© Dominique Perrault architecture

Dominique Perrault: Baumeister von Olympia

Der Pariser Architekt Dominique Perrault hält sich gar nicht erst mit Kleinzeug auf. Sein Metier ist die Entwicklung von riesigen Stadtprojekten. In Wien baut er aktuell den DC Tower 2, für die Olympischen Sommerspiele 2024 in Paris entwarf er gleich ein ganzes Stadtquartier.

06.08.2024 - By Wojciech Czaja

Als am 15. April 2019 die Pariser Kathedrale Notre-Dame in Flammen stand, war dies ein Schicksalsangriff auf das Herz der Pariser Seele, ja sogar ein Aufrütteln der nationalen Kulturidentität eines ganzen Landes. Staatspräsident Emmanuel Macron bezeichnete das gotische Bauwerk auf der historischen Île de la Cité damals als »Epizentrum unseres Lebens«. Kurz nach dem Brand wurden bereits die ersten Pläne und Konzepte für den Wiederaufbau geschmiedet, wenige Monate später starteten die Rekonstruktionsarbeiten.

Parallel dazu wurde ein Masterplan für die Neuorganisation der gesamten Innenstadtinsel erstellt. Aus insgesamt 35 Projektentwürfen wurde das von Dominique Perrault erarbeitete Projekt zur Realisierung ausgewählt. »Schon seit dem Umbau von Paris durch Baron Haussmann Mitte des 19. Jahrhunderts gab es auf der Île de la Cité keine größeren baulichen Aktivitäten mehr«, sagt Dominique Perrault, der in Zusammenarbeit mit Philippe Bélaval, Präsident des Centre des monuments nationaux, die gesamte Innenstadtinsel erweitert und neu organisiert, »und das, obwohl sich die Besucher:innenzahlen seitdem massiv verzigfacht haben. Die Stadt muss weiterwachsen, doch wie schafft man neue Straßen und Plätze auf einer flächenmäßig begrenzten Insel?«

Village olympique, Paris. Auf einer Fläche von 52 Hektar plante Dominique Perrault für den Dachverband SOLIDEO ein Wohndorf für die 14.000 Athlet:innen der Olympischen Sommerspiele 2024. Nach der Olympiade sollen die Wohnungen adaptiert und anschließend verkauft und vermietet werden.
olympics.com, ouvrages-olympiques.fr

© Dominique Perrault architecture

Die Antwort liegt unter der Erde vergraben: Mit seinem Masterplan für die Île de la Cité verlegt Perrault die dringend benötigten Info- und Ausstellungsflächen schlichtweg ins Untergeschoß. Über eine steinverkleidete Gitterkonstruktion mit Glasdecke, mit  Glasbrüstungen und mit offenen Patio-Innenhöfen gelangt das Sonnenlicht ungehindert nach unten. Während oben ein Platz mit neuen Perspektiven entsteht, können sich auf der Etage darunter Tourist:innen und Kulturinteressierte anhand einer interaktiven Tour über die Geschichte von Notre-Dame erkundigen. Bis 2035 soll das Pariser Mammutprojekt abgeschlossen sein.

In der Tat ist Dominique Perrault, 1953 in der Auvergne geboren, aufgrund seiner grau melierten Erscheinung immer wieder auch als der ältere Bruder George Clooneys bezeichnet, niemand, der sich mit Kleinprojekten und Bautätigkeiten im feinstofflichen Maßstab aufhält. Hier wird nicht gekleckert, hier wird geklotzt, und zwar mit richtig großen Bau­klötzen. Denn Perraults Metier ist seit vielen Jahren schon die Stadt, die Masterplanung, das großmaßstäbliche Skizzieren und Entwerfen von Quartieren, Regionen und infrastrukturellen Netzwerken.

Eines seiner wichtigsten Projekte ist der Ausbau der französischen Hauptstadt zur Großmetropolregion Grand-Paris – mit neuen Flächenreserven fürs Wohnen und Arbeiten, mit neuen Investitionen in die Infrastruktur sowie mit neuen U-Bahn- und RER-Vororte­linien. Dazu zählen etwa ein RER-Außenring sowie insgesamt 70 neue Métro-Stationen im Großraum Paris. »Grand-Paris ist mehr als eine Metropole, es ist der Plan für eine ­Megacity
mit zwölf Millionen Einwohner:innen, die größte Megacity in ganz Europa. Das heißt, Paris muss eine gewisse Dynamik umsetzen und muss sich neu strukturieren und neu organisieren. Das ist kein Projekt für wenige, das ist ein Projekt für alle!«
Teil von Grand-Paris ist auch die Village olympique in den drei Vorstadtgemeinden Saint-Denis, L’Île Saint-Denis und Saint-Ouen-sur-Seine. Auf dem Areal einer ehemaligen Fabrik, die als Nebenprodukt einst den Strom für den Betrieb der Pariser Métro bereitstellte, entwickelte Perrault eine Schachtelstadt mit grünen Gartenmagistralen und ein paar Dutzend fünf- bis zehngeschoßiger, fast würfeliger Wohnhäuser. Die aufgeräumte, monotone Struktur sollte dem Unort, der rundherum von Gleisen, Autobahnen und einigen denkmalgeschützten Industriehallen umzingelt ist, ein bisschen Ruhe und Wohnlichkeit verleihen.

Auf einer Fläche von 52 Hektar entstanden auf diese Weise Wohnungen für die rund 14.000 Athlet:innen der Olympischen Sommerspiele 2024, die dieser Tage über die Bühne gehen. Die Village olympique umfasst aber nicht nur Schlafplätze, sondern auch Geschäfte, Gastronomie, Parkanlagen sowie neue Brückenanbindungen über die Zuggleise und die Seine. Nach der Olympiade sollen die insgesamt 9.000 Wohnungen adaptiert und am geförderten und frei finanzierten Markt vermietet und verkauft werden.

In den letzten Jahren eroberte Perrault mit seinen XXL-Visionen neben weiteren französischen Städten vor allem Spanien, Deutschland und Luxemburg, zunehmend aber auch ferne, ostasiatische Gefilde wie etwa China, Japan und Südkorea. In ­Österreich stellte er 2024 bereits den 250 Meter hohen DC Tower 1 in der Donau City fertig, nun befindet sich der etwas kleinere Bruder namens DC 2 in Bau. In Zusammenarbeit mit der S+B Gruppe entsteht ein 186 Meter hoher Wohn- und Büroturm. Über einem Sockel­bereich mit Gastro und Co-Working-Flächen werden auf den untersten 30 Stockwerken Büroflächen geschaffen. Ab einer Gebäudehöhe von 102 Metern schließlich warten 314 Mietwohnungen auf Interessent:innen.

Highlight des silbrig-gläsernen Turms ist die Fassade: Noch sind die jüngsten, aktualisierten Visualisierungen nicht publik, aber so viel steht schon fest: Mit 56 Stockwerken, 186 Meter Höhe und Hunderten Loggien wird dies das höchste PV-verkleidete Gebäude Europas sein. Damit ist dem Bau­meister des großen Maßstabs – nicht zum ersten Mal in seiner Karriere – ein architektonischer Rekordbruch gelungen.

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Erschienen in:

Falstaff LIVING 05/2024

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