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»Otto« in Berlin: Spitzenküche mit regionalen Zutaten

Berlin
Restaurant
Regionalität

Kann man sich selbst beschränken und trotzdem auf Spitzenniveau kochen? Vadim Otto Ursus Henselder, 32, vom Restaurant »Otto« sagt ja. Mit seiner radikal regionalen Küche hat sich der gebürtige Berliner den Ruf eines der größten Talente der Hauptstadt erarbeitet.

Falstaff: Herr Henselder, 2019 haben Sie ein kleines Nachbarschaftsrestaurant im Prenzlauer Berg übernommen. Das »Otto« hat sich innerhalb kürzester Zeit zu einer der angesagten Adressen Berlins entwickelt. Kann man solch einen Erfolg planen?

Henselder: Nein, überhaupt nicht. Zuvor hatte ich über einen längeren Zeitraum an verschiedenen Orten in Berlin Pop-up-Restaurants betrieben, um herauszufinden, was ich dem kulinarischen Angebot der Hauptstadt hinzufügen könnte. Eines Tages bekam ich von einem guten Bekannten das Angebot, sein Restaurant zu übernehmen, das »Schädels«. Als Markus Schädel sich dazu entschloss, etwas anderes auszuprobieren, lief sein Restaurant so erfolgreich wie nie zuvor. Aber nach zehn Jahren war für ihn einfach Zeit für etwas Neues gekommen. Wir sind verhältnismäßig ungezwungen, wir haben keine langen Tasting-Menüs, sondern eine kleine Karte, von der man frei wählen kann.

Wie würden Sie ihre Handschrift als Koch beschreiben?

Es geht mir um den puren Geschmack: Im Mittelpunkt steht immer ein wirklich gutes Produkt. Und dann geht es um die Frage, was wir machen können, um es auf ein geschmacklich neues Level zu heben. Natürlich geht es mir auch um die Atmosphäre am Tisch. Im »Otto« sind alle Gerichte zum Teilen. Das hat den Vorteil, dass unsere Gäste viele verschiedene Dinge auf einmal probieren können und die Stimmung viel ausgelassener ist. Außerdem versuchen wir bei jedem Arbeitsprozess darüber nachzudenken, wie wir Lebensmittelreste verwerten können. Aus unseren Brotresten machen wir zum Beispiel eine Art Sojasauce, aus Gräten und Fischresten Garum. Bei uns wird eigentlich nichts weggeschmissen.

Haben Sie ein Signature-Dish als Koch?

Eines der Gerichte das seit Anbeginn auf der Karte steht ist der Bachsaibling, den wir entgräten, aber ansonsten im Ganzen über Holzkohle grillen. Serviert wird er mit dem Garum aus den Gräten. Ein weiterer Klassiker ist die Rote Beete, die wir zuerst klassisch in Salzwasser kochen, bis sie weich ist, sie dann über Nacht in Schlehensaft einlegen und anschließend eine weitere Nacht trocknen, sodass sie fast schon etwas zähfleischig wird. Das Ergebnis wird warm serviert mit einer Vinaigrette aus brauner Butter und selbstgemachtem Labneh.

Ich finde es einfach logisch, das zu verwenden, was das Umland hergibt.

Für Ihre Gerichte im »Otto« verarbeiten Sie ausschließlich Produkte aus Berlin und Brandenburg. Oliven und Zitronen sind dort bislang noch nicht beheimatet. Wodurch ersetzten Sie mediterrane Lebensmittel?

Zitronen sind ein gutes Anschauungsmittel, weil ihre frische Säure nur schwer zu imitieren ist. Dennoch gibt es regionale Alternativen: Verjus zum Beispiel, ein Saft aus unreifen Trauben. Er ist milder als Essig und komplexer im Geschmack als Zitronensaft. Außerdem ist er ein echter Allrounder in der Küche und eignet sich hervorragend für Salatdressings, Marinaden oder alkoholfreie Drinks. Ein anderes Ersatzprodukt ist Sauermolke. Sie entsteht, wenn Milch durch Milchsäurebakterien zersetzt wird und ist eigentlich ein Abfallprodukt bei der Herstellung von unserem Labneh. Wir kochen die Sauermolke bis etwas auf ein Sechstel ihre Ursprungsmasse ein. Das Ergebnis ist ein Sirup mit unvergleichlich angenehmer Säure.

Was hat es mit Ihrem strengen Gelübde der Regionalität auf sich?

Das ist leicht zu erklären. Ich finde es einfach logisch, das zu verwenden, was das Umland hergibt. Wenn ich auf Reisen bin, möchte ich ja umgekehrt auch regional essen. Leider gibt es meiner Meinung nach noch immer zu wenig ambitionierte Köche in Deutschland, die sich der Regionalküche verschreiben.

Kann man sich einschränken und trotzdem das beste als Koch herausholen?

In meinem Fall ja. Mir hilft es sogar, mich zu beschränken. Wie soll ich eine Speisekarte mit nur zehn Gerichten entwickeln, wenn ich aus allen Zutaten auf der Welt wählen kann? Das würde mich überfordern. Außerdem ist es viel leichter, einen direkten Kontakt mit den Menschen zu halten, die die Lebensmittel herstellen, wenn man sich auf regionale Produkte konzentriert. Das ist viel persönlicher und sehr wichtig für mich.

Viele unserer Produzenten sind so klein, dass sie nicht bis nach Berlin liefern. Sie haben aber fantastische Lebensmittel.

Mit welchem regionalen Nahrungsmittel arbeiten Sie am liebsten?

Zu meinen Favoriten zählen in jedem Fall Milchprodukte, einfach, weil wir neben unserer Datsche in der Schorfheide einen fantastische Milchbauern haben. Ansonsten noch Wildkräuter wie beispielsweiße Sauerklee oder Sauerampfer.

Neben Ihrem Restaurant im Prenzlauer Berg betreiben Sie in der Schorfheide auch eine Versuchsküche. Warum ausgerechnet die brandenburgische Provinz?

Es ist nicht wirklich eine Versuchsküche. Eher ein bisschen größerer Schrebergarten mit einer Datsche drauf. Als ich nach meiner Zeit im Ausland zurück nach Berlin gekommen bin, bekam ich durch einen glücklichen Zufall das Angebot, dieses Kleinod zu nutzen. Wir lagern dort einen Großteil unserer Fermente und pflanzen essbare Blüten und spezielle Kräuter an.

Sie sind im Prenzlauer Berg aufgewachsen. Woher kommt Ihr Bezug zu Brandenburg?

Als ich ein Teenager war, hat mein Vater eine kleine Hütte in der Schorfheide gekauft, deshalb war ich häufig dort. Heute kommt ein Großteil unserer Produzenten aus der Schorfheide. Viele von denen sind so klein, dass sie nicht bis nach Berlin liefern. Sie haben aber fantastische Lebensmittel. Durch unsere Anwesenheit vor Ort kommen wir immer wieder an außergewöhnliche Produkte. Zudem durchstreifen wir selbst regelmäßig die dortigen Wälder und Wiesen auf der Suche nach essbaren Knollen, Kräutern, Beeren oder Pilzen. Die sind ein essentieller Bestandteil der Gerichte im »Otto«. Wir haben sogar einen Mitarbeiter, der sich um nichts anderes kümmert, als Lebensmittel zu suchen und die Beziehung zu unseren regionalen Produzenten zu pflegen.

Am 11. Juli werden Sie im Rahmen von »Amex Life ON: The Culinary Quest« Ihre kulinarische Philosophie in ein mehrgängig gestaltetes Sharing-Menü umsetzen. Was erwartet die Teilnehmenden?

Ich freue mich, meine Küchenphilosophie mit den Gästen zu teilen und darüber zu fachsimpeln, was beim Kochen wichtig ist. Natürlich gebe ich das ein oder andere Praxisbeispiel zum Verkosten. Vor dem Essen besuchen wir unter anderem einen Forellenhof in Schleswig-Holstein und bringen von unserem Trip ausgewählte Zutaten fürs Dinner mit.


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Sebastian Späth
Sebastian Späth
Chefredakteur Deutschland
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