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Im Fokus: Die Europäischen Kulturhauptstädte Bodø und Tartu

Neben dem Salzkammergut sind derzeit Bodø in Norwegen und Tartu in Estland Kulturhauptstadt. Eine arktische Food-Roadshow, ein Konzert in einer Unterwasserhöhle und nackte Wahrheiten sind nur einige Highlights.   

07.06.2024 - By Heimo Rollett

Titelbild: Mutig: Das Upside Down House hat schon lange vor dem Titel der Kulturhauptstadt gezeigt, dass Tartu bereit ist, anders zu denken.

In Estland geht’s ans Eingemachte: Ein Massenkuss-Event steht ebenso am Programm wie ein Sauna-Debattierclub und ein Theaterstück über den Geldwäscheskandal rund um die Danske Bank. Tartu ist neben Bad Ischl im Salzkammergut (LIVING berichtete) und dem norwegischen Bodø die Europäische Kulturhauptstadt 2024.

Russische Bedrohung für Estlands Kulturhauptstadt

Tartu ist mit 1,2 Mio. Einwohner:innen Estlands zweitgrößte Stadt. Das wahrscheinlich beeindruckendste Gebäude des Landes befindet sich justament in dieser Secondary City, auf einem ehemaligen sowjetischen Militärflughafen, unweit der heutigen Grenze zu Russland. Mitten auf der Startbahn stülpt sich das vom japanischen Architekten Tsuyoshi Tane geplante Gebäude gleichsam einer Startrampe in die Zukunft aus dem Boden heraus und verwehrt damit der alten Zeit den Weg. Ein Teil der permanenten Ausstellung, die sich rund um das indigene Volk dreht, ist die versuchte Russifizierung des estnischen Volkes. Dass das Nationalmuseum nicht in der Hauptstadt Tallinn, sondern Tartu zu finden ist, ist kein Zufall. Das Städtchen ist das kulturelle und geistige Zentrum Estlands. Straßenkunst, Literatur, Musik sind in Tartu zuhause und spiegeln sich natürlich im Programm der Kulturhauptstadt wider. Es gibt aber auch viel Kritisches wie beim Projekt »Kaleidoscope of Emotions«. Dabei werden die Eindrücke und Gefühle von in Tartu lebenden ukrainischen Kriegsflüchtlingen künstlerisch dargestellt. Wer mit Kindern kommt und auf einer weniger dramatischen Weise Wissen vermitteln will, der ist im AHHAA bestens aufgehoben – einem Wissenschaftszentrum mit einer formidablen Mischung aus Wissensvermittlung, Spannung, Abenteuer und Ausprobieren. Rockt!

Die norwegische Kulturhauptstadt setzt auf Nachhaltigkeit

Die dritte Kulturhauptstadt des heurigen Jahres liegt im hohen Norden Norwegens, wo der Himmel die Menschen mit Polarlichtern hypnotisiert. Wie ein Apple-Bildschirmschoner – nur in echt. Bodøs erklärtes Ziel ist es, die bislang nachhaltigste europäische Kulturhauptstadt zu sein. Mehr als 1.000 einzelne Veranstaltungen werden abgehalten. Highlights sind mitunter Europas einzige Land-Art-Biennale und ein Symposium, auf dem nachgedacht wird, wie sich Europa mit wenig Ressourcenverbrauch ernähren kann – inklusive einer arktischen Food-Roadshow. Eine Weltneuheit wird ein Konzert in einer Unterwasserhöhle sein, bei dem alle Musiker:innen, Techniker:innen und das auf 50 Menschen begrenzte Publikum akkreditierte Höhlentaucher sein müssen. Auch dieses Event ist Teil des »Leave Nothing but Footprints«-Konzepts zur Erkundung von Kunst und Performances an gefährdeten Orten. Der teil-neh-men-de Saxophonist Håkon Skog Erlandsen hat bereits an mehreren extremen Orten gespielt, etwa auf dem Gipfel des Mount Everest. Das Konzert wird über eine Multi-kamera-Produktion gestreamt, sodass es ein weltweites Publikum erreichen kann.

Wissbegierig: Ob mit Theateraufführungen oder einem Kugelplanetarium – das AHHAA will Wissenschaft erlebbar machen und ist das größte Science Center seiner Art in den baltischen Staaten.

(c) beigestellt

Gefühlvoll : Behutsam gliedern sich neue Gebäude wie das »Hotel Lydia« in die Altstadt Tartus ein. Die Stadt ist die älteste des Baltikums.

(c) Hans Markus Antson

Nebendarsteller Natur in Bodø

Bodø hat lediglich rund 53.000 Einwohner:innen. Zum gar nicht so explizit programmierten Teil der Kultur gehört die atemberaubende Natur der Region. Rund um die Stadt gibt es die weltweit größten Bestände von Seeadlern, mittels eigenen Wildtiersafaris können sie entdeckt werden. Zirka zehn Kilometer Luftlinie von Bodø entfernt lässt sich die Gewalt der Natur in Form des stärksten Gezeitenstroms der Welt bewundern: Da strömen, angetrieben durch die Gezeiten, 400 Millionen Kubikmeter Wasser durch eine 2,5 Kilometer lange und 150 Meter breite Meeresenge. Hin und her, hin und her. Es bilden sich mächtige Strudel und das Wasser erreicht Geschwindigkeiten von bis zu 40 km/h. Die beiden nicht-österreichischen Städtchen können also mit Bad Ischl allemal mithalten, sie konkurrenzieren das Salzkammergut-Programm aber auch gar nicht. In puncto Erreichbarkeit hat Bad Ischl sogar einen dicken Pluspunkt in der Vergleichsbilanz. Immerhin fliegt eine Billigairline nach Tallinn, mit eben so wenig Budget kommt man dann per Zwei-Stunden-Zugfahrt nach Tartu. Bodø eignet sich kaum für ein verlängertes Wochenende, zu mühsam sind die schlechten Verbindungen. Umso lohnender ist ein längerer Aufenthalt, der auch die Erkundung der Fjorde und der rauen Umgebung zulässt.

Locker, aber politisch

Trotz aktueller politischer Spannungen und der Nähe zu Russland gehen die Est:innen ihr Programm erheiternd locker an. »Naked Truth« nennt sich etwa das Sauna-Debattierprogramm, bei dem man um fünf Euro auch ohne gute Argumente die anderen zum Schwitzen bringen kann. Bunt ging's dann auch am 18. Mai zu, als es im Herzen der Stadt zu einem Konzert mit Reminiszenzen an den Eurovision Song Contest gekommen ist. Conchita Wurst hat ebenfalls gesungen. Die Themen dahinter sind ernst: Diskussionsthemen in der Sauna sind Tradition, Nachhaltigkeit und Frieden. Liebe statt Krieg – ein letztlich doch politisches Statement.

Überwältigend: 16 alleinstehende, spektakuläre Bungalows mit atemberaubendem Ausblick – in Manshausen bei Bodø findet sich die vielleicht schönste Übernachtungsmöglichkeit aller Kulturhauptstädte.

(c) Manshausen

Umwelt und Diversität: Vielfältig und naturnahe soll das Programm von Bodø sein, vor allem will die muntere Minimetropole aber die bislang nachhaltigste Kulturhauptstadt sein.

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Kulturkathedrale: Das ikonische »Stormen« beheimatet eine Bibliothek mit Blick über den Hafen und einen 11.200 m² großen Konzertbereich mit drei Sälen. Die Architektur stammt von DRDH Architects.

(c) Dan Mariner

Erschienen in:

Falstaff LIVING 03/2024

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