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Cortis Küchenzettel: Lissabons poetische Venusmuscheln

Kulinarik
Kolumne
Muscheln

In Lissabon werden die unvergleichlich fleischigen Venusmuscheln aus der Tejo-Mündung vorzugsweise nach Art des Dichters Bulhão Pato genossen – und diese ist nicht nur ganz einfach, sondern es tatsächlich wert, schleunigst ausprobiert zu werden!

Die Portugiesen haben’s gut. Die Küsten zwischen der Algarve im Süden und der berühmt pittoresken Mündung des Grenzflusses Minho im Norden bergen eine Fülle an erstklassigen Meeresfrüchten, wie man sie im Rest der Welt sehr lange suchen muss – und in Europa sonst überhaupt nirgends finden kann.

Schätze des Atlantiks

Was da an prachtvollen roten und rosa Wildgarnelen in allen erdenklichen Größen aus der Gischt des Atlantiks geholt wird, was auf den Märkten für kapitale Langusten und Hummer bereit liegen, was da für Entenmuscheln (eigentlich: Rankenfußkrebse) von waghalsigen Sammlern aus den Felsen über der Brandung gebrochen und massive Jakobsmuscheln (»Vieiras«) aus den Tiefen geholt werden!

Das kalte Wasser und die ganz generell herausragende Wasserqualität sorgt für festen Biss und klar definierten Geschmack, wie man ihn in dieser Vielfalt und Pracht nur hier (und, mit Abstrichen, im spanischen Galizien, etwas weiter nördlich) finden kann. Die Muscheln und Mollusken, die unglaubliche Vielfalt der Fische, die Zartheit der Kalmare und die Pracht der Oktopoden sind da noch gar nicht erwähnt.

Der Aufstieg der Amêijoas zur Nationaldelikatesse

In und um Lissabon bietet der Tejo mit seiner Mündung in den Atlantik, dem umgedrehten Delta, den starken Gezeiten und den endlosen Sandbänken geradezu paradiesische Voraussetzungen für einen Überfluss an Venusmuscheln und anderen Mollusken. Im Mündungsgebiet, das von starken Gezeiten charakterisiert ist, werden seit Menschengedenken Unmengen herrlichster Muscheln gesammelt. Sie waren über Jahrhunderte die Lebensgrundlage der Armen der Stadt.

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Heute hat sich das gewandelt und die besonders fleischigen, zarten »Amêijoas« der Tejo-Mündung, wie die Venusmuscheln auf portugiesisch heißen, sind längst eine begehrte Spezialität. Als »Amêijoas à Bulhão Pato«, nach der Art des gleichnamigen Dichters, gelten sie gar als Nationalgericht.

Der Legende nach soll Bulhão Pato, der neben den schönen Worten auch dem guten Essen und den geistvollen Getränken zugetan war, Ende des 19. Jahrhunderts die Idee gehabt haben, die Muscheln statt mit Petersilie mit dem aus den portugiesischen Kolonien bekannten Koriander zu würzen – und statt Weißwein Zitronensaft als fruchtig-sauren Kontrapunkt einzusetzen. Das schmeckt auf geradezu frappierende Weise anders – und gut!

Die Kunst der einfachen Küche

Heute lässt sich so etwas auch als kulturelle Aneignung lesen. Nur: Das gilt wohl für die gesamte Geschichte des guten Essens. In jedem Fall ist es faszinierend, wie essenziell sich das Wesen des Gerichts durch solch scheinbar kleine Veränderungen gewandelt hat.

Die Frische der Zitrone und die aromatische Kraft des Korianders verbinden sich auf geradezu magische Weise mit der süßen, jodigen Zartheit der Muschel, die gebratene Knoblauchzehe schiebt dazu mit karamelligen Umaminoten an – und was herauskommt, ist eines der ganz großen, endgültigen und ganz einfach zu machenden, bei uns seltsamerweise aber kaum bekannten Gerichte der Meeresküche. Das hat freilich auch sein Gutes: So lassen sich selbst anspruchsvollste Dinnergäste mit solch einem ganz einfachen Gang sehr beeindrucken.

REZEPT: AMÊIJOAS À BULHÃO PATO – VENUSMUSCHELN À BULHÃO PATO


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Erschienen in
Falstaff Nr. 06/2024

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Severin Corti
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