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Chardonnay: Aus Burgund in die Welt

Chardonnay

Die teuersten trockenen Weißweine der Welt stammen fast alle aus Burgund und werden aus der Rebsorte Chardonnay gekeltert. Kein Wunder, dass Chardonnay schon seit Jahrzehnten auch andernorts wächst – und bei passender Behandlung an vielen Orten der Welt Wein-Originale hervorbringt.

Herkunftslegenden können so fantastisch sein: Die beim Chardonnay am weitesten verbreitete etwa behauptet, die Traube stamme aus dem Orient und sei in Folge der Kreuzzüge nach Burgund gelangt. Lange Zeit wurde die libanesische Rebsorte Obaideh als möglicher Urahn des Chardonnays gehandelt.

Die Vermutung stimmt nur leider nicht. Genomanalysen nämlich haben eindeutig erwiesen, dass der Chardonnay aus der Vermählung eines Mitglieds der Pinot-Familie mit der Rebsorte Heunisch hervorgegangen ist. Dabei ist es eine feine Pointe, dass ausgerechnet der Heunisch ein Elternteil des so noblen und zu so herausragenden Weinen fähigen Chardonnay ist. Der Heunisch nämlich gilt als eine wenig raffinierte Sorte, die einen unspezifisch dünnen und säuerlichen Wein ergibt. 

Ein blinder Passagier

Wie sich der Chardonnay dann von Burgund aus in andere Gegenden Europas verbreitete, darüber ähneln sich die Geschichten auf kuriose Weise. In die Nachbarländer kam er nämlich fast durchwegs als U-Boot oder blinder Passagier. So wurden bereits nach der Reblauskatastrophe, also Ende des 19. Jahrhunderts, die ersten Chardonnay-Reben nach Südtirol, ins Trentino, ins Friaul und wohl auch in die Steiermark (als Morillon) eingeführt. Damals wurden diese Reben aber nicht als Chardonnay erkannt, man hielt sie für eine Variante des Weißburgunders und nannte sie zum Beispiel in Italiens Nordosten landläufig einfach »gelber Burgunder«. Verarbeitet wurde der Ertrag gemeinsam mit dem des Weißburgunders. 

Auf ähnliche Weise sickerte die Sorte nach dem zweiten Weltkrieg von Frankreich aus nach Deutschland ein: Winzer im Markgräflerland und am Kaiserstuhl bezogen damals regelmäßig Weißburgunder-Reben von Rebschulen aus dem Elsass. Dabei gelangten immer wieder auch Chardonnays über die Grenze – der Sprachregelung nach »versehentlich«. Ob das immer reiner Zufall war, darüber kann man spekulieren, denn das Weinrecht jener Tage hätte den Anbau von Chardonnay nicht zugelassen. 

Der rechtliche Schwebezustand mit Undercover-Chardonnay-Stöcken in Weißburgunder-Anlagen nahm 1991 ein Ende, als der Chardonnay in Deutschland ins Sortenregister eingetragen wurde. Heute wachsen 2.700 Hektar zwischen Bodensee und Elbe – Tendenz steigend, denn die junge Winzer­generation investiert sehr viel Fleiß und Ehrgeiz in den Beweis, dass in Deutschland Cool-climate-Chardonnay von internationalem Rang möglich ist.

Auch in Österreich wurde der Chardonnay als Qualitätsweinsorte erst gegen Ende des letzten Jahrhunderts zugelassen. Bis in die Achtzigerjahre wurde bei der Benennung kein Unterschied zwischen Weißem Burgunder und Chardonnay gemacht, und selbst in der Weinbaustatistik von 2009 wurde die Rebfläche beider Sorten noch gemeinsam ausgewiesen.

Heute sind etwa 2.000 Hektar Chardonnay in Österreich gepflanzt, das sind etwas mehr als vier Prozent der Rebfläche. Fast die Hälfte davon befindet sich im Burgenland, je ein Viertel in Nieder­österreich und eines in der Steiermark. In der Dekade von 1985 bis 1995 wurde der Chardonnay in Österreich populär, eine junge Winzergeneration, die im Umgang mit dem Barrique-Ausbau und dem biologischen Säureabbau eine gewisse Erfahrung hatte, begann sich auch in der Alpenrepublik für den Chardonnay zu interessieren. Eine langsame Entwicklung. 

Finessenreich

Willi Bründlmayer aus Langenlois im Kamptal machte mit seinem Chardonnay des Jahrgangs 1985 international auf Österreichs Potenzial bei der Sorte aufmerksam. Zu den Pionieren und bis dato besten Produzenten gehörten die Familie Velich in Apetlon, Heinz Velich überzeugt mit Chardonnay Tiglat, Fritz Wieninger aus Wien mit seinem Grand Select oder Andi Kollwentz, der mit seinen Spitzenlagen wie Tatschler, Gloria oder Katterstein das Potenzial des Leithakalks unter Beweis stellt. In den kalkreichen Lagen der Südsteiermark und des Vulkanlands entsteht Jahr für Jahr eine Vielzahl von finessenreichen Chardonnays in unterschiedlichen Stilen – als Morillon meist mit mehr Frucht und weniger neuem Holz ausgeformt, aber auch als Chardonnay tituliert wie jene von Erwin Sabathi vom Pössnitzberg. 

Im wärmeren steirischen Vulkanland nimmt der Chardonnay oft etwas üppigere Formen an, ohne dass der Konsument deswegen auf Mineralität und Frische verzichten muss. Insgesamt geht der Trend beim österreichischen Chardonnay in Richtung Finesse und Terroirausdruck bei weniger Holz und Alkohol, angesichts des Klimawandels hilft der in Österreich stark forcierte biologische Zugang im Weinbau beim Erreichen dieses Zieles.

In der Schweiz war Thomas Donatsch aus Malans in Graubünden einer der Ersten, die Chardonnay pflanzten. Zurück von einem Arbeitsaufenthalt in Burgund, legte er Mitte der 1970er-Jahre nicht nur zum ersten Mal einen Pinot Noir ins Barrique, er brachte auch seine ersten Chardonnay-Stöcke aus Burgund mit, und erkannte recht schnell das Potenzial. Auch am Lac de Neuchâtel experimentierten viele Winzer bereits in den 1980er-Jahren mit Chardonnay. Heute sind schweizweit rund 410 Hektar bepflanzt. Mit Burgund teilen die besten Weine die Eigenschaft, Raritäten zu sein: So wachsen im Kanton Graubünden nur gerade einmal 27 Hektar. Kein Wunder, dass die Abfüllungen etwa von Gantenbein, Donatsch, Wegelin, Adank oder Christian Hermann hohe Preise erzielen und trotzdem kaum zu bekommen sind. 

In Übersee wiederum herrschten nie die Restriktionen wie in Teilen Europas, auch gab es nie die Konkurrenz des Weißburgunders. Von vornherein positionierten sich zum Beispiel kalifornische Chardonnays als Rivalen Burgunds. Mit Erfolg, denn die kultigsten à la Kongsgaard, Kistler, Peter Michael und Co. sind am Markt quasi nicht existent, und eine Legende wie der 1973er Chateau Montelena Chardonnay, der 1976 beim »Judgement of Paris« namhafte Burgunder schlug, wird heute für fünfstellige Preise gehandelt. In Argentinien wächst der Chardonnay in Höhen bis zu 1.400 Metern, und in Australien ist das kühle Tasmanien gerade dabei, ein Chardonnay-Hotspot zu werden.

Auch äußerst banal

Dass Chardonnay eine hochwertige Rebsorte ist, da besteht kein Zweifel. Teil der Wahrheit ist aber, dass die Sorte auch äußerst banale Weine hervorbringen kann. Diese Erfahrung machten in den 1990er-Jahren viele Winzer, die den Ertrag junger Reben kelterten – möglicherweise auch noch gepflanzt auf ungeeigneten Böden. Die Weine blieben so neutral, dass manch einer die Sorte wieder aufgegeben hat. Auch in seiner hochwertigen Erscheinungsform ist der Chardonnay kein Wein, der mit Frucht und aromatischer Fülle überwältigt. Darum gab und gibt es immer wieder Versuche, den Chardonnay zu mehr Intensität zu treiben – etwa durch die Förderung buttriger Aromen aus dem biologischen Säureabbau, durch intensive Hefetöne aus dem Aufrühren des Hefegelägers im Fass, durch exzessiven Einsatz von Neuholz oder bereits im Weinberg durchs Pflanzen von Spielarten, die muskatartige Aromen ausbilden. All diese Versuche haben phasenweise eine Mode bestimmt – und sind ebenso regelmäßig wieder verschwunden. 

Das Maß aller Dinge

Der »wahre« Chardonnay ist eben eher ein stiller Wein, der die Frucht zurücknimmt und dessen Charakteristika nur mit Augenmaß vom Ausbau bestimmt sein dürfen – zugunsten des Terroir-Ausdrucks. Ein guter Chardonnay besticht nicht durch Intensität und nicht durch »Technik«, sondern durch den Nuancenreichtum, mit dem der Wein Geologie und Klima widerspiegelt, und durch die stilistische Feinheit, mit der die Weinbereitung diese Eigenschaften nur gerade flankiert und akzentuiert.

Das Maß aller Dinge bleiben die Weine aus Burgund. Ähnlich wie beim Pinot Noir: Spannende Terroirs gibt es auch andernorts, doch in Burgund hatten die Winzer Jahrhunderte lang Zeit, ihr Feingefühl für das Zusammenspiel von Sorte und Standort, von Kelterung und Ausbau zu entwickeln. Dieser generationenübergreifende Erfahrungsschatz ist auf so eindeutige Weise schmeckbar, dass Kenner bereit sind, sehr viel Geld auf den Tisch zu legen. Der Druck eines Montrachet ist einzigartig: Versuche, ihn nur über die Faktoren »Kraft« und »Viskosität« zu imitieren, müssen zwangsläufig scheitern.

Außerhalb Burgunds gibt es in Frankreich drei weitere Chardonnay-Hotspots: In der Champagne, und dort vor allem an der Côte des Blancs, entstehen einige der mineralischsten Champagner als »Blanc de Blancs«, also als reinsortige Chardonnays. Im Jura belegen die Weine, wie sehr Chardonnay von kluger Behandlung im Keller profitiert – in diesem Fall durch eine Verbindung von hefigen und oxidativen Untertönen. Last not least gibt es in Südfrankreich eine entdeckenswerte Hochburg: Rund um Limoux in der Vorgebirgszone der Pyrenäen entstehen kraftvolle, etwas »wärmere«, aber durchaus intensiv mineralische ­Chardonnays.

Der Kalk macht’s


Chardonnay benötigt Kalkböden, um Kraft zu entfalten – doch Kalk ist nicht gleich Kalk. Die Böden aus den ältesten Gesteinen findet man in Franken und Luxemburg, wo 240 Millionen Jahre alter Kalk aus der erdgeschichtlichen Epoche des Trias langlebige Chardonnays mit rauchigen Aromen hervorbringt. 

Aus den Gesteinen des nächstjüngeren Zeitalters, dem des Jura (beginnend vor 200 Millionen Jahren), haben sich die meisten Weinbergböden Burgunds gebildet: Dabei werden die Gesteine der Tendenz nach jünger, je weiter man nach Norden geht: Der Montrachet wächst auf Gesteinen des vor 170 Millionen Jahren herrschenden Bajociums, der Corton Charlemagne auf eisenhaltigem Oolith aus dem zehn Millionen Jahre jüngeren Oxfordium. Noch mal fünf Millionen Jahre jünger ist der in Chablis anzutreffende Kimmeridge-Kalk, der den Weinen intensive Feuerstein-Noten mitgibt. 

Kalke aus der späten Jura- und frühen Kreidezeit (etwa 140 Millionen Jahre alt) findet man im Hangschutt unter den Weinbergen in Graubünden. Die ebenfalls zu den Kalksteinen zählende Kreide der Champagne – etwa an der Côte des Blancs – stammt aus den jüngeren Stufen des Zeitalters der Kreide, etwa dem Campanium (75 Millionen Jahre alt). Der Leithakalk des Burgenlands stammt aus der Epoche des Badenium vor 15 Millionen Jahren, als zwischen den sich auffaltenden Alpen und dem eurasischen Kontinent ein Meer lag. 

Kalksteine entstehen durch Ablagerung von Calciumkarbonat in (flachen) Gewässern, häufig unter Beteiligung von abgestorbenen Muscheln oder Algen, die als Kristallisationspunkte für die Ablagerung dienen. Einer der weinbaulich wichtigen Effekte von Kalksteinen und von Lehm, der durch Verwitterung von Kalk entstanden ist, ist die Gleichmäßigkeit des Wasserhaushalts – wohltuend für die Frische der Weine.


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Erschienen in
Falstaff Nr. 05/2024

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