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Kuratorin Zoë Gray: »Brüssels Kunstszene ist Europa als Mikrokosmos«

Die britische Kuratorin Zoë Gray ist seit vielen Jahren eine Insiderin der Brüsseler Kunstszene. Im Interview erklärt sie, was diese vielsprachige und vielfältige Stadt so besonders macht.

16.05.2024 - By Maik Novotny

LIVING Was hat Sie damals bewogen, aus Großbritannien auf den Kontinent und nach Brüssel zu ziehen?

Zoë Gray Ich bin gleich nach dem Studium nach Frankreich gezogen, wo ich als Kunstkritikerin und Kuratorin arbeitete, dann in die Niederlande. Vor zwölf Jahren ging ich nach Brüssel, weil mich die dynamische Kulturszene, der Sprachenmix und die Atmosphäre angezogen haben. Es ist eine alles andere als unkomplizierte Stadt, aber sehr offen, unaffektiert und mit viel Humor.

Sie sind seit vielen Jahren in der Kunstszene Brüssels aktiv. Was macht sie besonders?

Es ist ein reichhaltiges Ökosystem, es gibt selbst-organisierte Räume, kommerzielle Galerien und große Institutionen, die bedeutende Sammlungen haben – wenn auch etwas unterfinanziert. Brüssel ist sehr international und hat trotzdem einen kleinen Maßstab. Das macht es einfach, Leute zu treffen und sich auszutauschen. Obendrein sind hier die Lebenskosten niedriger als in Paris und London, daher können sich Künstler:innen -Ateliers in der Stadt leisten.

Seit September 2023 sind Sie Ausstellungsleiterin im Kulturzentrum Bozar, nachdem Sie acht Jahre für das renommierte WIELS tätig waren. Was hat Sie an der neuen Aufgabe gereizt, und was sind Ihre Pläne für Bozar?

Bozar ist die einzige nationale Institution für Visuelle Kunst in einem Land, wo die Kultur sonst den verschiedenen Sprachgemeinschaften zugeordnet wird. Mich hat fasziniert, dass Kultur hier für das ganze Land sprechen darf. Das ist nicht leicht, aber im heutigen Klima politischer Polarisierung besonders wichtig. Die Ernennung von Christophe Slagmuylder als CEO zeigte, dass Ideen hier eine zentrale Rolle spielen würden, und ich wollte gerne Teil dieser Entwicklung sein.

Brüssel ist mit seinen EU-Institutionen quasi die Hauptstadt Europas. Beeinflusst das die Kunstszene?

Ja und nein. Es heißt oft, dass jene, die für die EU, die Lobbyisten oder die NATO arbeiten, in einer eigenen Blase leben und am Wochenende nach Hause fliegen. Es gibt aber zweifellos eine internationale Offenheit im Alltag hier. Brüssel ist offiziell zweisprachig, aber auf den Straßen, in der Metro und in den Museen hört man viele Sprachen und weiß nie, ob es Tourist:innen oder Einwohner:innen sind. Es gibt hier nicht die eine dominierende Kultur, sondern viele nebeneinander, miteinander. Europa als Mikrokosmos.

Belgien bietet einen unglaublichen Reichtum der Kunstgeschichte, von den Alten Meistern bis zum Surrealismus. Gleichzeitig ist Brüssel eine moderne, konfliktreiche und wenig liebliche Stadt. Beeinflussen diese Widersprüche die Kunst?

Absolut! Viele Künstler:innen, die sich hier niederlassen, tun das gerade aufgrund der Spannungen, die herausfordernd, aber auch inspirierend sein können. Wir haben die Künstlerin Kapwani Kiwanga eingeladen, sich mit dem Jugendstil auseinanderzusetzen, und wir eröffnen in Kürze eine Ausstellung zu hundert Jahren Surrealismus in Belgien und es war interessant zu sehen, wie lebendig diese spielerisch-provokative Kunstrichtung immer noch ist.

Abgesehen von Bozar: Welche Museen und Galerien in Brüssel würden Sie Besucher:innen empfehlen?

Natürlich das WIELS für brandaktuelle zeit-genössische Kunst. La Loge mit seinem exzellenten Junge-Kunst-Programm. Die Galerien in der Sablon-Gegend (vor allem Jan Mot, Mendes Wood DM, Gladstone) und jene um die Avenue Louise, wie Xavier Hufkens. In der Innenstadt sind Dépendance und Greta Meert immer einen Besuch wert. Belgien ist bekannt für seine solventen Sammler:innen, viele von ihnen haben ihre eigenen Galerien eröffnet – und am anderen Ende des finanziellen Spektrums gibt es die selbstorganisierten Art Spaces wie Komplot, L’Etablissement d’en face, SB34 – und viele mehr!

ZUR PERSON

Zoë Gray, geboren in Großbritannien, arbeitete als Kuratorin und Direktorin für die Rennes Biennale und die LUMA Foundation in Frankreich, das Kunstinstituut Melly in Rotterdam und war von 2015 bis 2023 Chefkuratorin in der Brüsseler Kunst-Institution WIELS. Seit Herbst 2023 ist sie für das Bozar Centre of Fine Arts tätig. Das Bozar - ein homophones Wortspiel mit »Beaux-Arts« - ist in einem Palais von Victor Horta aus dem Jahr 1929 zu Hause, hier verfolgt man ein visionär zeitgenössisches Programm, das aber immer wieder auf das Brüsseler Kunsterbe von Jugendstil bis Surrealismus Bezug nimmt. bozar.be

© Gaëtan-Nadin, beigestellt

Erschienen in:

Falstaff LIVING 02/2024

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