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Rosina Ostler: »Menschen müssen alles immer in eine Schublade stecken«

Rosina Ostler übernahm im Dezember 2023 die Position der Küchenchefin im »Alois – Dallmayr Fine Dining« in München. Die Zwei-Sterneköchin prägt seitdem die kulinarische Landschaft des Restaurants mit ihrer ganz eigenen Handschrift, die sie selbst erst lernt, in Worte zu fassen. Im Interview zieht Ostler eine erste Zwischenbilanz, definiert ihre Kochphilosophie – und gibt Einblicke in ihre Teilnahme als Jurymitglied beim »S.Pellegrino Young Chef Academy« Award.

Frau Ostler, Sie sind nun genau seit einem halben Jahr Küchenchefin im Münchner »Alois – Dallmayr Fine Dining«. Wie fällt Ihre Zwischenbilanz aus?

In diesem halben Jahr hat sich unheimlich viel getan. Obwohl ich sehr hohe Ansprüche an mich selbst stelle, bin ich ein wenig stolz darauf, was wir als Team in dieser Zeit bereits erreicht haben. Wir haben uns als Team gefunden, kreieren viel gemeinsam – und haben dabei unheimlich viel Spaß. Ich würde auch sagen, dass sich mein persönlicher Stil viel deutlicher herausgebildet hat. Das aktuelle Menü spiegelt meine Kochphilosophie viel mehr wider, und ich fühle mich damit als Köchin viel wohler, als es vielleicht noch beim ersten Menü der Fall war.

Ihre kulinarische Handschrift wurde anfangs als bayerisch mit skandinavischem Touch beschrieben. Dem haben Sie nie zugestimmt?!

Ich kämpfe sehr damit, dass Menschen oft dazu neigen alles immer in eine Schublade stecken zu müssen. Obwohl ich aus München stamme und gerne regionale Produkte verwende, würde ich unser Menü nicht auch nur annähernd als bayerisch beschreiben.

 

Es ist immer schwierig die Feinheiten der eigenen Handschrift in Worte zu fassen.

 

Wie würden Sie ihren Kochstil denn beschreiben?

Mein Kochstil ist eine Mischung aus meinen verschiedenen Stationen und meinen persönlichen Vorlieben für Geschmack und Ästhetik. Meine Küche ist präzise, kreativ und mutig, besonders in der Verwendung von starken Aromen und ungewöhnlichen Kombinationen. Sie ist oft überraschend. Deshalb kann ich sie auch nicht einem bestimmten Land zuordnen. Meine Ausbildung basierte auf der französischen Küche, wurde aber durch nordische Einflüsse und moderne Kochtechniken erweitert, einschließlich Einlegen und Fermentieren. Es ist immer schwierig die Feinheiten der eigenen Handschrift in Worte zu fassen – unsere Gäste bestätigen mir aber, dass sie meine Persönlichkeit im Menü klar erkennen können.

Welche Gerichte aus dem aktuellen Menü spiegeln Ihrer Meinung nach am besten Ihren persönlichen Stil wider und würden Sie als »100 Prozent Rosina Ostler« bezeichnen?

Unser neuer Hauptgang: Maibock, also ein junger zweijähriger Rehbock. Der Rücken wird einmal gegrillt, rosa serviert – und aus den anderen Teilen des Rehs stellen wir eine Nduja her, also eine pikante Wurst, bekannt aus Kalabrien. Dazu servieren wir Weinbergpfirsich und Tahin. Das Gericht ist äußerst präzise gearbeitet, geschmacklich sowohl kraftvoll als auch mutig, dank der intensiven Schärfe, einer ausgewogenen Säure und der Süße. Dabei steht der Rehbock als Produkt im Mittelpunkt und wird durch die Sauce und die Wurst auch ganzheitlich verarbeitet. Die Freiheit in der Kreation sowie Weltoffenheit, gepaart mit Regionalität, Saisonalität und Nachhaltigkeit – das alles zu verbinden ist mir in meiner Küche sehr wichtig.

Maibock – Weinbergpfirsich – Tahin
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Maibock – Weinbergpfirsich – Tahin

Sie haben die Ausbildung zur Köchin vergleichsweise spät begonnen und zuvor nur als Hobby gekocht. Wann haben Sie entschieden, dass Sie das Kochen zu Ihrem Beruf machen wollen?

Im Bachelorstudium. Ich habe Medienmanagement studiert, aber in jeder freien Minute gekocht und angefangen selbst Rezepte zu schreiben, und auf einem Blog zu teilen. Bald kamen die ersten Anfragen, ob ich nicht als Privatköchin für Geburtstagsfeiern arbeiten möchte. Mein Studium wurde dann zur Nebensache. Spätestens nach einem Praktikum bei einem Profikoch war klar, dass ich meine Leidenschaft zum Beruf machen will. Ich wollte eigentlich direkt nach meinem Abschluss eine Ausbildung zur Köchin beginnen.

Eigentlich. Stattdessen zog es sie zunächst nach Italien, wo sie einen Master in Food Culture and Communication absolviert haben. Warum?

Ich wollte meine akademische Laufbahn kulinarisch beenden. Obwohl mein Studium nicht direkt mit dem kulinarischen Handwerk verbunden war, habe ich enorm viel über die Hintergründe der Branche und über Lebensmittel gelernt. Der Besuch von Produzenten hinterlässt einfach einen nachhaltigen Eindruck, wenn man sieht, wie Produkte entstehen. Zum Beispiel hatte ich die Gelegenheit, im Rahmen meines Studiums einen Bauernhof in Kalabrien zu besuchen, der Nduja herstellt. Jetzt stellen wir diese Wurst selbst her und können dabei auch Teile des Tieres verwenden, die sonst keine Verwendung finden würden.

 

Als es im Juli hieß, Max Natmessnig verlässt das Alois, hatte ich die Stelle ab da immer im Hinterkopf.

 

Nach Ihrer Ausbildung in der »Traube Tonbach« haben Sie drei Jahre in Norwegen verbracht, unter anderem im Drei-Sterne-Restaurant »Maaemo« in Oslo. Anschließend haben Sie sich – ganz klassisch – bei Dallmayr beworben. Ein ungewöhnlicher Schritt für eine Sterneköchin, finden Sie nicht?

Ich entschied mich für diesen Beruf, um kreativ zu sein. In Norwegen hatte ich diese kreative Freiheit aber nicht wirklich. Obwohl ich dort schließlich zur Küchenchefin eines Drei-Sterne-Restaurants wurde, stellte sich nach einiger Zeit die Frage: Was kommt als Nächstes? Zu dem Zeitpunkt war ich seit fast 10 Jahren nicht mehr in München und wollte gerne an einem Ort ankommen, an dem ich selbst entscheiden kann, wie ich koche, was ich koche und wie es angerichtet wird. Als es im Juli hieß, Max Natmessnig verlässt das Alois, hatte ich die Stelle ab da immer im Hinterkopf. Über zwei Monate später schrieb ich eine E-Mail an den gastronomischen Leiter von Dallmayr, um herauszufinden, ob sie generell Stellen im Unternehmen frei haben, die zu mir passen könnten.

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Zu dem Zeitpunkt lief die Suche nach einem Nachfolger für Max Natmessnig schon einige Monate…

Ich habe auch befürchtet zu spät zu sein, aber am nächsten Tag erhielt ich die Rückmeldung, dass die Stelle des Küchenchefs im Alois noch nicht final entschieden war. Die Geschäftsleitung bei Dallmayr hatte sich Zeit für die Nachbesetzung genommen und verschiedene Runden an Interviews mit den Kandidaten geführt. Mitte November erhielt ich dann die Zusage und wurde gefragt, ob ich nicht bereits im Dezember anfangen könnte. 10 Tage später habe ich im Alois angefangen.

Wie sieht Ihre kulinarische Zukunft aus? An welchen Projekten arbeiten Sie als Nächstes?

Erst einmal sind wir überaus glücklich, dass wir die zwei Sterne, die das Restaurant bereits vor meiner Zeit hatte, erfolgreich halten konnten. Während meiner Zeit in Norwegen konnte ich eng mit Lieferanten, Produzenten und Bauernhöfen zusammenarbeiten. Das ist für mich natürlich auch im Alois sehr wichtig. Wir profitieren aber auch stark von der Produktkompetenz und dem Lieferantennetzwerk des Delikatessenhauses. Das gibt mir die Freiheit, auf die besten Produkte für meine Gerichte zuzugreifen und immer wieder Neues auszuprobieren. Trotz dieses großartigen Netzwerks bin ich weiterhin offen für interessante Lieferanten und sammle auch selbst gerne Zutaten wie Kräuter oder Pilze. Zudem haben wir gerade neun Hochbeete auf der Terrasse hinter der Küche angelegt, um unsere eigenen Kräuter und essbaren Blüten anzubauen.

Abseits des Alois sind sie Teil der Jury des »S.Pellegrino Young Chef Academy Awards« 2024. Wie wichtig ist Ihnen diese Rolle als Förderin junger Talente in der Gastronomie?

Die Förderung junger Talente in der Gastronomie liegt mir sehr am Herzen, und meine Rolle als Jurymitglied ist mir daher besonders wichtig. Es bereitet mir große Freude, den Nachwuchs – sowohl junge Frauen als auch Männer – zu unterstützen. Schließlich ist es noch nicht lange her, dass ich selbst Jungköchin war. Die Teilnahme an Wettbewerben war für mich immer eine wertvolle Erfahrung, die maßgeblich zu meiner persönlichen und beruflichen Entwicklung beigetragen hat. Man wächst und reift durch solche Herausforderungen. Besonders erfreulich wäre es natürlich in Zukunft mehr Frauen in führenden Positionen zu sehen und Kolleginnen zu haben, mit denen ich mich austauschen kann. Ein vielfältigeres Bild in der Gastronomie wäre bereichernd und könnte ein inspirierendes Vorbild für viele junge Talente sein.


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»S.Pellegrino Young Chef Academy Award«

Die Bewerbungsphase für den Wettbewerb endet am 19. Juni 2024. Ausgetragen wird der Vorentscheid am 19. November 2024 in Köln. Vorausgesetzt für die Teilnahme wird ein Alter zwischen 18 und 30 Jahren und mindestens ein Jahr Erfahrung als Küchenchef, Sous Chef oder Chef de Partie.

Zehn Nachwuchsköche werden am deutsch-österreichischen Vorentscheid des »S.Pellegrino Young Chef Academy« (SPYCA) Wettbewerbs teilnehmen. Welche der Nachwuchstalente ins internationale Finale einziehen dürfen, entscheidet die Jury bestehend aus The Duc NgoHeinz ReitbauerRosina OstlerDaniel Gottschlich und Julia Komp. In diesem Jahr steht der Wettbewerb unter dem Motto »Bring your future to the table« – und soll auch in die Umsetzung der Gerichte einfließen.

Anna Wender
Anna Wender
Redakteurin
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