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Lindert Naturwein die Kopfschmerzen am nächsten Morgen wirklich?

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Naturweinen wird nachgesagt, gesünder als konventionelle Weine zu sein. Doch punkten sie auf voller Länge? Und warum kann der Natural Wine gerade als Speisenbegleiter schwierig sein? Jene, die sensibel auf Histamin reagieren, tun mitunter gut daran, die Finger von ihm zu lassen.

Beim ersten Schluck Natural Wine denken viele an einen Fehler. Vor mehr als 20 Jahren war das zumindest bei mir der Fall. Der Kellner versuchte freundlich, aber doch vergeblich, der Reklamation zu entgegnen und mich von den Besonderheiten des trüben Tropfens zu überzeugen. Ich bestand auf Ersatz – und war damals wahrscheinlich nicht die Einzige. Erst viele Jahre später näherte ich mich wieder der Kategorie – und erkannte: Die Weine sind keine Single Sipper, die gehören zum Essen (zumindest für Einsteiger). Und da können sie richtig gut passen. Chapeau! Die Wahrscheinlichkeit, dass einem die Weine in den Kopf steigen, sei zudem geringer, heißt es. Was ist da dran?

Eine strenge Definition für Naturweine gibt es nicht. Daher werden natürlich auch Produkte in einen Topf geworfen, die durchwegs recht unterschiedlich sein können. Üblicherweise bezieht sich der Begriff auf die Weinproduktion im biologischen Anbau, durch Spontanvergärung mit wilden Hefen, niedrige Endkonzentrationen an Sulfiten und generell auf eine Vinifikation mit geringer Intervention. Die Weine sind daher weder geklärt noch filtriert, was bedeutet, dass alle Mikroben und Proteine verbleiben. Der Gehalt an Trockenextrakt ist höher als in konventionellen Weinen, es sind mehr Ballaststoffe, Polyphenole und Mineralien enthalten. »Gesünder« sind sie deswegen nicht zwingend. Gerade bei alkoholischen Getränken ist das ohnehin immer eine Frage der Dosis.

Weniger Alkohol im Blut

Doch die höhere Menge an Trockenextrakt führt dazu, dass die Passage im Magen etwas länger dauert, weshalb der Alkohol langsamer absorbiert wird. Das hat Auswirkungen auf den Blutalkoholspiegel, wie eine Vergleichsuntersuchung von zwei trockenen Weißweinen – einmal konventionell und einmal Natural Wine – aus derselben Rebsorte und Gegend, mit identem Alkoholgehalt und aus demselben Jahr zeigte. Dafür hatte eine Gruppe von jungen Männern unter vorgegebenen Standard­bedingungen im Abstand von einer Woche einmal zwei Gläser des konventionellen und einmal zwei Gläser des Naturweins zu trinken (jeweils 24 Gramm Alkohol).

Für die folgenden zwei Stunden wurde regelmäßig ihr Blutalkoholspiegel gemessen. Der Natural Wine ließ den Blutalkoholspiegel langsamer ansteigen, zudem blieb dieser am Maximum bei 44 Prozent der Teilnehmer unter 0,5 Promille. Beim konventio­nellen Wein lag die Kurve bis 80 Minuten nach dem Konsum stets höher. Und: Nur 33 ­Prozent der Teilnehmer hätten noch Auto fahren dürfen. Tatsächlich kann es also sein, dass mit Natural Wine die Kopfschmerzen am nächsten Tag geringer ausfallen.

Knackpunkt Histamin

Oft wird diskutiert, ob es die Sulfite seien, die den Weingenuss einschränken. Doch auch sulfitarme Tropfen können Kopfzerbrechen bereiten. Denn häufig liegt es am Histamin, das Probleme macht. Bei hista­minintoleranten Menschen ist entweder zu wenig vom abbauenden Enzym – der Diaminoxidase – vorhanden oder die Funktion ist unzureichend. Nach Käse, Salami oder Wein klagen sie über Symptome: eine rinnende Nase, hoher Puls, Kopfweh, Schwindel, ein rebellierender Magen oder rote ­Pusteln im Gesicht und auf den Armen. Naturweine können aus mehrerlei Gründen höhere Gehalte an Histamin aufweisen als konventionelle Weine, vor allem Weißweine. So scheinen die wilden Hefen zu höheren Histaminkonzentrationen zu führen, die durch lange Mazerationszeiten ebenso begünstigt werden. Schließlich gehen mehr Bakterien von den Schalen und Stängeln in die Maische über. Auch ein oxidativer Ausbau und längere Reifezeiten gehen mit gesteigerten Histamin­niveaus einher.

Eng verbunden mit dem Histamingehalt ist zudem der Säuregrad: Je niedriger der pH-Wert, je höher also die Säure, desto geringer ist tendenziell der Histaminwert. Dieser hängt also stark von Rebsorte und Klima ab. Das ist auch für die malolaktische Gärung (den biologischen Säureabbau) relevant, weil der Abbau der eher spitzen Apfelsäure in die mildere Milchsäure je nach pH-Wert von unterschiedlichen Milchsäurebakterienarten bewerkstelligt wird. So bilden säurearme Weine eine ideale Umgebung für die Vermehrung von histaminproduzierenden Milchsäurebakterien. Dagegen sind in Weinen mit hoher Säure jene Bakterien am Arbeiten, die weniger Histamin produzieren. Neben der Vinifikation sind daher Rebsorte und geografische Lage Faktoren, die den Histamingehalt beeinflussen. Cool-Climate-Weine mit guter Säurestruktur haben mit Blick auf das His­tamin Vorteile.

Ausschüttung minimieren

Auslöser für Beschwerden sind jedoch nicht zwingend Getränke oder Lebensmittel, die Histamin selbst liefern, wie gereifte Käse, Rohschinken oder Anchovis. Erdbeeren, Schokolade, Walnüsse, Cashewkerne sowie Zitrus- und Meeresfrüchte, Tomaten und andere glutamathaltige Lebensmittel wie Pilze oder Parmesan fallen in die Kategorie der sogenannten Histaminliberatoren.

Das heißt: Sie fördern die Freisetzung von körpereigenem Histamin, was ebenfalls zu einer Belastung führt. Alkohol tut das auch und hemmt noch dazu das histamin-abbauende Enzym. Außerdem erhöht er – genauso wie scharfe Gewürze – die Durchlässigkeit der Darmwand, wodurch Histamin aus dem Verdauungstrakt in den Blutkreislauf gelangt und eine sonst niederschwellige Dosis plötzlich Beschwerden verursachen kann.


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Erschienen in
Falstaff Nr. 05/2024

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Marlies Gruber
Autor
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