemalige Völlerei in der Schellhammergasse 15 und heißt jetzt »Sanny & Michi. Das Wirtshaus am Yppenplatz«. Gekocht wird traditionelle Wiener Küche aus regionalen Zutaten und saisonal.

Chinesische Küche vom Nudelroboter

Nicht ganz leicht zu finden, aber die Suche danach wert, ist die nordwestchinesische Küche von »Nan's« in der Marktzeile am Brunnenmarkt 142. Am Hochtisch direkt am Fenstern kann man das Geschehen vor der Tür besonders gut beobachten, spannend ist aber der Blick in Richtung Küche. Zwischen den Küchengeräten erspäht man den Kopf des Nudelroboters »NooBot«, der von Hals aufwärts einer Schaufensterpuppe ähneln und brav eine Kochmütze am Kopf trägt.

Der Teig für die traditionellen Dao Xiao-Nudeln wird täglich von Hand frisch zubereitet, der Roboter ist für das Schneiden der Nudeln zuständig. Wie in einer fließenden Handbewegung schabt ein scharfes Spezialmesser dünne Streifen aus der Teigmasse und schupft sie direkt ins kochende Wasser.

Die Nudel selbst ist innen zart, außen bissfest und geschmeidig. Darüber kommt eine Sauce nach Wahl mit würzigem Rindfleisch, geschmortem Bauchfleisch oder Sesamsauce. Die letzte Nudelvariante ist auch beim Mittagsmenü für 12,85 Euro enthalten und zahlt sich inklusive Miso Suppe und einem Macaron auf jeden Fall aus. Oder man kostet die saisonale Kreation.

Die Trüffel kommen im Aktenkoffer

Lokalmeile und Nahversorger ist auch der Naschmarkt, Kritiker würden auch Fressmeile oder Touristenfalle sagen. Jeder kennt ihn, war schon einmal hier oder hat eine Meinung dazu. Über 55.000 Besucher pro Woche machen ihn zum zweitbeliebtesten Markt und das nicht grundlos.

Mit frischem Obst und Gemüse versorgte seit gut 60 Jahren das Ehepaar Himmelsbach, Kabarettist Alfred Dorfer half hin und wieder beim Verkauf aus. Nun ist das Paar in Pension gegangen, ihr Betrieb wird aber weitergeführt. Erkan Umar handelt mit den besten Fischen und Meeresfrüchten und serviert sie auch in der zum Geschäft gehörigen »Umar Fisch Bar«.

Dorfcharakter ist auch noch am Naschmarkt zu finden, man muss nur wissen wo. Zum Beispiel in der Greißlerei und Vinothek von Familie Urbanek an Standnummer 46. Das Generationengeschäft existiert seit 1946 und ist die Adresse für Schinken, Wurst, Käse und Wein. In der dreizehn Quadratmeter kleinen Greißlerei rennt der Schmäh, vor allem wenn Gerhard Urbanek mit seinen Söhnen hinter der Budel steht. Wer hier einkauft, bleibt gerne noch auf ein Achterl und begegnet dabei mit etwas Glück dem Trüffellieferant, der die kostbare Ware im Aktenkoffer transportiert.

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Verena Richter
Autor
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