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Opernstar Elīna Garanča: »Ich bin die beste melkende Sängerin«

Kunst & Kulinarik

Wie es ist, unter Künstlern aufzuwachsen, weiß die lettische Mezzosopranistin Elīna Garanča genau. Auch was es heißt, auf einem Bauernhof den Stall auszumisten, Kühe zu melken, Blutwurst zu fabrizieren und Brot zu backen. Nichts davon möchte sie missen: »Im Herzen«, sagt sie, »bin ich immer noch ein intellektuelles Bauernmädchen.«

Diva wird sie genannt, Opernstar, Stimmwunder, die kühle Blonde aus dem hohen Norden. Und jedes Mal, wenn sie so bezeichnet wird, wundert sich die berühmte Lettin, erlebt sie sich selbst doch ganz anders:

»Die Elīna Garanča auf der Bühne hat nichts mit der privaten Elīna zu tun. Wenn die Show vorbei ist, der Vorhang fällt, der Applaus verstummt ist, gehe ich in die Garderobe, streife mein Kostüm ab, ziehe mich ins Hotel zurück und bin sehr oft allein. Der Erfolg schützt den Künstler nicht vor der Einsamkeit. Der Zauber hat sich verabschiedet, und an diesem Punkt beginnt für mich das echte Leben, der Alltag als Mutter und Ehefrau, Tochter und Frau«, schreibt sie in ihrer Autobiografie »Zwischen den Welten«.

Elīna Garančas 2020 erschiene Autobiographie »Zwischen den Welten«
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Elīna Garančas 2020 erschiene Autobiographie »Zwischen den Welten«

Von Bühnenkostümen zu Bauernhofidyll

Längst weiß sie, dass sie eine Art Doppelleben führt, und zwar von Kindesbeinen an. In Riga wuchs das Mädchen unter Schriftstellern, Sängern, Malern und anderen Künstlern auf. Sie alle gingen in der Wohnung ihrer Eltern, Anita und Jānis, ein und aus. Tagtäglich wurde gemeinsam musiziert, gegessen, diskutiert und gelacht – oft bis in die Morgenstunden.

Ihre Mutter, Anita Garanča, arbeitete als Gesangslehrerin am lettischen Nationaltheater. War ihre Tochter nicht in der Schule, verbrachte sie die Zeit bei ihr am Theater, erledigte ihre Hausaufgaben in den Garderoben zwischen Kostümen und Make-up und hörte danach bei den Proben zu. »Oft schlief ich auf einem Sessel in der Kantine erschöpft ein, bis mich meine Eltern nach den Proben oder einer Premiere nach Hause trugen und ins Bett legten.«

 

Er bot uns alles, was es zum Leben braucht: Gemüse, Brot, Milch, Fleisch, Eier.

 

Die Wochenenden und die Ferien jedoch verbrachte Elīna in einer Welt, die konträrer nicht hätte sein können: am Bauernhof ihrer Großeltern im kleinen lettischen Dörfchen Meža Rasas, 200 Kilometer von Riga entfernt. Dort gab es Kühe, Schweine, Schafe und Hühner. »Er bot uns alles, was es zum Leben braucht: Gemüse, Brot, Milch, Fleisch, Eier.« Und damit große Sicherheit in Zeiten, in denen Geld sehr knapp war.

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Arbeiten auch in den Ferien

Doch bis sich Blutwurst, Nierensuppe und das Süßsauer-Brot mit Kümmel am Küchentisch fanden, hieß es arbeiten, und zwar von früh bis spät, auch für Elīna und ihren Bruder: »Das Leben auf dem Bauernhof bestand für uns nicht nur aus Spielen und Kälber streicheln. Wir wurden von unseren Großeltern als vollwertige Arbeitskräfte eingesetzt. Zeit für Blödeleien, wie andere Kinder in den Ferien, hatten wir kaum.«

Die Sommermonate bei Oma Nellija und Opa Albert hat die »am besten melkende Sängerin« trotzdem über alles geliebt. Besonders gern erinnert sie sich an die hellen Sommernächte und das Johannesfest, das in Lettland alljährlich am 23. Juni gefeiert wird:

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»Überall gibt es Feuerstellen, es wird gesungen und getanzt. Die Letten springen übers Feuer, weil es nach einem alten Brauch heißt, dass man dann im Sommer nicht von den Mücken gebissen wird. Es wird Bier getrunken, und Oma Nellija tischte stets ihren selbst gemachten Käse auf – sie hatte den besten im ganzen Dorf.«

Das alte Haus ihrer Großeltern bezeichnet Elīna Garanča auch heute noch als ihren Sehnsuchtsort. »Im Herzen bin ich immer noch ein intellektuelles Bauernmädchen.« Ihr jetziges Leben allerdings hat mit demjenigen von damals nicht mehr viel gemein.

Lettland bis Málaga

Den Großteil des Jahres ist die Mutter zweier Töchter unterwegs, um auf den großen Bühnen der Welt zu singen. Das Reisen strengt sie immer mehr an, sagt sie, dauernd in einem anderen Hotel, einer anderen Mietwohnung zu sein, auch. Ihre Heimat ist immer noch Lettland, aber seit einigen Jahren auch Spanien.

 

Die 780 Gramm schwere Ochsenherztomate werden wir nie vergessen

 

In Málaga haben sie und ihr Mann, der Dirigent Karel Mark Chichon, ein Haus mit einem großen Garten gekauft. Und dort hat die naturverbundene Künstlerin Erdbeeren, Tomaten und Kräuter gepflanzt. Aus gutem Grund: Ihr ist es wichtig, dass ihre Kinder erfahren, wie es ist, Früchte und Gemüse zu ziehen. Den Tag, an dem sie eine 780 Gramm schwere Ochsenherztomate in ihrem Garten geerntet haben, werden die drei wohl nie vergessen. Auch nicht das Geschmackserlebnis, das darauf folgte. »Ich habe die Tomate in dicke Scheiben geschnitten und sie mit Olivenöl, Salz und Koriander gegessen. Das war einfach sensationell.«

Schnell aufgegessen

Gartenarbeit hilft ihr, sagt Elīna Garanča, Adrenalinschübe und Melancholie zu vertreiben. Kochen bereite ihr hingegen weniger Muße. Dabei ist die Künstlerin eine sehr gute Köchin, die früh gelernt hat, mit wenigen einfachen Zutaten wie Kartoffeln, Zwiebeln, Tomaten und Öl die köstlichsten Gerichte zu zaubern:

»Kochen geht bei mir immer ruckzuck, innerhalb einer halben Stunde stehen alle Gerichte auf dem Tisch. Ich bin auf so vielen Empfängen, Dinners, Cocktailabenden, dass zu Hause alles im Handumdrehen fertig sein muss. Ich finde es einfach unfair, dass man vier Stunden investiert, und nach zwanzig Minuten ist die ganze Mühe, die du in die Zubereitung gesteckt hast, aufgegessen.«

Weihnachtliche Küchentraditionen

Nur zu Weihnachten, das sie immer in ihrem Geburtsland verbringt, macht sie eine Ausnahme. Denn in Lettland gehört es sich, beim Festmahl mindestens neun verschiedene Gerichte aufzutischen. Deshalb steht zu dieser Zeit auch die traditionsbewusste Sängerin tagelang in der Küche, um braune Erbsen mit Speck und Zwiebeln, panierte Schweinekoteletts oder »Rosols« (ein spezieller lettischer Salat mit fein geschnittenem Gemüse, Ei, Fleisch und Mayonnaise), Brot und Kekse zu fabrizieren.

Lettischer Salat »Rosols«
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Lettischer Salat »Rosols«

Faible für asiatische Küche

Wenn die Mezzosopranistin auf Reisen ist, von einem Termin zum nächsten hetzt, probt und am Abend Vorstellungen hat, sieht ihr kulinarischer Alltag freilich ganz anders aus. Für sich allein kocht sie nie, achtet aber darauf, sehr gesund zu essen. Denn nur wenn sie absolut fit ist, kann sie so schwierige Rollen wie die Kundry in Parsifal, die Amneris in Aida oder die Judith in Herzog Blaubarts Burg so perfekt singen, wie sie das von sich erwartet.

Besonders liebt die Lettin die asiatische und die mexikanische Küche: »Koriander, Kokosmilch, Lemongrass, Chili, Guacomole, Gemüse, das kann ich jeden Tag essen«, sagt sie. Dazu Wasser mit Ingwer und Zitrone, dieser Mix tut der Stimme gut. Spät zu essen, wirkt sich auf ihr Wohlbefinden jedoch negativ aus. »Mit vollem Magen ins Bett zu gehen, bringt Reflux und alle dazukommenden Nebenwirkungen mit sich, die die Stimme am nächsten Tag negativ beeinflussen.«

Spät nachts zu schlemmen, erlaubt sich die disziplinierte Künstlerin deshalb nur selten – und wenn, dann nur nach getaner Arbeit. »Nach einem Opern- oder Konzert-
abend mag ich am liebsten ein Würstchen und ein Bier«, erzählt sie. »Und dann geht es ab nach Hause. Denn am nächsten Tag muss ich meistens wieder früh raus.«


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Erschienen in
Falstaff Nr. 05/2024

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Judith Hecht
Autor
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