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Massentourismus in luftigen Höhen: Wem gehören die Berge?

Bergpanorama
Tourismus

Ob am Everest oder in den Alpen: Die Zahl der Touristen und die Ansprüche der Gäste haben zugenommen. Das führt auch zu Konflikten. Dabei wäre angesichts des Klimawandels wohl eher Komfortverzicht angesagt.

Das Foto ging im Mai 2019 um die Welt: Auf dem Südgrat des Mount Everest reihen sich Dutzende Bergsteiger in bunten Daunenanzügen auf wie an einer Perlenkette. Ein gefährlicher Stau in der Todeszone auf über 8000 Metern, wo das Überleben vom Flaschensauerstoff im Rucksack abhängt. Mehrere Gipfelaspiranten sterben in jener Saison vor Erschöpfung, weil sie nicht rechtzeitig nach unten kommen. Das Bild wird zum Symbol für den riskanten Massenandrang am höchsten Berg der Erde. Der Urheber des Fotos, Nirmal Purja, ein nepalesischer Extrembergsteiger, der die 14 Achttausender in Rekordzeit bestieg, ist am Everest eher die Ausnahme.

Mittlerweile sind es vor allem reiche Hobbyalpinisten, die sich ihren Traum vom Everest zum Preis eines Jahresgehalts erkaufen. Manche können sich nicht einmal selbst die Steigeisen anlegen. Dafür bekommen Luxuskunden eine Rundumbetreuung durch ihren persönlichen Sherpa und genießen im Basislager erlesene Weine und Erholung im Spa-Zelt. Manche lassen sich sogar für ein Abendessen mit dem Helikopter nach Kathmandu ausfliegen. Der spartanische Alpinismus früherer Tage wirkt dagegen wie ein romantischer Anachronismus. Wem gehört der Everest? Nicht mehr den weltbesten Bergsteigern, sondern zahlungskräftigen Selbstdarstellern. Der Bergtourismus hat sich nicht nur im Himalaya gewandelt, auch daheim in den Alpen.

Zeltstadt am Mount Everest.
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Zeltstadt am Mount Everest.

Herausragend malerische Orte wie der Königssee im Berchtesgadener Land werden von Tagesbesuchern überrannt. Prestigeträchtige Gipfel wie Matterhorn und Watzmann ziehen die Massen an. Der Ausflug ins Gebirge hat verstärkten Eventcharakter, soll hübsche Bilder für Instagram produzieren. Touristiker möchten die prächtige Bergwelt auch Gästen zugänglich machen, die eher nicht die Wanderschuhe schnüren, aber eine pralle Reisekasse haben. Für das Matterhorn Alpine Crossing, die »höchste Alpenüberquerung per Seilbahn« von Zermatt über den Theodulgletscher ins italienische Cervinia, zahlt man ab 142 Franken. Attraktionen wie diese zielen auf die reisende Oberschicht aus Asien, etwa aus Indien und den Golfstaaten.

Auch die Ansprüche der normalen Wanderer sind gestiegen, berichten die Wirte auf den Hütten. Die Gäste wünschen sich üppige Speisekarten, WLAN und eher kleine Zimmer mit mehr Privatsphäre. »Auf die großen Matratzenlager haben immer weniger Lust«, sagt Thomas Bucher vom Deutschen Alpenverein (DAV). Auf den leicht erreichbaren Wanderhütten gebe es ein neues Klientel, das höhere Erwartungen habe. Dass man heutzutage am besten Wochen im Voraus reserviert, versteht sich von selbst.

Bergsport ist Motorsport

Über die Berge als »Tummelplatz der Masse« wurde freilich schon am Anfang des
20. Jahrhunderts geklagt. Doch der Tourismus hat heute eine ganz andere Dimension. Manche Einheimische fühlen sich belagert. Overtourism, wie er sich von Amsterdam über Barcelona bis Dubrovnik zeigt, hat auch die Alpen erreicht. Und man kann es ja verstehen: Die Schönheit der Berge ist allzu verlockend.

Dass die Alpen insgesamt überfüllt wären, ist allerdings eine Fehlwahrnehmung. Die Massen ballen sich an wenigen Hot-spots. Betroffen ist etwa der oberbayerische Alpenrand. »Die Blechlawine, die von München in die Berge wälzt, ist immens«, sagt Bucher. Besonders die Autos der Tagestouristen verstopfen die Straßen, zugleich gibt es vor Ort immer weniger Parkplätze. Die größten Probleme entstehen also in den Tälern. Bergsport ist Motorsport, heißt es gerne. Bucher beobachtet auch einen massenpsychologischen Effekt: »Alle möchten dorthin, wo schon viele andere sind, weil es dort angeblich schön ist.« Die Bilderflut auf Social Media tut ihr übriges. Wem gehören die Alpen? Niemandem und somit jedem – ein Dilemma.

Die betroffenen Gemeinden und Regionen versuchen mehr oder weniger erfolgreich, die Massen zu begrenzen. Südtirol hat 2019 einen »Bettenstopp« durchgesetzt: Neue Gästebetten dürfen nur noch alte ersetzen. Garmisch-Partenkirchen am Fuß der Zugspitze hat ein Parkleitsystem entwickelt. »Wenn Sie in München losfahren, sehen Sie online schon, wo es voraussichtlich keine freien Parkplätze mehr gibt«, berichtet Walter Rutz, Geschäftsführer der Garmischer Tourismus GmbH.

Die Einheimischen haben genug: Proteste gegen den ausufernden Massentourismus in Hallstatt.
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Die Einheimischen haben genug: Proteste gegen den ausufernden Massentourismus in Hallstatt.

In Hallstatt im Salzkammergut wurde die Zahl der Reisebusse um mehr als die Hälfte limitiert, auf knapp über 10.000 pro Jahr. »Das war ein Wunsch der Bevölkerung«, erzählt Bürgermeister Alexander Scheutz. Wer ohne Genehmigung in den Ort fahre, dem drohe eine Besitzstörungsklage. »Und wir lassen die Leute gar nicht erst aus dem Bus aussteigen.« Ist das nicht etwas drastisch? »Es ist ein Punkt erreicht, wo es nicht mehr anders geht«, sagt Scheutz. Offen bleibt, wie man den Individualverkehr in den Griff bekommt. Die Zufahrtsstraße zu sperren, ist rechtlich schwierig.

Verbote sind das äußerste Mittel. Aber manchmal unumgänglich. So wurden die Naturpools am oberen Teil des Königsbachfalls 2021 für fünf Jahre gesperrt, weil Influencer die Gumpen entdeckt hatten und zahllose weitere Besucher anlockten. Die Leute trampelten die Vegetation nieder und hinterließen ihren Müll. An berühmten Bergen lassen sich manche nicht von ihrer Tour abhalten, obwohl sie ihr Leben riskieren. Schlagzeilen machte vor zwei Jahren der Mont Blanc. Wegen der erhöhten Gefahr durch Steinschlag rieten Behörden und Bergführer dringend von einer Besteigung ab. Doch das kümmerte viele nicht. Der empörte Bürgermeister der Gemeinde Saint-Gervais-les-Bains forderte daraufhin eine Kaution von 15.000 Euro für Bergungs- und Bestattungskosten. Dazu kam es am Ende nicht. Stattdessen wurden zwei Hütten geschlossen, um die Besteigungen zu unterbinden.

Klimawandel

Das Beispiel zeigt, dass der Ansturm auf die Berge zunimmt, während sich die Folgen des Klimawandels zugleich immer deutlicher zeigen. Das Auftauen des Permafrosts lässt die Berge bröckeln, Felsstürze und Steinschlag nehmen zu. Auf den Hütten wird das Wasser knapp. Überall diskutiert man, wie sich CO2-Emissionen verringern lassen, während immer mehr Ausflügler mit ihren SUV in die Berge rollen. Gewisse Spielarten des Bergsports scheinen überhaupt nicht mehr in die Zeit zu passen. »Der Hubschrauber ist für manche ein Feindbild«, sagt Johann Baptist Koller. Der Experte für Heliskiing arbeitet für Canusa, einen Veranstalter von Nordamerika-Reisen. Heliskiing ist ein exklusives Tiefschnee-Vergnügen, das hauptsächlich im kanadischen British Columbia stattfindet. Jährlich gibt es rund 30.000 Plätze. In den Lodges, die oft selbst nur per Hubschrauber erreichbar sind, finden manchmal nur zwölf Gäste pro Woche Platz. Eine Woche Heliskiing mit Transfers und Vollpension kostet pro Tag im Schnitt gut 2000 Euro. Diesen Preis zahlen viele gerne. Wer nicht früh für den folgenden Winter bucht, kriegt nur noch Restplätze.

Viele Skifahrer und Snowboarder filmen ihre rasanten Abfahrten. »Aber sie zeigen die Videos zu Hause nicht, aus Angst vor Anschuldigungen«, sagt Koller. Das verwundert nicht angesichts der Emissionen auch durch den Langstreckenflug nach Kanada. Der Lärm der Rotoren schreckt außerdem die Wildtiere auf. Als das Heliskiing während Corona brachlag, erholte sich die Population der bedrohten Karibus, fanden Forscher heraus. Wem gehören die Berge – den Menschen oder den Tieren?

Rückbau und Verzicht?

Sollte man das Heliskiing am besten komplett verbieten? Braucht man so was? »Mit diesem Argument könnte man gleich das ganze Skifahren verbieten«, sagt Koller. Die Branche wolle CO2-frei werden, man schaffe Arbeitsplätze. Das Angebot sei begrenzt und werde nicht ausgeweitet. Heliskiing sei besser, als neue Skigebiete mit großen Liftanlagen zu erschließen. So bleiben die kanadischen Berge ein Abenteuerspielplatz für wenige Gutbetuchte. Luxustourismus als Antwort auf die ökologische Krise.

In den Alpen wünschen sich viele einen anderen Weg: Rückbau der Infrastruktur statt Ausbau, Komfortverzicht statt wachsender Luxus, weniger Events und Spektakel. Die derzeitige Entwicklung passt kaum in eine Zeit knapper werdender Ressourcen in einem fragilen Naturraum. »Die Hütten sind überfüllt, also müssen wir sie größer machen – das kann nicht der Weg sein«, sagt Thomas Bucher vom Alpenverein. Eher würden die Herbergen in Zukunft wieder einfacher. So könnten beispielsweise die bestehenden WCs durch Trockentoiletten ersetzt werden, um Wasser zu sparen. »Das werden die Leute akzeptieren müssen«, glaubt Bucher.  Auch die Anreise mit dem Privat-Pkw dürfte in vielen Gemeinden der Alpen teurer werden. »Wir wollen die Gäste dazu bewegen, mit der Bahn anzureisen«, sagt Walter Rutz aus Garmisch-Partenkirchen. »Da muss ein Umdenken stattfinden.«

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Auch in Nepal hat man erkannt, dass es so nicht weitergehen kann. Am Everest sollen Luxus-Ausstattungen wie Spa-Zelte verboten werden, hieß es. Hubschrauber dürfen nur noch für Rettungseinsätze genutzt werden. Der Preis für die Genehmigung soll dafür auf 15.000 Dollar steigen. In der diesjährigen Saison werden die Maßnahmen aber offenbar noch nicht umgesetzt. Trotz allen Bemühungen um Naturschutz und verträglichen Bergtourismus gilt: Der Everest soll ein gutes Geschäft bleiben.


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Erschienen in
Falstaff Nr. 04/2024

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Philipp Laage
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