(c) Kevin Mak

M+ in Hongkong als Kulturbiotop der Stadt

Vor zwei Jahren öffnete das spektakuläre M+ seine Pforten in Hongkong. Das Kuratorenteam Doryun Chong und Olivia Chow erklären im Interview, was die grossen Ambitionen des Museums sind und was den Spirit der Kunstszene ausmacht.

16.08.2024 - By Maik Novotny

Titelbild: Siegerentwurf: Das 2021 eröffnete M+ wurde vom Architekturbüro Herzog & de Meuron mit Farrells geplant.

LIVING Das neue M+ eröffnete 2021. Wie waren die ersten zwei Jahre aus Ihrer Sicht als Chefkurator des Museums?

Doryun Chong Es war unglaublich. Wir haben mitten in der Pandemie eröffnet, mit sehr strengen Lockdown-Regeln in China und Hongkong. Wir waren drei Jahre lang praktisch isoliert und bei der Eröffnung gab es nur lokales Publikum. Trotzdem kamen im ersten Jahr zwei Millionen Besucher:innen und insgesamt 5,2 Millionen bis heute. Die Kunstwelt hat uns mit offenen Armen empfangen. Aber wichtiger als die Zahlen sind Inhalt und Ideen. Wir haben mit sechs Ausstellungen eröffnet, die vor allem unsere grosse Sammlung zeigten, und dann die grosse Retrospektive von Yayoi Kusama, die danach im Guggenheim Bilbao zu sehen war.

Kunst aus Asien steht im Zentrum des M+. Wie wählen Sie neue Kunstwerke aus diesem Kontinent aus? Nach Regionen, Personen, Themen?

Chong Alles davon! Aber der Ausgangspunkt dafür ist für uns immer Hongkong. Eine der grössten kosmopolitischen Metropolen der Welt, die historisch stets die Verbindung zwischen dem nördlichen und südlichen Fernost war. Von hier aus gehen wir auf die Suche nach Kunstszenen und Regionen, aber manchmal auch Schlüsselpersonen, die wir «anchor artists» nennen. Aber natürlich muss jedes Kunstwerk auch für sich stehen können, was Qualität und Bedeutung betrifft.

Wie spiegelt sich das kosmopolitische Wesen Hongkongs in seiner Kunstszene wider?

Olivia Chow Nur ein Beispiel: Es gibt hier jeden März die Art Basel, und die ganze Szene ist dann elektrisiert. Der Event bietet die Möglichkeit, sich auf internationaler Bühne zu begegnen, und gibt internationalen Besucher:innen die Gelegenheit, auch kleinere Galerien aufzuspüren.

Sie waren Kuratorin in der von Künstler:innen betriebenen Galerie Para Site. Wie haben Sie die Kunstszene dort erlebt?

Chow Sie ist erstaunlich klein. Als ich zu Para Site kam, war das ein sehr guter Tür-öffner, weil so viele Protagonist:innen für Ausstellungen oder Vorträge präsent waren. Das Programm dort war sehr schnell getaktet und dynamisch, ein Ort voller Möglichkeiten. In einem Museum arbeitet man mit etablierteren Künstler:innen, aber es ist wichtig, das ganze Kulturbiotop der Stadt zu kennen. Es gibt natürlich ein grosses Kommen und Gehen, aber es gibt einen konstanten Kern von Orten und Personen. Man kennt sich hier.

In Hongkong steht die hochverdichtete Stadt aus Business und Hightech unvermittelt neben der natürlichen Insellandschaft. Wie beeinflusst das die Kunst vor Ort?

Chong Das ist ein ganz wichtiger Aspekt! Das Navigieren zwischen urbanem Hochdruck und üppiger, dschungelartiger Naturschönheit ist Teil unserer DNA. Hongkong war auch immer ein Ort der Zuflucht, zum Beispiel wurde es Mitte des 20. Jahrhunderts zum Zentrum traditioneller chinesischer Tintenzeichnung, die sich hier mit der Gegenwartskunst experimentell vermischte. Und natürlich sind das Meer und die Berge das wesentliche Sujet chinesischer Tintenzeichnung.

Sie haben an internationalen Häusern wie dem MoMA gearbeitet. Welche Rolle will das M+ in der globalen Museumslandschaft spielen?

Chong Globale Institutionen wie das MoMA, das Centre Pompidou oder die Tate Modern waren unsere Vorbilder, und wir wollen in derselben Liga spielen. Sie alle haben grosses Interesse an Asien und suchen dort einen Partner – das sind wir. Wie haben einen Museumsbau derselben Grössenordnung, wir haben das intellektuelle Rüstzeug und wir sind das einzige Museum in Asien, das transnational und über mehrere Regionen hinweg denkt. Wir werden auch den kosmopolitischen Geist von Hongkong am Leben erhalten, den die Stadt immer hatte.

Doryun Chong arbeitete unter anderem als Co-Kurator am MoMA in New York und ist jetzt am M+ in Hongkong in leitender Funktion für Kuratierung und Programm zuständig.

(c) Winnie Yeung Visual Voices

Olivia Chow ist Künstlerin und Kuratorin in Hongkong und war dort für die Galerie Para Site tätig. Heute arbeitet sie am M+ und kuratiert den Hongkong-Pavillon der Kunstbiennale Venedig 2024.

(c) South Ho

Erschienen in:

Falstaff LIVING SCHWEIZ 01/2024

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