(c) Jessica Alice Hath

Terrassenhäuser: Der neue Architekturtrend

Lange wurde es als Siebzigerjahre-Dinosaurier verschmäht, jetzt ist es wieder en vogue: das Terrassenhaus. Mit gutem Grund, denn die Vorteile dieses Wohntypus, der Garten und Panorama für alle bietet, liegen auf der Hand.

11.07.2024 - By Maik Novotny

Titelbild: Färberhof, Dornbirn: Schwer zu glauben, dass die Wohnanlage Färberhof in Dornbirn auf einem ehemaligen Gewerbegebiet entstand, so idyllisch geht es hier zu. Auch dank der gestapelten und üppig begrünten Terrassen, die ein geradezu tropisches Feeling ins nüchterne Vorarlberg bringen. hoffenscher.com

»Nanu?« wird so mancher gestandene Wiener gesagt haben, als er im Frühjahr 2023 das »New York Times Magazine« in die Hand nahm und auf dessen Cover ein großes Foto des Wohnparks Alt-Erlaa erblickte. Tatsächlich: Die weißen Ozeandampfer des sozialen Wohnbaus aus den 1970er- und frühen 1980er-Jahren mit ihren legendären Swimmingpools auf dem Dach waren mit reichlich Verspätung zu Weltstars geworden.

HOHE ZUFRIEDENHEIT

Dabei waren sie lange Zeit keineswegs so populär, zumindest nicht in der Öffentlichkeit. Zu groß, zu technoid, zu brutal. Aber irgendwann sickerte die Erkenntnis durch, dass die Wohnzufriedenheit unter den 9.000 Bewohner:innen zu der höchsten in Wien zählt. Irgendwas musste der Alt-Erlaa-Architekt Harry Glück also richtig gemacht haben. Und er wusste auch, was: »Es geht darum, dass man die Menschen so wohnen lässt, wie sie es sich im Urlaub wünschen. Im Kontakt zur Natur, mit Blick ins Grüne.« Und weil nicht alle im Einfamilienhaus wohnen können, lässt sich dieser Blick, wenn man geometrisch klug ist, einfach stapeln. Voilà: Das Terrassenhaus. Alt-Erlaa war nicht das einzige von ihnen, das Harry Glück baute, aber das größte. Viele andere realisierte er in Wien, bei allen wuchert heute das Grün üppig über die Brüstungen, ein Zeichen, dass die Idee funktioniert hat. Das hat nicht nur die »New York Times« wiederentdeckt, sondern auch Architekt:innen und Bauherr:innen von heute. Ganz klar: Das Terrassenhaus ist wieder en vogue.

Lenau Terrassen, Linz: Mit schnittigem Zickzack stapeln sich die Terrassen dieses Hochhauses in der Grünen Mitte Linz über 18 Stockwerke in die Höhe. Mit gutem Grund, denn so wechseln sich sonnige und schattige Bereiche ab, und man kann den Blick auf den Pöstlingberg bei jedem Wetter genießen. lenauterrassen.at

(c) Günther Edenstöckl

Mountain Dwellings, Kopenhagen: Vielleicht das berühmteste der neuen Terrassenhäuser des 21. Jahrhunderts. Der Wohnberg in Dänemark stapelt sich über elf Geschosse aus dem Flachland hinauf, der Raum unter den Wohnungen wurde mit Parkgaragen aufgefüllt. Alpines Feeling im skandinavischen Flachland. big.dk

(c) BIG Bjarke Ingels Group

PANORAMA FÜR ALLE

Ganz weg war es nie, vor allem dort, wo ein Bauplatz in Hanglage die topografische Schichtung schon nahelegte. In den Alpenregionen lässt sich so das Beste aus der Lage herausholen, denn jede Wohnung hat den Panoramablick und einen eigenen große Freiraum. Wenn man es gut plant, auch einen, bei dem die Nachbar:innen von oben nicht hineinlugen, wenn man sich gerade im Liegestuhl räkelt. In teuren Lagen wie an österreichischen Seen oder praktisch im gesamten Schweizer Mittelland ist das Terrassenhaus eine beliebte Investoren-Typologie. Die schwierige Aufgabe dabei ist es nur, die Frage des Zugangs zu lösen. Denn niemand möchte gerne zu Fuß ins oberste Geschoß hinaufkeuchen wie auf eine Maya-Pyramide. Ein einzelner gewöhnlicher Lift wiederum reicht meist nur aus, wenn man sich tief in den Berg hineingräbt, daher bemüht man oft den teuren Schräglift oder eine Abfolge kleiner Aufzüge.

ERWEITERTES WOHNZIMMER

Doch nicht nur an Hängen und in den Alpen wird gestapelt, auch im Flachland und in der Großstadt, zum Beispiel in der Wiener Seestadt Aspern. Beim »Living Garden« des Bauträgers VI-Engineers wurde besonders freigebig mit dem Freiraum umgegangen: Die Wohnungen haben Terrassen, die so groß sind wie das Wohnzimmer, hinzu kommen Gemeinschaftsterrassen für Urban Gardening. Als grüne Verbindung über alle Geschoße entwarf Architekt Martin Mostböck ein schmales Garten-Band, das sich als grüne Rampe kurvig nach oben schlängelt. Eine begrünte Fassade hilft bei der sommerlichen Kühlung. Gerade die heißen Sommer machen es umso wichtiger, draußen wohnen zu können, sagt Mostböck. »Die Terrassen fungieren als erweitertes Wohnzimmer, zum Sitzen, Grillen, Entspannen.« Das geht auch ohne See in der Nähe. Bei der Wohnanlage Färberhof (Titelbild) in Dornbirn mit 29 Wohnungen spielen die Terrassen mit ihren Pflanztrögen von Anfang an eine Hauptrolle. Einheimische Architektur­kenner:innen mögen hier die bewusste Hommage an das legendäre Dornbirner Terrassenhaus aus den 1970er-Jahren von Architekt Herbert Bereiter erkennen, wenn auch mit anderer Atmosphäre: dort silbrig-futuristisch, hier dunkel und edel, mit Holz und mattschwarzem Metall. Der Mehrwert der großen Terrasse zählt hier wie dort – die Wohnung als Haus mit Garten.

Terrassenhaus, Frankfurt: Ein weiteres Zickzack-Haus konzipierten die Rotterdamer NL Architects für ein neues Viertel am Stadtrand von Frankfurt. Durch die Vor- und Rücksprünge wird jede Terrasse zum indivi-duellen und sichtgeschützten
Freiraum, ausgerichtet zur Nachmittags-sonne und gekleidet in freundlichem Holz. nlarchitects.nl

(c) Courtesy of NL Architects

Terrassenhaus, Berlin: So ein Haus gibt es selbst in Berlin kein zweites Mal: Das experimentelle Wohn- und Atelierhaus im Stadtteil Wedding wurde für das Architektenteam aus Arno Brandlhuber, Studio Emde, Burlon und Muck Petzet zur radikalen Versuchsanordnung aus rauem Sichtbeton und raumhohen Vorhängen. studioemde.com

(c) Erica Overmeer

BERGE BAUEN

Und wenn es in der Gegend weit und breit keinen Berg gibt, dann baut man sich eben einen hin. Zum Beispiel im topfebenen Dänemark, wo die Architekten von PLOT ihre »Mountain Dwellings« wie eine bewohnbare Tribüne mit elf Geschoßen aufstellten. Das, was bei einem Berg das Erdreich ist, wurde hier mit einer Parkgarage aufgefüllt. Nicht weniger radikal das Wohn- und Atelierhaus LOBE in Berlin, das in typisch Berliner Großstadt-Rauheit in Sichtbeton daherkommt. Hier wurde das dunkle Innere nicht für Autos reserviert, sondern für die Freiheit der Kunst – dafür baden die hofseitigen Terrassen im Licht, und wem die Sonne zu viel wird, für den gibt es raumhohe Vorhänge, die dem Ganzen etwas unwirklich Theatralisches verleihen. Das passt ganz gut zum Terrassenhaus an sich, denn diesem Typus gelingt es wie kaum einem anderen, die Vorstellung von Luxus heraufzubeschwören. Beim Blick aus dem Wohnzimmer die Nachbar:innen auszublenden, zugunsten eines grünen Panoramas. Wie sagte schon Architekt Harry Glück über Alt-Erlaa: »Wohnen wie die Reichen, aber für alle.«

Sommerhalde, Aargau: Ungebrochen ist die Terrassenhaus-Tradition in der Schweiz, und das sieht man. Kaum jemand baut so feine und elegante Wohn-Topografien in die Hänge und Berge wie die Eidgenossen. So auch bei dieser luftig-leichten
Panorama-Wohnanlage von 2021 im Kanton Aargau. dsarch.ch

(c) Roger Frei

Erschienen in:

Falstaff LIVING 05/2024

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