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Historische Rebsorten: Zurück in die Zukunft

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Schon seit Römertagen wächst in Deutschland Wein – Hunderte Rebsorten sind seither gekommen und wieder gegangen. Doch manchen dieser historischen Trauben könnte nun eine große Zukunft bevorstehen.

Das Taubertal ist ein kleines, aber feines Weinbaugebiet, einerseits geprägt von wertvollen Muschelkalk-­Böden, andererseits aber auch davon, dass mit großer Regelmäßigkeit Spät- und Winterfröste den Ertrag der Reben schmälern. Und das ist nicht das einzige Handicap, denn das Taubertal liegt gleich dreifach am Rand: am Rand Badens, am Rand Württembergs und am Rand Frankens. Wenn es jedoch um die Bewahrung historischer Traubensorten geht, verwandelt sich dieser scheinbare Nachteil schnell in einen Vorteil. Denn Abgeschiedenheit ist Trumpf: »In die Tauber mündet der Vorbach, und wenn man in dieses Vorbachtal reinfährt und dann nochmal in ein weiteres Seitental, dann kommt man in den Ort Ebertsbronn«, erzählt Jürgen Hofmann aus Röttingen.

In Ebertsbronn, 50 Einwohner, urkundlich erstmals erwähnt 1172, hat eine der uralten einheimischen Rotweintrauben überlebt, der Tauberschwarz. »Es gab einen Winzer namens Hermann Balbach, der hat sich nach dem Zweiten Weltkrieg geweigert, die alten Stöcke gegen den damals in Mode kommenden Schwarzriesling zu ersetzen. Er hat den Wein auch nicht verkauft, sondern nur für den Eigenbedarf gekeltert. So konnten die letzten 400 Stöcke Tauberschwarz überleben.« Nachdem im Winter 1979/80 ein verheerender Winterfrost das Taubertal traf und sich herausstellte, dass die alten Tauberschwarz-Stöcke im Frühjahr als einzige austrieben, als sei nichts gewesen, begann das damalige Staatsweingut Lauda zusammen mit der Forschungsanstalt in Weinsberg, die Sorte züchterisch zu bearbeiten. Und so kommt es, dass heute Winzer wie Jürgen Hofmann, Erhard Braun aus Markelsheim oder Rainer Hofäcker in Weikersheim wieder Weine aus dieser Sorte keltern können, höchst beachtliche obendrein.

Detektivarbeit

400 Stöcke einer alten Sorte: Von einem so reichem Ausgangsmaterial für die Wiedererweckung einer fast ausgestorbenen Traube kann der Ampelograf Andreas Jung in der Regel nur träumen. 2001 machte der Rebendetektiv, damals noch im Auftrag des Instituts für Rebenzüchtung Geilweilerhof, seinen ersten Fund: An der badischen Bergstraße bekam er von Winzern einen wurzelechten, also noch vor dem Einfall der Reblaus gepflanzten Mischsatz gezeigt. »Es waren 800 Stöcke und insgesamt 43 verschiedene Rebsorten«. In den folgenden Jahren fand Jung 15 weitere solcher Rebbestände alleine an der badischen Bergstraße. »Insgesamt habe ich bis zum heutigen Tag rund 350 Sorten gefunden, darunter 240 historische.«

Im Weingut Gutzler gilt dem Spätburgunder seit Langem besondere Aufmerksamkeit. Jetzt umfasst die Palette der Toprotweine auch Blauen Arbst, fränkischen Burgunder und Schwarzblauen Riesling.
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Im Weingut Gutzler gilt dem Spätburgunder seit Langem besondere Aufmerksamkeit. Jetzt umfasst die Palette der Toprotweine auch Blauen Arbst, fränkischen Burgunder und Schwarzblauen Riesling.

In der Regel sind die Ent­deckungen Zufallsfunde: »Einmal war ich in Brandenburg unterwegs, auf einer Mörane standen an einem stillen Eck an einer Böschung noch 40 Reben, die meis­ten blauer Traminer.« Die Reben, so die Auskunft der Gemeinde, hätten vermutlich zum Weinberg eines Zisterzienserklosters gehört. Als dieses Mitte des 16. Jahrhunderts im Zug der Reformation aufgehoben wurde, wurde auch der Weinberg aufgelassen. Die noch vorhandenen 40 Reben sind die letzten Zeugen jener Zeit, zum Glück hatte sie fast 500 Jahre lang niemand beachtet.

Viele der historischen Sorten, die jetzt wieder an Verbreitung gewinnen, gehen auf Funde von Andreas Jung zurück und darauf, dass die Rebschule Ulrich Martin aus Gundheim in Rheinhessen bereits vor über zehn Jahren begonnen hat, einige dieser Sorten systematisch zu vermehren und zu veredeln. »Bei vielen Sorten haben wir mit drei, vier Stöcken angefangen. Das ist so mühsam, da kann man nicht einfach mal 300 Sorten hochvermehren. Darum haben wir uns zunächst auf jene 30 Sorten beschränkt, die am meisten klimawandelgeeignet sind.« Von zehn der Sorten stehen inzwischen ausreichend Reiser zur Verfügung, um die Partnerwinzer ausreichend beliefern zu können. Mit seinem »Historischen Rebsorten«-Logo, das auf vielen Etiketten zu finden ist, will Martin auch eine Art Dachmarke kreieren, die die Bekanntheit der Sorten verbessern soll, die aber auch das Ziel hat, dass die beteiligten Winzer im Verbund besser wahrgenommen werden. »Einer der größten Fehler bei den Neuzüchtungen der siebziger Jahre war, dass man die Winzer mit den Sorten alleine gelassen hat.«

Sarah und Martin Metzler bauen schon sechs historische Sorten an.
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Sarah und Martin Metzler bauen schon sechs historische Sorten an.

Gelber Orléans

Eine nochmals andere Wiederentdeckungsgeschichte hat die Rebsorte Gelber Orléans, die noch im 18. Jahrhundert am Rüdesheimer Berg, am Roten Hang und an der Mitttelhaardt in den besten Lagen stand und deren Wein als besonders lagerfähig beschrieben wurde. Diese ungewöhnliche Traube wurde nahezu gleichzeitig und unabhängig voneinander durch Werner Knipser aus Laumersheim in der Pfalz und durch den Rheingauer Winzer und Vordenker Bernhard Breuer wieder ins Licht der Weinwelt zurückgeholt. Ende der 1980er-Jahre nahm Bernhard Breuer ein Rüdesheimer Flurstück namens »Orléans­berg« zum Anlass, zusammen mit Professor Becker von der Hochschule Geisenheim nach dieser praktisch ausgestorbenen Sorte zu fahnden. Und tatsächlich fanden sich in aufgelassenen, verbuschten Terrassen in der Nähe noch Orléans-Stöcke. Deren Reiser wurden geduldig vermehrt, bis Bernhard Breuer schließlich im Jahr 1994 eine kleine Parzelle von fünf Ar anlegen konnte. Werner Knipser hatte in einem Sortengarten beim Kloster Eberbach noch Orléans-­Stöcke gefunden, daraufhin konnte er 1995 den ersten kleinen Ertrag von 20 Reben keltern.

Vergleich der riesigen Gelber-Orléans-Traube mit Silvaner (Schloss Sommerhausen).
© Weingut Schloss Sommerhausen
Vergleich der riesigen Gelber-Orléans-Traube mit Silvaner (Schloss Sommerhausen).

Stimmen aus der Praxis

In einem sind sich fast alle Winzer einig, die mit alten Sorten arbeiten: Man muss Erfahrung sammeln. »Mein erster Jahrgang Tauberschwarz war 1999. Und in den darauffolgenden Jahren schmeckte der Wein jedes Jahr komplett anders«, berichtet zum Beispiel Jürgen Hofmann von seinen Erfahrungen. »Und das nicht mal der Kelterung wegen, das war eine reine Weinberg­geschichte.« Stefan Sander aus Mettenheim in Rheinhessen hat mit einer anderen Sorte, dem fränkischen Burgunder, eine ähnliche Erfahrung gemacht: »Es dauert ein paar Jahre, bis man weiß, wie die ticken. Man muss mit der Ernte lange warten, sonst hat man unreifes Tannin. Aber mit 95 Oechsle bekommt der eine schöne pfeffrige Würze, schon wenn man auf den Tauben rumbeißt.«

Auch Harald Kiltz vom Weingut Genheimer Kiltz aus Gutenberg an der Nahe sieht sich noch mitten in der Findungsphase bei den drei Sorten Gelber Kleinberger, Grünfränkisch und Adelfränkisch: »Wir haben jetzt gerade nochmal von allen drei Sorten nachgepflanzt, denn wenn man einen eigenen Stil entwickeln will, braucht man etwas Spielmasse.« Auf einen anderen Aspekt weist Michael Gutzler aus Gundheim in Rheinhessen hin: »Wir wissen natürlich noch nicht, wie die Weine altern. Aber geschmacklich sind diese Sorten schon sehr spannend, und man muss den Mut haben, da Arbeit zu investieren.«

Bio-Winzer Stefan Sander keltert unter dem Namen »Zeiten-Sprung« einen beachtlichen fränkischen Burgunder.
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Bio-Winzer Stefan Sander keltert unter dem Namen »Zeiten-Sprung« einen beachtlichen fränkischen Burgunder.

Comeback

Eines ist in jedem Fall klar. Viele der historischen Sorten haben sehr ungewöhnliche Eigenschaften oder Kombinationen von Eigenschaften. Der Gelbe Orléans etwa hat immens große Beeren – und ließe nach allem, was man von anderen Sorten kennt, einen dünnen Wein erwarten. Doch das Gegenteil ist der Fall: Die Weine haben sehr viel Extrakt. Der »Blaue Arbst«, der genetisch ein Spätburgunder ist, reizt den großen Spielraum, den die Burgunderfamilie lässt, mit besonders kleinen Beeren, mit einer kleinen lockerbeerigen Traube und mit einer sehr eigenen Würzigkeit aus. Die Sorte fränkischer Burgunder, die ampelografisch wiederum zu den Pineaus, und nicht zu den Pinots gehört, hat so dicke Schalen, dass die Kirschessigfliege von ihr ablässt. Dieses seit 2014 immer wieder in feuchten Jahren auftretende Insekt bohrt mit Vorliebe die Schalen dunkel gefärbter Beeren an, doch an der Schale des fränkischen Burgunders beißt sie sich offenbar die Zähne aus. Andere Sorten treiben spät aus und verringern dadurch die Spätfrostgefahr, oder sie kommen mit besonders wenig Wasser aus oder können auch starken Regen ab, ohne zu faulen.

Helena und Harald Kiltz kultivieren in Gutenberg an der Nahe unter anderem den »Gelben Kleinberger«, und das 
riech- und schmeckbar auf rotem Boden.
© Weingut Genheimer Kiltz / Timo Volz
Helena und Harald Kiltz kultivieren in Gutenberg an der Nahe unter anderem den »Gelben Kleinberger«, und das riech- und schmeckbar auf rotem Boden.

Nicht zuletzt feiern viele der alten Sorten derzeit genau aufgrund derjenigen Eigenschaften ein Comeback, deretwegen sie einst verschwanden. Denn viele von ihnen sind spätreif und stehen für hohe Säurewerte. Was im 19. Jahrhundert ein K.-o.-Kriterium war, macht diese Sorten im Zuge des Klimawandels hoch attraktiv.

Zukunft

Thomas Riedl aus Bonn verfolgt die Wiederbelebung alter Sorten schon seit mehr als 15 Jahren. Bereits 2013 organisierte der Weinbegeisterte, im Brotberuf Psychiatriefachpfleger, eine Verkostung mit Weinen aus alten, wurzelechten Mischsätzen. 2015 lud er Fachpublikum zu einer Probe mit sortenreinen Weinen – damals standen die Muster vieler Rebsorten noch als Mikro­vinifikationen aus dem Glasballon auf dem Tisch. »Es ist schon beachtlich, was sich seither getan hat«, urteilt Riedl. »Inzwischen trauen sich viel mehr Winzer in die Nische. Und zudem greift das in eins mit dem Thema Klimawandel. Das war anfangs gar nicht beabsichtigt, da ging es um genetischen Reichtum, und jetzt bekommt das eine ganz neue Bedeutung.« Riedls »Kompendium der deutschen Weine aus seltenen historischen Rebsorten«, das die mit Abstand vollständigste Auflistung darüber enthält, an welchem Ort welcher Winzer welche Rebsorte im Anbau hat, ist auf über 600 PDF-Seiten angewachsen. Riedl trocken: »Und die Zukunft kommt noch

Jürgen Hofmann aus Röttingen im Taubertal kelterte bereits 1999 seinen ersten Tauberschwarz.
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Jürgen Hofmann aus Röttingen im Taubertal kelterte bereits 1999 seinen ersten Tauberschwarz.

Die haben auch viele Weingüter – und sogar einige Genossenschaften – fest im Blick. Philipp Martin Metzler aus Bermersheim vor der Höhe, der zu den ersten Winzern gehörte, die mit der Rebschule Martin kooperierten, weiß, dass kein Kickstart in diese Zukunft führt: »Bis man mal Wein hat, dauert alles lang und kostet Zeit, Geld und Nerven. Und wenn skeptische Kollegen sagen, gib mal eine Flasche, dann steht man die ersten Jahre mit leeren Händen da.« Bei Kunden und Privatleuten sei die Neugier aber groß, bestätigt auch Jonas Kiefer aus Worms: »Schon als ich noch gar keinen Wein hatte, haben die Leute gebannt zugehört, wenn ich von den Pflanzen draußen im Weinberg erzählt habe. Man muss die Sorten zwar erklären, aber das kann man ja auch.« Klau Scheu aus Schweigen in der Südpfalz, der im eigenen Weinberg die vom Großvater vermehrte »Philipp-Cuntz-Rebe« stehen hatte, ist ebenfalls auf Expansionskurs: Zwar stellte sich heraus, dass diese ­Reben keine eigene Sorte sind, sondern Grün­fränkisch. Doch mit dem arbeitet Scheu nun gerne weiter – und das voller Ambition: »Wir haben gerade noch mal gepflanzt. Denn mein Plan ist, diese Weine zukünftig im Holzfass ausbauen


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Erschienen in
Falstaff Nr. 05/2024

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Ulrich Sautter
Ulrich Sautter
Wein-Chefredakteur Deutschland
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