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Rudi Bindella: «Vor 60 Jahren glaubte man, Pizza sei nur eine Mode»

1965 eröffnete Familie Bindella mit dem «Santa Lucia» die erste Holzofenpizzeria der Schweiz. Rudi Bindella sen., der das Geschäft im April 2023 an seinen Sohn Rudi Bindella übergeben hat, schaut zurück auf diese prägende Epoche und erklärt, warum Pizza nur vermeintlich ein einfaches
Gericht ist.

Falstaff: Das erste «Santa Lucia» wurde 1965 an der Zürcher Luisenstrasse eröffnet. Fast 60 Jahre später besteht die Holzofenpizzeria immer noch. Das ist beeindruckend!

Rudi Bindella sen.: Ja. Das ist eine spezielle Geschichte. Mein Vater hatte das Haus an der Luisenstrasse gekauft und beim Umbau noch nicht gewusst, was im Erdgeschoss passieren soll. Während des Umbaus hat ihm ein guter Freund, Diego Padlina, geraten, eine Pizzeria mit Holzofen zu eröffnen – er wäre damit der Erste in der Schweiz. Mein Vater liess sich schnell begeistern, obwohl er nicht die geringste Erfahrung hatte.

War es von Anfang an ein Erfolg?

Nein, in den ersten Jahren war es schwierig. Niemand interessierte sich für Pizza in Zürich. Wer je in Italien in den Ferien war, wusste natürlich, was eine Pizza ist, die meisten kannten das aber nicht. Man war der Ansicht, dass Pizza nur eine Mode sei und wieder verschwinden werde. Es brauchte mehrere Jahre, bis die Pizza wirklich akzeptiert war.

Dann ging es aber steil aufwärts. Welches war das zweite «Santa Lucia», das eröffnet wurde?

Ich kam 1975 ins Unternehmen, 1977 eröffneten wir das «Santa Lucia» in Oerlikon, 1978 das in Winterthur, 1979 kamen Altstetten und das im Niederdorf dazu, 1981 haben wir das Lokal am Paradeplatz eröffnet. Und so sind wir von Zürich aus gewachsen.

Pizza kann man einfach zubereiten und multiplizieren. Aber es gut umzusetzen ist anspruchsvoll.

Heute ist Pizza in aller Munde. Hat man ­diesen Grosserfolg damals irgendwie geahnt?

Mein Vater ist einfach reingesprungen. Doch eigentlich hätte man es ahnen können. Je einfacher die Zubereitung eines Gerichts ist, desto nachhaltiger ist es. Die Pizza ist eine simple Brotspeise. Für mich ist die beste Pizza die Marinara, wo es nichts drauf hat. Feiner Teig, Tomaten, Olivenöl und vielleicht etwas Gewürz – aber kein Käse. Wir bezeichnen das ja in der Küchenkultur als «die Kunst des Weglassens». Man fragt nicht: «Was braucht es?», sondern: «Was braucht es nicht?» Die Pizza ist da ein schönes Exempel hierfür.

Die Pizza an sich ist in den letzten Jahren ­einem starken Wandel unterzogen, auch ­stilistisch. Im «Santa Lucia» bleiben Sie sich treu. Wie schafft man das?

Ich denke, wir haben immer gut gemacht, was wir machen. Wir servieren eine knusprige Pizza, auch wenn im Moment die «echte Pizza Napoletana» im Trend ist mit dem weichen Teig und dem Leoparden­muster. Diese Art der Zubereitung mundet mir nicht so sehr, auch wenn wir in unserem «Più» in diese Richtung gehen. Die Pizza im «Santa Lucia» ist übrigens auch echt aus Napoli – aber halt ein anderer Stil. Der Stil ist zweitrangig, es geht darum, es gut und liebevoll zu machen.

Die Vielfalt an Pizza ist heute gross und mit ihr die Konkurrenz, die enorm gewachsen ist. Wie geht Bindella damit um?

Ja. Ab den 1980er-Jahren ist die Konkurrenz stetig gewachsen. Pizza kann man einfach zubereiten und multiplizieren. Wenn man also keine andere Idee hat, kann man gut eine Pizzeria eröffnen. Das ist schnell gesagt, aber es gut umzusetzen ist anspruchsvoll.

Im «Santa Lucia» von Familie Bindella kommt die Pizza aus dem Holzofen. Für Rudi Bindella ist diese Art der Zubereitung eine Kulturfrage.
© Matthais Keller
Im «Santa Lucia» von Familie Bindella kommt die Pizza aus dem Holzofen. Für Rudi Bindella ist diese Art der Zubereitung eine Kulturfrage.

Was ist daran anspruchsvoll?

Das Wichtigste in der Gastronomie ist aus meiner Sicht, Menschen zu finden, die einen Ort beleben und beseelen. Der Name «Santa Lucia» und ein guter Standort allein reichen für den Erfolg nicht aus. Und dann ist auch eine gute Pizza zu bereiten anspruchsvoller, als man meint. Umso einfacher ein Gericht oder ein Angebot ist, desto anspruchsvoller ist die Umsetzung. Es ist schade, dass man heute aus vielem einen Einheitsbrei macht, statt sich auf das Wesentliche zu konzen­trieren. Weniger wäre mehr.

Auch beim Pizzabelag?

Absolut. Ich glaube aber, es gibt immer eine Rück- und eine Vorbesinnung. Ich bin sicher, dass das Bewusstsein für eine gute, simple und gesunde Ernährung wiederkommt. Ich glaube, dass die Landwirtschaft auch mal wieder einen höheren Stellenwert haben wird. Im Moment ist der Trend eher gegenläufig, auch wenn man oft etwas anderes hört.

Ist das wirklich so? Die Leute wollen doch jetzt schon wissen, woher ihre Produkte kommen.

Ja. Sie wollen wissen, woher es kommt und wie es gemacht wird. Wenn man dann aber den Preis verlangt für die bessere Pflege, das Ursprüngliche und Unbehandelte, dann wird es schwierig. Man ist nicht bereit, mehr zu zahlen, was aber vielleicht noch kommt. Wir sind erst am Anfang dieser Entwicklung.

Das spürten Sie auch in einem Lokal wie dem «Santa Lucia»?

Zum Teil. Das «Santa Lucia» ist sehr breit aufgestellt. Jeder kann bei uns eine Pizza essen, die gibt es auch in vegetarisch und vegan. Wir wollen familienfreundlich sein. Die Kinder zahlen pauschal zehn Franken und können von der normalen Karte bestellen, worauf sie gerade Lust haben. Wir wollen den jungen Familien ermöglichen, auch mal auswärts essen zu können. Unser Preis-Leistungs-Verhältnis ist sehr attraktiv, auch im Vergleich mit der Konkurrenz. Wir sind etwas günstiger, und das möchten wir auch so bewahren.


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Erschienen in
Falstaff Nr. 04/2024

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Benjamin Herzog
Benjamin Herzog
Chefredaktion Schweiz
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