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Kunst- und Kultur-Trip: 3 Tage in Chicago

Hier treffen vertikale Ambitionen auf die weiten Horizonte von Land und Wasser. Hier trifft wirtschaftliche Kraft auf Hochschul-Exzellenz, hier begegnen sich Alte und Neue Welt. Das macht Chicago, die windige Stadt am Lake Michigan, zu einem Kultur-Konzentrat, wie es auf der Welt kein zweites gibt.

05.09.2024 - By Maik Novotny

Spiegelglatt schimmert die runde Oberfläche der Skulptur im Millennium Park, nicht weit vom Ufer des Lake Michigan. Tourist:innen machen ihre Selfies vor der reflektierten Skyline. Die 3,7 Meter hohe Skulptur »Cloud Gate« von Anish Kapoor steht seit 2006 im Zentrum von Chicago und ist längst zu einem Wahrzeichen geworden. Aufgrund ihrer Form nennt sie jeder nur »The Bean«, inzwischen auch der Künstler selbst. Es ist nicht das einzige Zeichen dafür, dass Kunst in der »Windy City« eine ganz zentrale Rolle spielt. Dass sie es tut, hat mehrere Gründe. Da ist die legendäre Wirtschaftskraft einer Stadt, die im 19. Jahrhundert das Hochhaus erfunden hat und deren »Magnificent Mile« in Downtown heute noch mit ihrem Konzentrat an Shops, Museen und Restaurants beeindruckt. Da wäre die kulturelle Mischung einer Weltstadt, die von polnischen und mexikanischen Einwanderern, von schwarzen, indigenen und vielen anderen Menschen geprägt wurde. Und schließlich auch die vielen Universitäten und Hochschulen mit langer Tradition, die die Kultur-Diskurse intellektuell vorantreiben und von denen viele über ihre eigenen Museen und Galerien verfügen. Also, auf in ein Weltstadt-Wochenende voller produktiver Anregungen und Herausforderungen!

Ei des Kolumbus: Die Skulptur »Cloud Gate« von Anish Kapoor, von allen einfach »The Bean« genannt, ist seit 2006 ein Wahrzeichen von Chicago, und es ist nicht schwer zu verstehen, warum.

(c) Shutterstock

TAG 1 in Chicago

Chicagos Motto ist »Think Big«, das beweist uns nicht nur die Hochhaus-Skyline. Also fangen wir doch gleich mit einem der weltgrößten Museen für zeitgenössische Kunst an, dem Museum of Contemporary Art (MCA), aus dessen verglastem Atrium sich ein grandioser Blick auf Stadt und See bietet. Seit seiner Gründung 1967 hat sich das MCA nicht nur baulich erweitert, sondern auch eine enorme Sammlung an Werken angehäuft. Die Retrospektive ist jedoch nicht alles, denn man ist vor allem der Gegenwart verpflichtet, etwa mit dem Format ­Chicago Works, das im Drei-Monats-Rhythmus Ausstellungen von Künstler:innen aus der Stadt zeigt.

GROSSES SCHAUFENSTER

Nicht nur das MCA ging aus der kulturellen Euphorie der 1960er-Jahre hervor, sondern auch eine Vielzahl selbstorganisierter Kunst-initiativen. Eine davon ist die Chicago Artists Coalition (CAC), die sich als ehrenamtliche Organisation seit 1974 für die Stärkung von Künstler:innen mit Stipendien, Ausstellungen und Förderungen einsetzt. Heute ist die CAC in einer geräumigen Industriehalle im Westen Chicagos zuhause und nach wie vor ein großes und großartiges Schaufenster in die produktiven Werkstätten der hiesigen Kunst. Nicht nur die bildende Kunst, sondern auch Architektur und Design haben in Chicago eine ihrer Welthauptstädte. Das Design Museum of Chicago spiegelt die Eigeninitiative wider, die den Geist der Metropole ausmacht. Nachdem es als Pop-up-Museum durch die Stadt tourte, hat es inzwischen eine dauerhafte Adresse, bewahrt aber mit einem Shop-Konzept seine DNA der ständigen Veränderung.

MCA – Museum of Contemporary Art
visit.mcachicago.org

Chicago Artists Coalition
chicagoartistscoalition.org

Design Museum of Chicago
designchicago.org

Aufgeräumt: Die Ausstellung im Design Museum of Chicago ist wie eine Reihe von Shops aufgebaut.

(c) Design Museum of Chicago

Almost Dalí: Surreales in der Chicago Artists Coalition.

(c) Courtesy of the artist and Monique Meloche Gallery

TAG 2 in Chicago

Chicago war immer das Tor zum Westen, und das prägt die Stadt bis heute. Ein Tag zwischen Großstadt und Big Country. Auch heute starten wir mit einem Superlativ, nämlich mit einem Museum, in dem zwei der berühmtesten Bilder der amerikanischen Kunstgeschichte zu sehen sind: Edward Hoppers »Nighthawks« und Grant Woods »American Gothic«. Beide hängen im Art Institute of Chicago und teilen sich dessen Räume mit 300.000 weiteren Werken und großen Namen, darunter Pablo Picasso, Andy Warhol, Jeff Koons, Cy Twombly, Cindy Sherman und Roy Lichtenstein. Seit der letzten Erweiterung ist das AIC nach dem Metropolitan Museum in New York das zweitgrößte Kunstmuseum der USA und verfügt zudem über seine eigene Kunsthochschule.

TOR ZUM MIDWEST

Noch mehr Namen gefällig? Zum Beispiel Georges Braque oder Yayoi Kusama? Dann nichts wie weiter zum Arts Club of Chicago, einer weiteren respektablen Institution, die ebenso wie das AIC schon über ein Jahrhundert die Stadt prägt. Auch hier ist die gesamte internationale Kunstwelt vertreten, und die Sammlung wächst ständig um aktuelle Werke an. Kleiner Tipp für Lokalpatriot:innen: Auf Anfrage lässt sich der Drawing Room im ersten Stock besichtigen, der wechselnde Installationen von Künstler:innen aus Chicago zeigt. Eine Tür zu den weiten Horizonten der US-amerikanischen Landschaft öffnet sich im Museum of Contemporary Photography unweit des Lake Michigan. Dieses ist nicht nur die erste Adresse für Kamera-Kunst in Chicago, sondern hat mit dem »Midwest Photographers Project« auch im Laufe der Jahrzehnte ein Archiv von 60 Fotograf:innen angesammelt, das sich aus den neun Bundesstaaten der besonders foto­genen Landesmitte mit ihren endlosen Feldern und Highways rekrutiert.

AIC –The Art Institute Chicago
artic.edu

Arts Club of Chicago
artsclubchicago.org

Museum of Contemporary Photography
mocp.org

Sakrale Schule: Von Tadao Ando entworfener Ausstellungsraum in der School of the Art Institute Chicago.

(c) beigestellt

Tag 3 in Chicago

Mit Bildungsauftrag unterwegs auf dem Campus: Universitäten als Kunst-Orte sind eine besondere Spezialität von Chicago. Chicago ist nicht nur eine Stadt der Vertikalen, sondern auch der Horizontalen. Nicht nur die Prairie Houses von Frank Lloyd Wright sind Zeuge davon, sondern auch die vielen Universitäten und ihre ausgebreiteten Campus-Landschaften. In einigen davon befinden sich öffentliche Museen vom selben internationalen Rang wie die Schulen. Die Renaissance Society an der University of Chicago widmet sich seit 1915 dem transatlantischen Bildungstransfer. Bis heute verstehen sich die Ausstellungen in »The Ren« stets als Beitrag zum akademischen Diskurs. Bleiben wir doch gleich auf dem Campus und flanieren zwei Straßenblocks nach Norden zum Smart Museum of Art. Nein, dieses ist nicht nach einem Intelligenztest benannt, sondern nach den Brüdern Alfred und David Smart, erfolgreiche Verleger Anfang des 20. Jahrhunderts. Deren Kunstsammlung wurde seither mit Privatspenden nicht nur weiter ausgebaut, sondern auch mit einem Bildungsauftrag angereichert: Forschung, Zugänglichkeit und Öffentlichkeit werden hier großgeschrieben.

AUSSENSTELLE AM SEE

Zum Schluss des Wochenendes zieht es uns wieder ans grüne Seeufer, wo das Hyde Park Art Center einen selbstbewussten Außenposten der Kunstwelt markiert. Auch hier hat man einen Bildungsauftrag und will die Kunst dorthin bringen, wo die Menschen wohnen und arbeiten. Davon profitieren auch Besucher:innen, denn in den Einzelausstellungen präsentiert sich die Kunstproduktion der Millionenstadt mit besonderer Lust am Experimentellen. Und zum Abschluss dürfen wir tief Luft holen und uns an der Uferpromenade den weltbekannten Wind um die Ohren blasen lassen.

Renaissance Society
renaissancesociety.org

Smart Museum of Art
smartmuseum.uchicago.edu

Hyde Park Art Center
hydeparkart.org

Treibhaus-Effekt: »Through the Hothouse« von Aimée Beaubien am Hyde Park Art Center.

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Erschienen in:

Falstaff LIVING 05/2024

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