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Heilende Alpenkräuter: Hausmittel aus den Bergen

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Das Leben mit den rauen Umweltbedingungen hat bei den Menschen im Alpenraum eine tiefe Naturverbundenheit und eine reiche Tradition der Naturheilkunde geformt. Geprägt von lokalen Heilpflanzen und rituellen Praktiken zeugt diese Medizin von einem sorgfältig bewahrten Erbe.

Seit Jahrhunderten haben sich die Menschen im Alpenraum an die herausfordernden Umweltbedingungen angepasst und eine tiefe Verbindung zur Natur entwickelt, die zur Grundlage ihrer traditionellen Heilkunde geworden ist. Aufgrund der schwer zugänglichen Landschaft entwickelten die Bewohner eine eigenständige Form der Gesundheitsversorgung, die stark von lokalen Heilpflanzen und rituellen Praktiken geprägt ist.

Diese Methoden sind Teil eines ganzheitlichen Ansatzes, der manchmal sogar Ähnlichkeiten mit den Praktiken indigener Kulturen aufweist und in dem rituelle Gesten und Heilsprüche ebenso wichtig sind wie die verwendeten Heilmittel. Ein anschauliches Beispiel ist die Behandlung von Warzen: In zahlreichen Tälern praktizieren sogenannte Warzenbesprecher eine Behandlung ausschließlich mit Worten und der Kraft positiver Suggestionen. Diese Praxis erzielt oft erfolgreiche Ergebnisse. Obwohl solche Methoden in unserem mechanistischen Weltbild schwer vorstellbar sind, belegt die moderne Placeboforschung, dass gerade bei Hauterkrankungen eine positive Erwartungshaltung den Heilerfolg signifikant beeinflussen kann.

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Naturheilmittel, Kräutermedizin, Holzhintergrund
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Mehr als 400 Heilpflanzen

Über Jahrhunderte hinweg sammelten und verfeinerten die Menschen das Wissen über Heilmethoden, indem sie sich auf wirksame Ansätze und heilkräftige Mittel konzentrierten und deren optimale Anwendungen und Verarbeitungen herausfanden. In der alpinen Volksmedizin werden heute mehr als 400 verschiedene Heilpflanzen in über 1700 Zubereitungen – darunter Tinkturen, Frischpflanzenpresssäfte und Salben – genutzt. Neben weit verbreiteten Pflanzen wie Holunder, Brennnessel und Johanniskraut gehören dazu auch spezifische Arten des Hochgebirges wie Enzian, Arnika und Edelweiß.

Besonders bemerkenswert ist der Gelbe Enzian, bekannt als »Bitterwurz«. Die Wurzel ist äußerst bitter und wird sowohl in der Volksheilkunde als auch in der modernen Heilpflanzenkunde als Verdauungsarznei geschätzt. Enzianschnaps, der nicht nur als Genussmittel dient, wird als appetitanregendes und stärkendes Heilmittel verwendet. Die Bitterstoffe der Enzianwurzel stimulieren reflektorisch die Produktion von Verdauungssäften, was eine effizientere Verdauung fördert und Verdauungsbeschwerden, Blähungen sowie leichte Krämpfe lindern kann. Aufgrund intensiver Sammeltätigkeiten ist der Gelbe Enzian heute selten und steht unter Naturschutz. Dennoch ist die Wurzel über Apotheken erhältlich. Aus 25 Gramm Enzianwurzel, angesetzt in einem Liter 40-prozentigem Alkohol und zwei Wochen an einem dunklen Ort gelagert, kann man leicht Enzianschnaps herstellen. Nach dem Filtrieren kann bei Bedarf ein Schnapsglas (2 cl) davon genossen werden.

Arnika ist ebenfalls von besonderem Wert in der alpinen Volksmedizin. Die Arnikatinktur ist fester Bestandteil vieler Hausapotheken im Alpenraum und wird zur äußerlichen Anwendung bei schmerzhaften Gelenk- und Muskelbeschwerden, Venenentzündungen oder Insektenstichen eingesetzt. Ihre Wirksamkeit ist auch durch wissenschaftliche Studien bestätigt. In klinischen Studien konnte Arnika in Form von Salben und Gelen gar mit herkömmlichen entzündungshemmenden Wirkstoffen mithalten. Insbesondere die enthaltenen Sesquiterpenlactone wirken entzündungshemmend und schmerzlindernd. Wichtig ist, dass die Arnikatinktur ausschließlich äußerlich und nur auf intakter Haut angewendet werden sollte.

Kräutermedizin kann oft Wunder bewirken.
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Kräutermedizin kann oft Wunder bewirken.

Frauenheilkunde

Schafgarbe und Frauenmantel sind zentrale Pflanzen in der traditionellen alpinen Frauenheilkunde, einem der wichtigsten Bereiche der Kräuterkunde im Alpenraum. Von den Pflanzenarten, die dort genutzt werden, finden über 120 Arten Anwendung in der Frauenheilkunde. Schafgarbe, in Südtirol und Österreich auch als Frauenkraut oder Frauendank bekannt, wird oft bei Menstruationsbeschwerden wie ausbleibender Menstruation, krampfartigen Schmerzen oder Wechseljahrsbeschwerden eingesetzt, typischerweise in Form von Tees. Sie ist ebenfalls für ihre verdauungsfördernden Eigenschaften bekannt. Schafgarbe enthält Bitterstoffe, ätherische Öle und Flavonoide, die die Verdauung anregen, den Appetit steigern und krampflösend sowie entzündungshemmend wirken. Aufgrund dieser vielseitigen Wirkungen, die jenen der Kamille ähneln, ist sie bis heute ein fester Bestandteil vieler Kräuterteemischungen.

Auch Frauenmantel wird im Alpenraum gegen weibliche Beschwerden verwendet. In der Mariazeller Gegend schreibt man dem Tee sogar eine fruchtbarkeitssteigernde
Wirkung zu. Trotz seiner Popularität in Mitteleuropa und den bekannten schleimhautberuhigenden Effekten seiner Gerbstoffe bei Durchfall, bleibt die wissenschaftliche Erforschung seiner Anwendungen in der Frauenheilkunde bisher gering. Lediglich seine wundheilungsfördernden Wirkungen sind wissenschaftlich bestätigt.

Für Liebe, gegen Durchfall

Edelweiß wird im Alpenraum nicht nur als Symbol der Liebe geschätzt, sondern war früher ein verbreitetes Heilmittel gegen Durchfall. Traditionell wurde die als ­»Alpenruhrkraut« und »Bauchwehblüml« bekannte Pflanze in Milch gekocht, um akuten Durchfall und Bauchschmerzen zu lindern. Forschungen der Universität Innsbruck bestätigen die heilenden Eigenschaften.

Zuletzt zeigten sich Edelweißextrakte auch als wirksam gegen Haarausfall. Weitere wissenschaftliche Studien sind jedoch erforderlich, um diese Effekte endgültig zu bestätigen und mögliche Risiken zu erforschen. Es gibt auch bereits Erfolge im Anbau dieser sonst unter Naturschutz stehenden Pflanze, die Hoffnung auf zukünftige Heilmittel wecken.


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Erschienen in
Falstaff Nr. 04/2024

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Arnold Achmüller
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