»Geh dorthin, wo der Pfeffer wächst!« Gemeint ist tatsächlich Indien, das – damals, als das Sprichwort entstand – quasi »am Ende der Welt« lag. Mehr als 75 Gewürze werden auf dem indischen Subkontinent angebaut. Sie bestimmen die indische Kulinarik maßgeblich, sind aber auch ein immenser Wirtschaftsfaktor.

»Geh dorthin, wo der Pfeffer wächst!« Gemeint ist tatsächlich Indien, das – damals, als das Sprichwort entstand – quasi »am Ende der Welt« lag. Mehr als 75 Gewürze werden auf dem indischen Subkontinent angebaut. Sie bestimmen die indische Kulinarik maßgeblich, sind aber auch ein immenser Wirtschaftsfaktor.
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Indische Gewürze: Wo der Pfeffer wächst

Indien
Gewürz

Kein anderes Land kann mit der Gewürzvielfalt Indiens mithalten. In der Kulinarik spielen die Aromaträger eine bedeutende Rolle, die Ayurveda-Lehre macht sich seit Jahrtausenden ihre gesundheitsfördernde Wirkung zunutze. Gewürze sind für das Land aber nicht nur Segen, sondern auch Fluch: Der Pfeffer weckte einst die Begierde der europäischen Kolonialisten. Gewürze waren Ausgangspunkt für die erste Globalisierung des Handels. Zuletzt kämpfte die Industrie mit Qualitätsproblemen.

Den populärsten Irrglauben, den wollen wir gleich aus­räumen: Curry, das vielseitige gelbe Pulver, ist kein Gewürz. Sondern schlicht eine Gewürzmischung. Für die Farbe sorgt Kurkuma, der Geschmack wird von Koriander, Kreuzkümmel und Bockshornklee bestimmt. Insgesamt enthält Currypulver, ganz abhängig von der Rezeptur, bis zu 13 Ingredienzien.

Und es hat, man ahnt es, mit indischer Küche herzlich wenig zu tun. Es ist eine Erfindung des kolonialen Großbritanniens und der Versuch der Heimkehrer der Ostindien-­Kompanie des 18. Jahrhunderts, die fernöstlichen Aromen für westliche Gaumen nachzubauen. In der authentischen indischen Küche kommt das Pulver nicht zur Anwendung. Die Europäer haben es dankbar angenommen und mehr oder (eher) weniger gekonnt in ihren jeweiligen kulinarischen Codex aufgenommen. Deutsche Currywurst, Schweizer Riz Casimir – Geschnetzeltes mit Ananas und Bananen in Currysauce, britisches Coronation Chicken. Keine Ruhmesblätter! Heute ist es dennoch das bekannteste Gewürz weltweit. 

Die Lust der Europäer auf Gewürze ist aber viel älter – und spielt ihre Rolle im dunklen Kapitel des Kolonialismus: Bekannt waren Zimt, Muskat und Pfeffer schon in der Antike, seit Alexander der Große bis nach ­Indien vorstieß. Je beliebter die Waren aus der Ferne wurden, desto höher kletterte der Preis. Der Handel lag lange in den Händen der Araber, die die Güter meist auf dem Landweg herbeischafften. Ihr Verkaufspreis betrug das bis zu Hundertfache des Einkaufspreises.

Grund genug für die seefahrenden ­Portugiesen, den Entdecker Vasco da Gama auszusenden, den Seeweg – ohne Zwischenhändler und Zölle, dafür um Afrika herum – in die exotische Region zu erkunden. 1498 landete er als Erster auf der neuen Route mit dem Schiff in Indien, schloss lukrative Verträge und kehrte mit kostbarer Fracht an den Hof zurück. Da Gama wurde kurzerhand zum indischen Vizekönig ernannt. Der Grundstein für das portugiesische Gewürzmonopol war gelegt, wenig später hatte sich mehr als die Hälfte des Asien-Handels auf den Seeweg verlagert. Die Route trug bald den Namen »Gewürzroute«, der Profit war immens. Klar, auch andere europäische Großmächte wollten ein Stück vom Kuchen …

Tatsächlich ist die Vielfalt an Gewürzen in Indien atemberaubend. 75 der 109 von der International Organization for Standardi­zation (ISO) gelisteten Sorten sind hier heimisch. Nicht zuletzt ist Südindien die Wiege des schwarzen Pfeffers, den einst die alten Römer mit Gold aufwogen – und der im Zentrum der portugiesischen Begehrlichkeiten stand. Ursprüngliche Sorten des wilden Pfeffers sind bis heute in den Regenwäldern von Kerala und Karnataka zu finden. Heute ist Indien mit einem globalen Marktanteil von 46 Prozent maßgeblicher Exporteur und Verbraucher von Gewürzen, für 2023 vermeldete man eine Gesamtproduktion von elf Millionen Tonnen. Ein Milliardengeschäft – konkret: 9,5 Milliarden Euro Umsatz im Jahr. Klar, dass die Alarmglocken schrillten, als zuletzt bei indischen Gewürzproben hohe Schadstoffwerte festgestellt wurden.

Gewürze sind aber mehr als ein Wirtschaftsfaktor. Sie sind Bestandteil der vielen regionalen Küchen – und zentrales Element der Lehren des Ayurveda, der ganzheitlichen indischen Lebenswissenschaft und Heilkunst. Sie bedient sich seit jeher ihrer gesundheitsfördernden Eigenschaften: Kardamom und Nelken haben beruhigende Wirkung auf den Körper, Zimt und Senfsamen regen den Stoffwechsel an, Ingwer stärkt die Abwehrkräfte. Fenchel, Kreuzkümmel und Anis wirken verdauungsfördernd, Kurkuma ist entzündungshemmend, Muskatnuss antioxidativ.

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Frisch zerstoßen

Was wir von den Indern lernen können? Gewürzt wird – so gut es geht – mit frischen Gewürzen, also mit ganzen oder frisch im Mörser zerstoßenen oder gemahlenen Samen. Sie werden trocken geröstet oder zu Pasten verarbeitet. So können die austretenden Öle ihre volle aromatische Kraft entfalten.

Gewürzmischungen gibt es freilich auch, etwa Garam Masala – wörtlich: »heißes Gewürz«, das hierzulande erst spät Bekanntheit erlangte. Gemäß der ayurvedischen Lehre dürfen für die tabakbraune Mischung nur Gewürze in den Mörser, die den Körper erwärmen. Basis sind Schwarzer Kardamom, Nelken, Zimt, Muskat, Kreuzkümmel. Über alle weiteren Bestandteile darf man streiten. Rezepte gibt es so viele, wie es indische Familien gibt. Gewürzt wird meist mit Bedacht am Ende des Kochvorgangs. Und: Wer Garam Masala – das sich einfach selbst herstellen lässt – für sich entdeckt hat, bei dem hat das  Currypulver ausgedient. Versprochen!


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Erschienen in
Falstaff Nr. 07/2024

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Christoph Schwarz
Christoph Schwarz
Chefredakteur
Hannah Speyer
Hannah Speyer
Autor
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Garam Masala
Die indische Gewürzmischung besteht aus verschiedenen gemahlenen Zutaten.
Von Redaktion