Das Alto Douro mit seinen eindrücklichen Rebterrassen gehört seit 2001 zum UNESCO-Welterbe.

Das Alto Douro mit seinen eindrücklichen Rebterrassen gehört seit 2001 zum UNESCO-Welterbe.
© Joao Galamba / dpa Picture Alliance / picturedesk.com

Shootingstars: Wie Portugals Weine den Weg zur Spitze schafften

Portugal
Weingut
Winzer

Portugal ist das wohl dynamischste Weinland unseres Kontinents: In gerade mal 50 Jahren mauserte sich das Land vom Produzenten einfachster Weine für die eigene Bevölkerung zum waschechten Konkurrenten renommierter Weinnationen. Der Erfolg fußt auf unzähligen autochthonen Rebsorten, althergebrachten, unverfälschten Weinbereitungsmethoden und innovativen Winzern, die diese in die Moderne tragen.

Am 25. April 1974 endete eines der dunkelsten Kapitel Portugals. An diesem Tag im Frühling ging die Movimento das Forças Armadas in Lissabon auf die Straßen, um die Kontrolle über die Stadt zu erlangen. Die Zivilisten folgten, demonstrierten friedlich und innerhalb von nur 15 Stunden brach eine der ältesten Diktaturen Europas zusammen. Fast ein halbes Jahrhundert lang hatte das Regime um Diktator António de Oliveira Salazar das Land am westlichen Rand unseres Kontinents isoliert und die Bevölkerung verarmen lassen. Inmitten der Putschisten beschloss eine Kellnerin, die Gewehre des Militärs mit roten Nelken zu schmücken und gab so der Revolution unwissentlich ihren Namen: Die Nelkenrevo­lution war der Startschuss für gewaltige gesellschaftliche und wirtschaftliche Veränderungen im Land.

Innerhalb von nur 12 Jahren wurde Portugal Mitglied der EU, was nicht nur auf die hiesige Weinwirtschaft immense Auswirkungen hatte. Aus Zeiten der Estado-Novo-Diktatur stammende Exportmonopole für Großkellereien und die gesetzliche Besserstellung von Genossenschaften fanden ein Ende, was privaten Weingütern beziehungsweise Quintas, wie sie in Portugal genannt werden, den Weg ebnete. Hierbei muss erwähnt werden, wie einschneidend dieser Schritt für das Land war, denn die 1937 gegründete Junta Nacional o Vinho hatte innerhalb von 20 Jahren vor allem im Norden Portugals über 100 Winzergenossenschaften gegründet. Interessanterweise brachte das Land trotz seiner selbst auferlegten Isolation während der Diktatur zwei der kommerziell erfolgreichsten Weine ihrer Zeit hervor: die leicht prickelnden, halbtrockenen Mateus Rosé und Lancers Rosé.

Im Zuge der portugiesischen Weinrevolution wurden aus reinen Traubenlieferanten, die ihre Ernte über Jahrzehnte hinweg an Großkellereien und Genossenschaften verkauften, vielfach Weinproduzenten – unterstützt und vorangetrieben durch Subventionen der EU und private Investoren, die neueste Kellertechnik und Know-how ins Land brachten. Vor allem in der Region Alentejo entstanden diverse Weingüter von Investoren aus anderen Branchen. Berühmtes Beispiel etwa ist der Großbetrieb Esporão, der dem einstigen Banker und Sportunternehmer José Roquette und dessen Familie gehört. Groß gemacht hat der Betrieb der australische Winemaker David Baverstock, der heute eine Art Legendenstatus im Land besitzt.

Unternehmertum und Kreativität fielen auf fruchtbaren Boden. Das alles wirkte sich natürlich auch auf die Weinqualität aus, und aus den häufig rustikalen, harschen oder oxidierten Stillweinen aus Südportugal wurden mehr als trinkbare Gewächse. Die Qualitätsrevolution lässt sich auch an der Entwicklung der portugiesischen Rebfläche festmachen: Von Ende der 1980er-Jahre bis zum letzten Jahr sank diese von unglaublichen 385.000 auf 182.000 Hektar. Trotz dieses Rückgangs ist die Reb­fläche Portugals noch heute größer als die von Deutschland, Österreich und der Schweiz zusammen, wobei die Landesfläche ungefähr der von Österreich entspricht.

Weinland für Entdecker

Portugal ist für entdeckungsfreudige Weintrinker zweifellos eines der faszinierendsten Weinländer überhaupt. Ein einzigartiger Mikrokosmos, der nahezu alles vereint, was man sich nur vorstellen kann. Die Weinbautradition des Landes reicht bis ins Jahr 2000 vor Christus zurück, als die ersten Reben von Tar­tessern, den Bewohnern des antiken iberischen Königreichs Tartessos im heutigen Andalusien, in der Region Tejo kultiviert worden sein sollen. Auch Griechen und Römer förderten den Weinbau in Portugal.
Im 19. Jahrhundert erlebte die Weinkultur eine Blüte und brachte, wie kaum irgendwo sonst, zahlreiche Weinautoren hervor, die schon damals differenzierte Analysen über die einzelnen Weinregionen niederschrieben. Heute wird in den elf offiziellen Weinregionen des Landes, die sich von der Algarve im Süden bis hoch zum Rio Minho an der spanischen Grenze ziehen, ein faszinierendes Weinspektrum geboten.

Alleine die rund 250 autochthonen Rebsorten, die im Land kultiviert werden, suchen weltweit ihresgleichen. Viele von ihnen stammen aus dem frühen Mittelalter oder sind sogar noch älter. Die Zeit hat es ihnen ermöglicht, sich perfekt an das jeweilige Terroir anzupassen. Im Zuge des Klimawandels stoßen aber auch die autochthonen Rebsorten Portugals, von denen viele Hitze und Trockenheit gut vertragen, an ihre Grenzen. In den letzten Jahren war es in Regionen wie dem Alentejo oder Douro sogar so heiß, dass Winzer Ernteausfälle verbuchen mussten. Eine Entwicklung, die von den hiesigen Produzenten seit vielen Jahren aufmerksam beobachtet wird, inklusive richtungsweisender Forschungsarbeiten zu Maßnahmen, die dem entgegenwirken können. Dazu zählt unter anderem die Wiederbelebung einiger widerstandsfähiger Rebsorten, die in den traditionellen portugiesischen Field Blends vorkommen.

Autochthon

Wichtigste Traubensorte Portugals ist Touriga Nacional, die unter anderem traditionell im Dourotal angebaut wird. Dort ist sie eine der fünf Leitrebsorten, die ab den 1970er-Jahren aus Dutzenden alteingesessenen Rebsorten gezielt selektioniert und anschließend im großen Stil angebaut wurden. Zu diesen gehören auch Tinta Roriz, wie Tempranillo in Portugal genannt wird, Tinta Cão, Tinta Francesa und Tinta Barroca. Sie alle wurden lange vornehmlich für die Portweinproduktion verwendet, bis sich in den 1990ern einige Winzer an die Vergangenheit erinnerten. Bevor die Portweinherstellung im 17. Jahrhundert Einzug hielt, war die Region nämlich für kräftige Rotweine bekannt, die von den Briten »Blackstrap« genannt wurden. Um den Visionär Dirk Niepoort, Abkömmling des gleichnamigen Porthauses, formierte sich damals eine Gruppe von jungen Winzern, die nichts weniger als eine weitere Revolution anstrebte und das Douro wieder als Rotweinregion etablierte. Gegenwind war programmiert.

Niepoorts Vater etwa bezeichnete den ersten Jahrgang seiner Rotweincuvée namens Robustus als ungenießbar. Die Rotweine aus dem von Schieferböden geprägten Tal, das seit 2001 zum UNESCO-­Welterbe gehört, zählen seit geraumer Zeit für viele Weinliebhaber zum Besten, was Europa zu bieten hat. Das beweisen auch Projekte mit Beteiligung renommierter Önologen aus dem Ausland: etwa das 1999 gestartete Joint Venture Prats & Symington zwischen dem französischen Önologen Bruno Prats – einst Cos d’Estournel – und der Portweinfamilie Symington.

Portugal hat längst weit mehr zu bieten als kräftige Rotweine. Besonders in den vergangenen 15 Jahren kamen immer mehr beeindruckende Weißweine auf den Markt. Unter anderem aus dem Vinho-­Verde-Gebiet, dessen Weine lange als einfach und rustikal verschrien waren. Die typischen, in der Region kultivierten Rebsorten Arinto, Loureiro, Avesso und der ebenfalls im spanischen Galizien verbreitete Alvarinho bringen auf den hiesigen Granitböden, angetrieben von Spitzenproduzenten wie Anselmo Mendes oder Soalheiro, überaus elegante, lagerfähige Weißweine hervor. Im Douro bringen einige Produzenten vielversprechende Weine aus den Sorten Visinho oder Rabigato auf die Flaschen, besonders, wenn sie aus Höhen- und Schattenlagen stammen, was hilft, die Frische zu erhalten. Und dann wäre da noch die Rebsorte Encruzado aus dem Dão, die es im besten Fall mit Weißen Burgundern aufnehmen kann.

Verblüffend anders

Eine verblüffend andere Seite zeigen auch die kühlen Rotweine aus der Küstenregion Bairrada. Bairrada und mit ihr die Rebsorte Baga genießen unter Weinkennern weltweit Kultstatus. Zu den legendärsten Baga-Produzenten gehört zweifellos Luis Pato, dessen Familie bereits seit dem 18. Jahrhundert Wein in der Region keltert. Pato schaffte es als Erster, die elegante Seite der eher rustikalen Sorte hervorzubringen. Seine Tochter Filipa Pato tut es ihm heute gleich. Auch Dirk Niepoort, der getrost als einer der wichtigsten Motoren des portugiesischen Weinbaus bezeichnet werden kann, ist heute in der Region aktiv und keltert auf der Quinta de Baixo elegante Weine. Genauso in der Region Dão, auf der Quinta la Lomba, im Vinho Verde, Alentejo und auf den Azoren. Mit dem Einstig des jungen Weinmachers Luís Pedro Cândido da Silva und Daniel Niepoort, dem jüngsten Sohn von Dirk Niepoort, haben die Weine in den letzten Jahren noch einmal einen deutlichen Schub in Richtung Eleganz erhalten. Eine Entwicklung, die im ganzen Land zu beobachten ist.

Inzwischen existiert eine lebendige Winzerszene, die sich auf die Fahnen geschrieben hat, das Terroir so unverfälscht wie nur möglich in die Flasche zu bringen. Tiago Teles aus Bairrada gehört zu ihnen, genauso wie Pedro Marques von Vale de Capucha aus Lisboa oder Luis Seabra, der unter anderem in Douro aktiv ist. Zu den Entdeckungen der letzten Jahre gehören sicherlich auch die Stillweine der portugiesischen Inseln: Azoren und Madeira. Bekannt gemacht hat sie zu einem großen Teil der junge, talentierte Winzer António Maçanita. Maçanita wirkt in diversen Weinregionen im Alentejo, dem Douro, Madeira und auch auf den Azoren. Die filigranen Stillweine seiner Azores Wine Company und der Companhia de Vinhos Profetas e Villões auf Madeira der benachbarten Insel Porto Santo gehören mit zum Spannendsten, was man aktuell verkosten kann.

Sie verkörpern all das, was Portugal für Weingenießer so spannend macht: Fast vergessene Rebsorten, uralte Rebstöcke und leidenschaftliche Menschen, die sich auf die Fahne geschrieben haben, diese einzigartigen Schätze zu erhalten. Diese unglaubliche Diversität ist auch der jahrhundertealten Abgeschlossenheit und Rückständigkeit des Landes zu verdanken. Denn ohne diese wäre diese unglaubliche Fundgrube an Rebsorten, Terroirs und Weinkultur, die den Nerv der heutigen Zeit so gut trifft, wohl nicht erhalten geblieben. Portugal ist ein wahres Füllhorn für Entdecker und es scheint, als hätte die Welt das inzwischen erkannt.

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Erschienen in
Falstaff Nr. 06/2024

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Dominik Vombach
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Benjamin Herzog
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