Sonnenuntergang in Radebeuls Spitzenlage »Goldener Wagen« – aufgenommen aus den Terrassen von Schloss Wackerbarth.

Sonnenuntergang in Radebeuls Spitzenlage »Goldener Wagen« – aufgenommen aus den Terrassen von Schloss Wackerbarth.
© Martin Förster Dresden Marketing

Weinbaugebiet Sachsen: Alt und neu, klein und fein

Seit mindestens 850 Jahren wird in Sachsen schon Wein angebaut. Doch vermutlich war noch selten so viel Dynamik im Gebiet wie in den letzten zehn oder 15 Jahren.

Ein Stich aus dem 19. Jahrhundert zeigt ein sächsisches Weinbau-Idyll bei Radebeul: Unterhalb eines kleinen Schlösschens wachsen im terrassierten Steilhang die Reben. Ein rund 150 Jahre später aufgenommenes Foto zeigt denselben Hang als kleines Wäldchen, Nahaufnahmen aus dem Inneren des Gehölzes lassen noch die Steintreppe erahnen, die vom Ort aus 45 Höhenmeter hinauf zum Lustschlösschen »Neufriedstein« führte.

Links und rechts stehen die Reste der Trockenmauern zwischen den Bäumen. Wo sie eingestürzt sind, hat das Gelände Hangform. Wo sie noch halbwegs in Form geblieben sind, erkennt man noch die früheren Terrassen. Eindeutig: Der alte Kupferstich hat keine Fantasielandschaft abgebildet. Doch Trauben waren an dieser Stelle schon sehr lange nicht mehr geerntet worden.

Dutzende Winzer besitzen Parzellen in Radebeuls Terrassenlage »Goldener Wagen« – Karl Friedrich Aust gehört zu ihren versiertesten Interpreten.
© Weinngut Aust
Dutzende Winzer besitzen Parzellen in Radebeuls Terrassenlage »Goldener Wagen« – Karl Friedrich Aust gehört zu ihren versiertesten Interpreten.

Spitzenlage Friedstein

»Mir war sofort klar, dass das eine Spitzenlage sein muss«, sagt der Winzer Martin Schwarz, der gemeinsam mit seiner Lebenspartnerin Grit Geißler drei Jahre lang Geld und Arbeit in diesen Hang gesteckt hat, um hier wieder Reben pflanzen zu können. »Zwischen 2009 und 2011 haben wir fast jede freie Minute mit dem Wiederaufbau verbracht, wir waren damals ja beide noch berufstätig und hatten das Weingut nur im Nebenerwerb.« Heute wachsen in der Lage »Friedstein« Riesling, Chardonnay, Spätburgunder und sogar ein paar Stöcke Nebbiolo – und das Weingut, inzwischen sechs Hektar groß, wurde vor zwei Jahren in den VDP aufgenommen.

Schwierige Ausgangslage

Was sich im ersten Moment anhört wie eine »Nach der Wende wurde alles gut«-Legende, hat in Wirklichkeit eine weitaus längere und vielschichtigere Vorgeschichte. Denn der Niedergang des sächsischen Weinbaus begann lange vor der Gründung der DDR. Der Weinberg unterhalb des »Mätressenschlösschens« Neufriedstein war schon gut und gerne 100 Jahre brachgelegen, als Geißler und Schwarz ihn wieder von der Natur zurückeroberten. Vermutlich wurde er nach dem Einfall der Reblaus aufgegeben, die hier 1887 erstmals auftrat.

Dass damals eine so gute Lage aufgegeben wurde, dürfte auch mit der grundsätzlichen Verwundbarkeit des Weinbaus im Elbtal zusammenhängen: Unter allen deutschen Anbaugebieten liefern Sachsens Weinberge auch heute noch im Zehn-Jahres-Schnitt den mit Abstand niedrigsten Durchschnittsertrag: nur 46 hl/ha. Zum Vergleich: Die Pfalz und Rheinhessen schaffen es auf 97 hl/ha.

Keine Massenware

Die eher moderate Produktivität im sächsischen Weinbau hat sicherlich auch damit zu tun, dass es die Winzer hier von vornherein nicht auf Menge anlegen. Aber ein gravierender Faktor sind auch Spät- und Winterfröste, die in den letzten 15 Jahren (2009, 2010, 2013, 2017, 2019, 2020 und 2021) den Ertrag schmälerten, hier und dort vielleicht auch mal nur um ein paar wenige Prozent, aber zuweilen auch um 20, 30 oder gar 50 Prozent.

© Stefanie Hilgarth

QUALITÄT

Auch andernorts auf dem Planeten kommen mit die spannendsten Weine aus Regionen an der Grenze des klimatisch Förderlichen. In Sachsen ist die Gemengelage besonders spannend: Die Jahresdurchschnitts­temperatur liegt mit 10,3 Grad deutlich im kühlen Bereich. Dass dennoch Spitzenweine entstehen können, hat mit dem kontinentalen Klima zu tun, das hinter der tiefen ganzjährigen Durchschnittstemperatur ausgesprochen sonnige und heiße Sommer verbirgt. In ihnen können die Trauben trotz der relativ kurzen Vegetationsperiode in der Regel problemlos ausreifen.

Südlich ausgerichtete Steilhänge sind in diesem Szenario natürlich eine große Hilfe, und so ist es kein Wunder, dass das Herz des sächsischen Weinbaus am Nordufer der Elbe schlägt, in einer Abfolge von Steilhängen, die von Meißner Kapitelberg im Westen bis zum Pillnitzer Königlichen Weinberg im Osten reicht, wo mit Klaus Zimmerling der erste der Pioniere tätig ist: Bereits 1992 wagte Zimmerling den Sprung in die Weingut-Selbständigkeit, früher als alle anderen. Und diesen Drive hat sich Zimmerling – das zeigen auch die aktuellen Weine – bis heute bewahrt.

Im Herzen Sachsens

Radebeul ist das Zentrum des Zentrums: mit Schloss Wackerbarth am Westrand und der emblematischen, klein parzellierten Terrassenlage »Goldener Wagen« am Ostrand. Direkt am Fuß des »Goldenen Wagens« haben drei besonders rege Betriebe ihre Heimat: das städtische Weingut Hoflößnitz, das sich dem Ökoweinbau und vor allem der Erzeugung von pilzresistenten Rebsorten verschrieben hat, den sogenannten PiWis. Das Weingut »Drei Herren« des Kunstprofessors Rainer Beck, der auch immer wieder Kunstausstellungen auf dem Weingut kuratiert. Und der Betrieb des Gralshüters des »Goldenen Wagens«, von Karl Friedrich Aust.

Austs Vater war Hobbywinzer im »Goldenen Wagen« und hatte einen denkmalpflegerischen beruflichen Hintergrund, der ihn dazu brachte, eine Landmarke am Fuß des Weinbergs instand zu setzen: Das »Meinholdsche Turmhaus« wurde dadurch nicht nur zum Wohnhaus der Familie, sondern auch zum Weingutsgebäude, als Karl Friedrich Aust Ende der 1990er-Jahre begann, im Weinberg Trockenmauern zu sanieren und eigene Weine zu keltern.

Synergien aus alt und neu

20 Jahre später wurde es jedoch zu eng in den alten Gemäuern, und Aust konnte im Herbst 2022 einen Kellerneubau in Betrieb nehmen. »Bei aller Konzentration auf den Neubau«, berichtet Aust, »war es mir wichtig, dass auch das alte Weingut seine Bedeutung behält. Die Gewölbekeller unter den alten Gebäuden kommen unverändert ihrer Aufgabe nach, die Barriquefässer zu beherbergen. Daher haben wir unterirdisch sehr lange Edelstahlleitungen verlegt, die unter dem Hof vom Tanklager im Neubau in die alten Gewölbekeller verlaufen. Im Herbst fließen die Jungweine ohne Pumpe durch Schwerkraft in die Gewölbekeller.« Das sei sehr schonend für den Wein, sagt Aust weiter.

Und man kann auch sagen: Neu und Alt sprechen miteinander.

Die Schlösser

Die überregional vermutlich bekanntesten sächsischen Weingüter sind Schloss Wackerbarth und Schloss Proschwitz. Beide haben maßgeblichen Anteil am Wiedererstarken des sächsischen Weinbaus, wenngleich auf unterschiedliche Weise. Während Georg Prinz zur Lippe gleich nach Öffnung der Mauer damit begann, den nach dem zweiten Weltkrieg enteigneten Familienbesitz inklusive des Schlosses Proschwitz Stück um Stück zurückzukaufen, wurde das zuvor als volkseigenes Weingut genützte Schloss Wackerbarth 1992 zum sächsischen Staatsweingut. Beide Betriebe sind groß: Schloss Proschwitz bewirtschaftet aktuell 72 Hektar, Wackerbarth 90 Hektar.

»Wir haben 17 verschiedene Rebsorten im Weinberg, es gibt 30 bis 35 Weine jedes Jahr, plus Sekte«, summiert Martin Junge, der auf Wackerbarth die Unternehmenskommunikation leitet. Mit dem Event- und Gastronomiebereich zusammen beschäftigt das Weingut 120 Personen.

Die im Sommer 2022 in Rente gegangene, hoch angesehene Geschäftsführerin Sonja Schilg hatte Wackerbarth zu einem Erlebnisweingut und zu einem Tourismus-Magneten gemacht, ihr Nachfolger Andreas Stuhl ist nun dabei, die ersten eigenen Projekte zu entwickeln, wo bei im Zentrum der Überlegungen die 200.000 Besucher stehen, die jedes Jahr aufs Weingut kommen.

Frischer Wind im Weinberg

Auch auf Schloss Proschwitz brachten die letzten Jahre einen Umbruch: Nachdem der Betrieb eine Schwächephase durchstehen musste, holte Prinz zur Lippe den Betriebsleiter des Fürstlich Castellschen Weinguts Björn Probst aus Franken nach Zadel bei Meißen. Seither hat Probst kaum einen Stein auf dem anderen gelassen: Er tauschte an Schlüsselstellen Personal aus und leitete die Umstellung auf Bioanbau ein: »Der Fokus liegt jetzt auf dem Weinberg. Da haben wir sehr intensiv Arbeit reingesteckt. Und unser Kellermeister hat das Feingefühl, Weine nur behutsam zu begleiten.

2023, unser erster biozertifizierter Jahrgang, wird qualitativ nochmal ein Sprung sein.«

 

Die Verkostung der neuen Weine bestätigt diese Aussage.

Zuwanderung im Osten

Neben den Platzhirschen und Routiniers hat Sachsens Weinbau inzwischen aber auch Platz für Nischen – und für Zugezogene. Augenfällig ist, dass sich in Radebeul jetzt schon zwei gebürtige Franzosen im Steilhang mühen, um Reben zu pflegen. Schon seit 2007 keltert dort der ehemalige Sommelier des Dresdner »Taschenbergpalais«, Frédéric Fourré, Weine aus dem »Goldenen Wagen«.

Der zweite Neuzugang ist Alexandre Dupont de Ligonnès, der im Grundschulalter nach Bayern kam und auch tatsächlich ein leicht bayrisch eingefärbtes Hochdeutsch spricht. Dupont de Ligonnès hat sich Amphoren, schwefelfreien Kelterungen und Maische­gärungen verschrieben. »Ich konnte Weinberge übernehmen, die in den siebziger und achtziger Jahren von Hobbywinzern gepflanzt worden waren.« Es sei schon »cool«, sagt er, mit so alten Reben arbeiten zu können.

Augenfällig mag es schon sein, dass sich Menschen mit dem Hintergrund einer französischer Weinbildung von Sachsen angezogen fühlen. Überraschend ist es nicht: Die verstehen etwas vom Terroir!

SACHSEN AUF EINEN BLICK
Größe:

519 Hektar (2023)

Durchschnittsertrag im Gebiet (2010–2022):
46 hl/ha
Qualitativ wichtigste Rebsorten:

Riesling, Traminer (weiß), Spätburgunder (rot).

Verhältnis weiß zu rot:

81 Prozent weiße Trauben, 19 Prozent rote Trauben.

Klima:

Die Jahresdurchschnittstemperatur liegt (für die Station Dresden-Mitte) bei 10,3 Grad Celsius, die Sonne scheint an durchschnittlich 1.718 Stunden pro Jahr, die Niederschläge liegen im langjährigen Mittel bei 590 Millimetern (alle Angaben für den Zeitraum 1991–2020).

Relief und Höhe:

Anders als etwa an Mosel und Mittelrhein liegen die Weinberge des Elbtals nicht direkt am Fluss, die famosen Steillagen von Pillnitz und Radebeul etwa liegen etwa 600 Meter (Pillnitz) bis anderthalb Kilometer vom Fluss entfernt. Die steilsten Lagen – etwa in der Radebeuler Lage »Goldenen Wagen« – sind terrassiert. Da das Elbtal recht breit ist, handelt es sich bei den wenigen direkt am Fluss gelegenen Weinbergen, etwa bei Sörnewitz, eher um flache bis leicht hängige Lagen. Zum förderlichen Klima Sachsens trägt auch bei, dass die Weinberge in nur gemäßigter Höhe liegen: Im klassischen Flussabschnitt zwischen Pillnitz und Seußlitz überschreiten sie die 200-Meter-Höhenmarke nur geringfügig. Höher hinauf geht es einzig an zwei anderen Stellen: Im Ort Ostritz an der polnischen Grenze wachsen in einem Vorposten des sächsischen Weinbaus Reben bis auf 230 Metern Höhe, im links der Elbe gelegenen Ort Pesterwitz südwestlich von Dresden erreicht der Weinberg sogar 270 Meter Höhe. Die tiefsten Lagen finden sich bei Brockwitz, Sörnewitz und Hebelei auf 100 bis 105 Metern über Meer.

Geologie:

An den Steillagen herrschen – teils flachgründige – Verwitterungsböden von Granit und Syenit (einem vulkanischen Tiefengestein) vor. Löss und Lösslehm dominieren die Flachlagen, in Elbnähe findet man auch Sand und Flussschotter.

Geschichte:

Die ältesten Zeugnisse für Weinbau im Elbtal datieren auf das 12. Jahrhundert (eine Schenkungsurkunde erwähnt 1161 einen bereits im Ertrag stehenden Weinberg in Meißen). Während der Blüte des sächsischen Weinbaus waren auch die Flachlagen und Flussauen bestockt – vor dem Dreißigjährigen Krieg soll die Rebfläche 5000 Hektar umfasst haben, damit wäre sie zehnmal so groß wie heute gewesen. Im Jahr 1684 sah sich Kurfürst Johann Georg III. genötigt, aus Furcht vor einer Knappheit an Grundnahrungsmitteln den Weinbau im Flachen zu verbieten: »Wo der Pflug gehen kann, soll kein Weinstock stehen.« Noch 1840 war die Rebfläche mit 1636 Hektar dreimal so groß wie heute. Reblaus, Wirtschaftskrise und zwei Weltkriege brachten ihn fast zum Verschwinden, Anfang der 1950er-Jahre maß die Rebfläche nur noch 60 Hektar. In der DDR trugen vor allem Hobbywinzer die sächsische Weinbautradition fort, sie waren in zwei Staatsbetrieben organisiert: in der Winzergenossenschaft Meißen und im VEG Weinbau »Lößnitz«. Sächsische Weine waren beliebte »Bückware«, die zum Tauschhandel genützt wurde. Die Ertragsfläche stieg wieder – bis auf 220 Hektar im Jahr 1990.

Erschienen in
Falstaff Nr. 03/2024

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Ulrich Sautter
Ulrich Sautter
Wein-Chefredakteur Deutschland
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