Das große Panoramafenster im Speiseraum des »Vyn« ist zur Ostsee ausgerichtet. Bei klarem Himmel hat man von hier aus einen Blick bis nach Bornholm.

Das große Panoramafenster im Speiseraum des »Vyn« ist zur Ostsee ausgerichtet. Bei klarem Himmel hat man von hier aus einen Blick bis nach Bornholm.
© Jimmy Linus

»Vyn« im Rampenlicht: Daniel Berlin ist zurück

Fine Dining
Neueröffnung
Schweden

Fast drei Jahre lang war Daniel Berlin komplett von der Bildfläche verschwunden. Nun ist dem schwedischen Zwei-Sterne-Koch ein fulminantes Comeback gelungen. Mit dem »Vyn« in Skåne setzt er neue Maßstäbe im Destination Dining. Ein Besuch bei einem, der sich aller Schicksalsschläge zum Trotz nicht unterkriegen lässt.

Der Weg zum angewiesenen Treffpunkt führt über eine schmale Treppe unters Dach eines ehemaligen Bauernhofs. Das Erste, was einem beim Eintreten ins Auge fällt, ist die mächtige Holztafel mit eins, zwei, drei, vier … zwölf Gedecken. Noch ist aber niemand da. Halt, doch. In der Nische auf der anderen Seite des Raums sitzt einer. Die zugezo­genen Vorhänge tauchen die Gestalt in mysteriöses Halbdunkel. Als man nähertritt, richtet die Person sich auf, streckt die Hand aus und entspannt die Situation mit einem Lächeln. »Schön, dass Sie da sind«, sagt Daniel Berlin. »Nehmen Sie doch Platz.« Fürs Interview hat er in den Private-Dining-Bereich seines neuen Restaurants geladen. 

Das »Vyn«, wie Berlins Wirkungsstätte heißt, liegt eingefasst von Äckern auf einer Anhöhe außerhalb von Gislövhammer, einem der kleinsten Fischerdörfer hier in Südschweden. Nur zehn Minuten sind es von der Türschwelle des Restaurants bis ans Meer – und selbst wenn man eine Stunde unterwegs ist, kann es sein, dass man keiner Menschenseele über den Weg läuft. Die Häuser, die gelegentlich am Horizont erscheinen, dienen hauptsächlich als Ferienunterkünfte und stehen die meiste Zeit über leer. Besonders zu dieser Jahreszeit, wenn das Wetter im Halbstundentakt zwischen Sonnenschein und Wolkenbruch wechselt. Wirtschaftlich gesehen entbehre es jeder Vernunft, in solch abgelegener Lage ein Restaurant zu eröffnen, sagt Berlin.

Zwei-Sterne-Koch Daniel Berlin mit Chefsommelier Joachim Blonster: Wirtschaftlich gesehen sei es ein Kamikaze-Akt, ein Restaurant in einer solch abgelegenen Gegend zu eröffnen.
© Jimmy Linus
Zwei-Sterne-Koch Daniel Berlin mit Chefsommelier Joachim Blonster: Wirtschaftlich gesehen sei es ein Kamikaze-Akt, ein Restaurant in einer solch abgelegenen Gegend zu eröffnen.

Für sein persönliches Wohlbefinden allerdings sei diese Abschirmung unabdingbar. »Gestern war zum Beispiel so ein Tag, an dem mir alles zu viel wurde.« Also sammelte er seine beiden Zwillingssöhne ein, fuhr mit ihnen in den Wald, danach zum Angeln. Erst spät am Abend kamen sie wieder ­zurück. So bleibe er im Gleichgewicht.

Zu Berlins Anwesen gehören 15 Gästezimmer, eine legere Weinstube und ein Gourmetrestaurant mit 30 Sitzplätzen, das als aufregendste Neueröffnung Schwedens gilt, vielleicht sogar darüber hinaus, seit Ende Februar in der New York Times eine begeisterte Kritik erschien. Wer über die Webseite eines der begehrten 30 Tickets ergattert – die Rechnung ist übrigens wie bei Konzertkarten im Voraus zu begleichen –, wird Zeuge einer bis ins kleinste Detail ausgearbeiteten Choreografie.

Volle Konzentration

Los geht’s in einem Loungebereich mit gut sieben Metern Raumhöhe. Rechter Hand befindet sich ein Kamin, links die offene Küche, von der auf gespenstische Weise nicht ein einziges Geräusch ausgeht. Berlin und sein Team verstehen einander wortlos.

In zügiger Abfolge werden die Amuse-­Bouches gereicht: zum Beispiel Königs­krabbe mit Safran und Lardo vom Linderöd-Schwein. Dazu Maränenkaviar mit Crème double, Verbene und karamellisiertem Sellerie. Das Besondere daran ist, dass beide Gerichte als Einheit serviert werden. Die Oberseite des Servierpodests, auf der die Königskrabbe thront, wurde vorgewärmt und lässt sich abnehmen, der Rest des Gefäßes ist geeist und mit der Creme gefüllt. So behalten beide Bestandteile die ­gewünschte Temperatur.

Fürs Hauptmenü geht es in einen Nebenraum mit zur Ostsee ausgerichteten Panoramafenstern. Wenn die Witterung mitspielt, kann man von hier aus bis zur Insel Bornholm blicken. Das Spiel mit Temperaturen zieht sich weiter wie ein roter Faden durch die Speisenfolge: Die Jakobsmuschel etwa, Gang Nummer sechs, wurde unter einem tiefgekühlten Stahlplättchen angebraten, ­sodass sie auf der einen Seite heiß und kross ist, auf der anderen aber kalt und roh wie Sashimi.

Am 27. Mai wurde das »Vyn« auf ­Anhieb mit zwei Michelin-Sternen geehrt – nur sieben Monate nach der Eröffnung. Ein Überraschungserfolg sieht dennoch anders aus. Berlin wurde bereits mehrfach als schwedischer »Koch des Jahres« ausgezeichnet, erst im März auch von Falstaff. Als er vergangenen Sommer erst mal nur sein Weinlokal für einen Testlauf öffnete, war der Menschenansturm fast so groß wie beim Verkaufsstart eines neuen iPhones. Dabei hatte der Koch nicht mal eine ­Ankündigung veröffentlicht.

Das ist allerdings nur die eine Seite der Medaille. Ebenso gut ließe sich das Leben des Spitzenkochs als Tragödie erzählen. In der Gastronomie landete Berlin nur, weil er sich mit seinen schlechten Schul­noten die meisten anderen Optionen verbaut hatte. Zwar ließ sein Talent ihn schnell vorankommen, allerdings übertrieb er es mit dem Arbeitspensum so sehr, dass irgendwann nichts mehr ging: Burn-out.

Ein hoher Preis

Der Preis, den seine Eltern bezahlen mussten, um ihren Sohn wieder aus der Krise zu holen, war hoch: Für die Finanzierung seines ersten eigenen Restaurants, eines lang gehegten Traum ihres Jungen, beliehen sie ihr Haus und kündigten ihre sicheren Jobs, um als Sommelier und Servicekraft mit einzusteigen. Weniger als zwei Jahre, nachdem das Restaurant mit dem zweiten Stern dekoriert wurde, bekam Berlins Frau die Diagnose Krebs. Im Frühjahr darauf war sie tot – und Berlin alleinerziehender Vater. Es war das Ende seines bisherigen Lebens und selbstverständlicnh auch seines Restaurants.

Einer seiner alten Stammgäste, um genau zu sein, sein Zahnarzt – andere hatten während dieser Phase gar keinen Zugang zu Berlin –, bot ihm irgendwann den leer stehenden Bauernhof für seinen unternehmerischen Neuanfang an. Berlin ergriff die Chance, er war wieder bereit.

Noch zu klären ist die Sache mit seinem Namen: Berlin. Ein Pseudonym? Nein. Auch wenn er die Frage nicht zum ersten Mal höre, so selten sei »Berlin« in Schweden gar nicht. Wenn er jedoch länger darüber nachdenke, sei die Vermutung mit dem Künstlernamen gar nicht mal so falsch. Wäre seine Oma nicht gewesen, hieße er heute wie sein Vater Svensson mit Nach­namen. Auf ihren Wunsch hin nämlich nahm er den Familiennamen seines Großvaters an, eines Ringers auf Weltklasseniveau. Scheint so, als hätte er von ihm auch die Fähigkeit geerbt, sich nicht so leicht umwerfen zu lassen.

Vyn
94
Das »Vyn« befindet sich in einem stattlichen ehemaligen Bauernhof und strahlt Eleganz und Persönlichkeit aus. Mit seiner offenen Küche und dem herrlichen Ausblick auf die Landschaft können die Gäste hier das saisonale Menü von Chefkoch und Inhaber Daniel Berlin genießen, bei dem lokale Produkte mit Präzision und Kreativität in Szene gesetzt werden.
Höga vägen 72
272 92 Simrishamn
Schweden

Nichts mehr verpassen!

Melden Sie sich jetzt für unseren Newsletter an.

Erschienen in
Falstaff Nr. 05/2024

Zum Magazin

Sebastian Späth
Sebastian Späth
Chefredakteur Deutschland
Mehr zum Thema
Fine-Dining im Europa-Park
Wussten Sie, dass es in Europas größtem Erlebnispark zwei erstklassige Gourmet-Restaurants gibt...
Von Sebastian Späth