Das »Noma« von Chefkoch René Redzepi gilt als das Kraftzentrum der »New Nordic Cuisine«, die weltweit die kulinarische Entwicklung der Sterneküche bestimmt.

Das »Noma« von Chefkoch René Redzepi gilt als das Kraftzentrum  der »New Nordic Cuisine«, die weltweit die kulinarische Entwicklung der Sterneküche bestimmt.
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20 Jahre New Nordic Cuisine: Ungebrochen visionär

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Dieses Jahr wird der 20. Jahrestag des Manifests der neuen nordischen Küche begangen – jenes Gründungsdokuments also, das einst den bemerkenswerten Aufstieg der »New Nordic Cuisine« auslöste. Seither ist viel passiert: Eine neue Generation von Köchen hat das Konzept weiterentwickelt, in dem sie nach Zutaten und Einflüssen jenseits der Grenzen suchen, ohne mit den Kernwerten des Manifests zu brechen. Falstaff hat die besten Restaurants im Norden gekürt – von Dänemark bis Finnland, von Schweden bis ins Baltikum.

Im Jahr 2004 trafen sich einige der angesehensten Köche des Nordens in Kopenhagen, um ein Manifest für eine neue nordische Küche zu verfassen. Das Ziel war die bewusste Etablierung eines Konzepts, das heute als »New Nordic Cuisine« bekannt ist. Traditionell hat die nordische Küche schon immer die Gaben der Natur genutzt. Ihr einen Namen zu geben und sie in die Speisekarten der Restaurants zu integrieren, war jedoch ein neuer Ansatz. 

Zu den wichtigsten Punkten des Manifests gehören Reinheit, Frische und Ethik zum Ausdruck bringen, mit saisonalen Zutaten arbeiten, die aufgrund des Klimas, der Landschaft und der Gewässer der Region besonders exquisit sind, guten Geschmack mit Wohlbefinden verbinden, die Vielfalt der nordischen Produkte und Erzeuger fördern sowie die besten nordischen Zubereitungsmethoden und kulinarischen Traditionen mit Einflüssen von außen vereinen. Dieser letzte Punkt hat in den letzten Jahren stark an Bedeutung gewonnen. Zu den Starköchen, die das Manifest unterzeichneten, gehören Erwin Lauterbach und René Redzepi aus Dänemark, Roger Malmin aus Norwegen, Hans Valimäki aus Finnland und Mathias Dahlgren aus Schweden.

DIE BESTEN RESTAURANTS IN SCHWEDEN

Weltweite Aufmerksamkeit

Das Manifest gab gewissermaßen den Anstoß. Es ging darum, mit dem zu arbeiten, was man vor sich hat, mit den lokalen Zutaten und der Kultur. Wir hatten viele talentierte Köche und erstaunliche Produkte, aber nicht viele Restaurants waren international bekannt. Wir wollten die Aufmerksamkeit der restlichen Welt auf die Region lenken.
Mathias Dahlgren

Damals leitete er das »Bon Lloc«, gefolgt vom »Matbaren« und dem »Matsalen« in Stockholm, 2023 rief er das »Seafood Gastro« ins Leben – alles Restaurants, die mit Michelin-Sternen ausgezeichnet sind. Im benachbarten Dänemark hatte René Redzepi gerade das »Noma« eröffnet, das Interesse an dem Restaurant war zunächst jedoch eher bescheiden. Damals ahnte noch niemand, dass die »New Nordic Cuisine« mit Chefkoch Redzepi als Aushängeschild weltweit führend werden würde. Das »Noma« stellt die Verwendung von gesammelten, fermentierten und konservierten Lebensmitteln sowie nachhaltige und ethische Beschaffungspraktiken in den Vordergrund, ein Ansatz, der es zu einem globalen gastronomischen Kraftzentrum mit eigenem umfangreichen Forschungs- und Entwicklungslabor gemacht hat.

Das Restaurant wurde mit mehreren Michelin-Sternen ausgezeichnet und von der renommierten Liste »World’s 50 Best Restaurants« mehrfach zum besten Restaurant der Welt gekürt. Während in den Anfängen der »New Nordic Cuisine« der Schwerpunkt auf lokalen Zutaten lag, hat sich in den letzten Jahren eine Verlagerung hin zur Einbeziehung globaler Einflüsse vollzogen, wobei das »Noma« und René Redzepi eine wichtige Rolle spielten. Im Jahr 2015 schloss das »Noma« vorübergehend und verlegte sein gesamtes Team für ein vielbeachtetes Pop-up nach Japan, ein Projekt, das monatelange Recherchen erforderte. Die Philosophie, die dem Manifest der neuen nordischen Küche zugrunde liegt, blieb erhalten, doch diesmal wurde der Ansatz im Kontext der japanischen Kultur erkundet. Nach Japan folgten Pop-ups in Australien und Mexiko. Die ausgedehnten Reisen und Recherchen verschafften der »New Nordic Cuisine«noch mehr Aufmerksamkeit und inspirierten das »Noma« dazu, Zutaten und Techniken mit in seine Küche in Kopenhagen zu bringen. Im Oktober wird das Restaurant erneut vorübergehend schließen und für ein Pop-up in das »Ace Hotel« in Kyoto umziehen. Zuvor hatte Redzepi angekündigt, das »Noma« Ende 2024 endgültig schließen zu wollen. Inzwischen haben sich die Pläne jedoch weiterentwickelt, und das Restaurant wird im Frühjahr 2025 zur »Ocean Season« doch wiedereröffnet. Danach will Redzepi das »Noma« in ein Food-Labor, das »Noma 3.0«, verwandeln. 

DIE BESTEN RESTAURANTS IN ESTLAND

Zur Internationalisierung der nordischen Küche trug auch bei, dass immer mehr Köche aus der ganzen Welt das »Noma« aufsuchten und später ihre eigenen Restaurants eröffneten, die oft Einflüsse aus der Küche ihrer Heimatländer enthielten. Rosio Sanchez, die Tochter mexikanischer Einwanderer in Chicago, studierte am Le Cordon Bleu und wurde 2010 aus Neugier auf eine völlig neue Art von Küche ins »Noma« gelockt. »Damals hatte das ›Noma‹ eine ganze Konditoreiabteilung, und es war, als würde man in einem Restaurant im Restaurant arbeiten«, sagt sie. »Wir servierten verschiedene Desserts, einen Käsegang, Petit Fours und gebackenes Brot«, schildert Sanchez, die durch das »Noma« auch viel über die dänische Esskultur, die Natur und die Zutaten lernte.

Einfluss der Heimat

Rosio Sanchez war auch Teil des ersten »Noma«-Pop-ups in Tokio und die rechte Hand von René Redzepi während des Pop-ups in Tulum im Jahr 2017. Heute betreibt Sanchez sechs Standorte, darunter die »Taqueria Hija de Sanchez« und das Restaurant »Sanchez«, die alle ein ausgeprägtes mexikanisches Profil haben. Die Gerichte enthalten aber auch Zutaten wie Bio-Käse aus einer kleinen Molkerei in Dänemark und Sanddorn, der anstelle der kleinen, würzigen Tomatillo verwendet werden kann. »Es war mein Ziel, die Menschen für mexikanisches Essen zu begeistern. Ich wollte, dass die Geschmäcker so authentisch wie möglich sind, aber auch dänische Produkte einbeziehen. Und jetzt, nach Jahren, fühle ich mich sicherer, wenn es darum geht, neue Wege zu gehen.«

Kristian Baumann ist ein weiterer Koch, dem es gelungen ist, dänisches und koreanisches Erbe miteinander zu verbinden. Chefkoch Baumann ist adoptiert, wurde in Korea geboren und wuchs in Dänemark auf. Heute leitet er das »Koan«, ein Restaurant, das nur zehn Wochen nach der Eröffnung mit zwei Sternen ausgezeichnet wurde. »Ich glaube, dass nicht nur die Köche, sondern auch die Gäste bereit sind für eine Weiterentwicklung der nordischen Küche. Viele unserer Gäste sind hoch gebildet und bereit für den nächsten Schritt. Das sieht man auch an den Restaurants in der Nachbarschaft und am Streetfood. Es gibt eine größere Vielfalt«, sagt er.

DIE BESTEN RESTAURANTS IN LITAUEN

Küchenchef Mathias Dahlgren von »Seafood Gastro« unterstreicht, dass seine kulinarische Inspiration schon immer über die nordische Region hinausging, und bestätigt, dass die »New Nordic Cuisine« in den letzten Jahren vielfältiger geworden ist. »Die Herangehensweise ist jetzt weniger dogmatisch, was eine willkommene Bereicherung für die nordische Restaurantszene ist«, bemerkt er. Dass die neue Generation junger Gastronomen eine größere Freiheit beim Kochen anstreben, ist wohl auch darauf zurückzuführen, dass sie mit der »New Nordic Cuisine«als Vorbild aufwuchsen und später Inspiration von außen suchten. Ein weiterer wichtiger Aspekt sind besser verträgliche Arbeitszeiten und ein gesundes Arbeitsumfeld, ohne dabei Abstriche bei der Qualität einzugehen. Deutlich wird das bei schwedischen Gastronomen von neo-bistro-inspirierten Restaurants wie dem »Triton« und dem »Bord«, allesamt Chefköche mit Erfahrung in Michelin-Sterne-Restaurants. »Die gehobene Gastronomie ist ein relativ festes Arbeitsumfeld. Es dauert länger, Änderungen umzusetzen, weil so viele Leute beteiligt sind«, sagt Joel Aronsson im »Bord«. Nach einem Gastspiel im Pariser »Early June« entschied er, lieber mit einer völlig flexiblen Speisekarte als mit einem langen Degustationsmenü zu arbeiten: »Ich kann das Menü ganz an die verfügbaren Zutaten anpassen.« Erik Eriksson vom Restaurant »Triton« ist der Meinung, dass es für junge Gastronomen wichtig ist, alle Bereiche des Lebens unter einen Hut zu bringen. »Wir lieben das Kochen, schätzen aber auch unser Privatleben und müssen vernünftig sein.«

Einige Trends stellte auch der Guide Michelin bei der diesjährigen Präsentation des Michelin-Führers fest: »Restaurants eröffnen in leichteren Betriebsformen, fast in Pop-up-Manier. Die Betreiber wollen ein Umfeld schaffen, in dem die Menschen gerne zur ­Arbeit kommen, und das ist großartig.«


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Erschienen in
Falstaff Nr. 05/2024

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Tove Oskarsson Henckel
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