© Shutterstock

Cortis Heimatliebe: Jetzt Matjes essen!

Kulinarik
Fisch
Rezept

Wer in alten Kochbüchern nachliest, erkennt: Wildfang aus dem Meer hat auch bei uns im Binnenland jahrhundertelange Tradition – und speziell natürlich solcher, der schon auf hoher See für längeren Transport fit gemacht wird. Die Rede ist natürlich vom Matjes, der dieser Tage ganz frisch aus dem Fass kommt.

Am 19. Juni wurde in ­Holland die diesjährige Matjessaison eingeläutet, als im Hafen von Scheveningen das erste Fass frisch in Salz eingelegter und mittels Enzymen aus der Bauchspeicheldrüse fermentierter, gerade noch jungfräulicher und ergo besonders fett­reicher Heringe aus der Nordsee versteigert wurde. Der eingesalzene Fisch ist von alters her dafür gemacht, auch über weite Strecken, selbst in alpine Gefilde, transportiert zu werden, und gehört deshalb – ähnlich wie der Stockfisch – zu jenen Meeresfischen, die auch in Binnengebieten zur kulinarischen Tradition zählen. Und zwar nicht von ungefähr: Der frisch aus dem Fass gefischte, vor dem Gast ­gerissene (und so seines Rückgrats samt Gräten entledigte) Fisch vermag nämlich auf eine Art Meeresfrische zu vermitteln, wie das dem Binnenbewohner sonst lange verwehrt geblieben ist. Dass der Fettfisch vor ­Omega 3 und anderen Lebensverschönerern nur so strotzt, schmeckt man mit jedem Bissen, auch umwelttechnisch ist nicht wirklich relevant, was unsereins Alpinlandler den Thunfischen, Delfinen und sonstigen Killerwalen im Lauf der ­kurzen Saison wegfrisst. Es gibt also echt keinen Grund, sich die Vitamin-E-Speicher jetzt nicht dick anzulegen!

Wobei: Mit der Verfügbarkeit hapert es leider. Zwar sind Matjes-Doppelfilets längst das ganze Jahr über verfügbar, weil sie, wegen möglicher Parasiten, ohnehin vor dem Verkauf tiefgekühlt gewesen sein ­müssen. Was gewöhnlich als frischer Matjes verkauft wird, ist aber in fast allen Fällen vor dem Frieren gekehlter und gerissener Fisch – und der kann, wiewohl nicht schlecht, dem als ein Ganzer ins Salzfass gelegten geschmacklich so gar nicht das Meerwasser reichen. Fässer lassen sich in Wien nur drei Betriebe anlanden: »Fisch Gruber« am ­Naschmarkt einerseits, der Nobel-»Billa« am Hohen Markt andererseits – und der »Graben-Meinl«. Leider ist der Vor-Ort-Verzehr seit der Verkleinerung dort nicht mehr möglich. Dabei war die Matjessaison im alten »Meinl« mit dem Imbiss bei der Fischabteilung so etwas wie das Paradies. Da wurde dieser nominell so bescheidenen, von Kennern aber kaum hoch genug ­einzuordnenden Delikatesse so richtig der Teppich ausgerollt. Zu Beginn der Saison gab es stets einen speziellen Stand im ersten Stock, wo die Fische frisch gerissen wurden, um ihnen mit nichts als einem Pfiff Bier und – falls gewünscht – etwas Jour­gebäck und gehackter Zwiebel zu Leibe zu rücken.

Besser als Jourgebäck ist zwar knuspriges Schwarzbrot, besser als Zwiebel frische Butter – die konnte man sich aber problemlos in den dafür vorgesehenen Abteilungen schnappen und hinterher bezahlen. Wer sich den Fisch für zu Hause einpacken lässt, muss schnell sein: Das berückend frische Meeresaroma hält nur bei ununterbrochener Kühlkette – und auch dann nur bis zum selben Abend, maximal! Wer das einzigartige Glück des Fassl-Sashimi erleben will, sollte sich deshalb, wenn das Wetter passt, gleich die nächste Sitzgelegenheit suchen – Scheibe Brot und Butter sowie ein kühles Blondes nicht vergessen!

Zum Glück aber gibt es seit diesem Jahr Abhilfe: Gerald König hat in seinem ­Delikatessengeschäft in der Servitengasse ein Fass stehen, da wird auf Bestellung frisch filetiert und fachgerecht serviert. Was soll man sagen: Das Paradies ist in den neunten Bezirk umgezogen! Für daheim, und falls die frischen Filets schon kurz warm geworden sein sollten, empfiehlt sich die Vorrichtung als klassischer Matjes nach Hausfrauenart mit Apfel, Zwiebel und Sauerrahm. Im Originalrezept gehören noch Essiggurkerl dazu und, ganz wichtig, eine gute Prise gehackter Wacholder sowie helle Senfkörner. Dazu schmecken ganz heiße, frisch geschälte (oder auch heurige geschrubbte) Erdäpfel am besten. Wer statt des eigentlich angezeigten Biers auf Wein zu dieser Delikatesse besteht: Ein straffer, würziger Welschriesling wie der Pro von Gross, der Olaszrizling von Wachter-Wiesler oder auch jener von Heinz Velich funktionieren ganz wunderbar. Aber in Wahrheit will man dazu ein kühles ­Blondes und, weil es gar so gut dazu passt, einen schön würzigen, dickflüssigen ­Aquavit direkt aus dem Tiefkühler. Jenever geht natürlich auch, wir wollen ja nicht, dass die Holländer beleidigt sind!

ZUM REZEPT: MATJES HAUSFRAUENART


Nichts mehr verpassen!

Melden Sie sich jetzt für unseren Newsletter an.

Severin Corti
Severin Corti
Autor
Mehr zum Thema