Seniorenresidenzen: Die schöne Architektur des letzten Dachs
Wie wollen wir im Alter leben und wohnen? Was früher ein Tabu war, inspiriert nun immer mehr Architekt:innen und Bauträger in aller Welt. Die Projekte reichen von integrierten WGs über hübsche Senior:innendörfer bis hin zu einsamen Zipfelmützen am Waldesrand.
23.08.2024 - By Wojciech Czaja
Titelbild: »Jikka«, Japan: Eine schöne, ja fast schon poetische Altersvorsorge ist diese Mini-Altersresidenz in Japan, rund 200 Kilometer von Tokio entfernt. Architekt Issei Suma entwarf fünf barrierefrei nutzbare Tipi-Räume für zwei Freundinnen jenseits der 70. isseisuma.com
Sie stehen wie fünf einsame Zipfelmützen im Grünen, wie ein Grüppchen von hölzernen Zwerghäusern, wie überdimensional hochkopierte und kopfüber in den Waldboden gerammte Maroni-Stanitzel: Tatsächlich handelt es sich bei den fünf miteinander verbundenen Tipis in der japanischen Präfektur Shizuoka, rund 200 Kilometer von Tokio entfernt, um ein kleines, privates Altersheim. Bewohnt wird es von Nobuko Suma und Sachiko Fujioka, zwei Damen in ihren Siebzigern, die eines Tages beschlossen, der anonymen Großstadt den Rücken zu kehren und sich mit der Unterstützung von Freund:innen und Pfleger:innen in die Natur zurückzuziehen. »Obwohl das ungewöhnliche Haus nicht die typischen Elemente von Barrierefreiheit aufzuweisen scheint«, sagt Architekt Issei Suma, Sohn einer der beiden Bewohnerinnen, »ist hier alles so geplant, dass das Haus auch zu einem späteren Zeitpunkt ohne Probleme benutzt werden kann. Lieber als von Barrierefreiheit spreche ich allerdings von Universaldesign, denn eine gute, clevere Gestaltung des Wohnumfelds eignet sich für alle Menschen gleichermaßen – unabhängig von Alter, Behinderung und mobiler Einschränkung.«
Universaldesign unabhängig des Alters
Als Beispiel nennt Suma den Baderaum am östlichen Ende des komplett stufenlosen Hauses: Neben Waschbecken und Dusche gibt es einen großen, runden Whirlpool, der sich wie eine Spirale in den Betonboden hinunterschraubt. Kinder und Jugendliche, die auf Besuch sind, lieben das organisch geformte Becken zum Spielen und Herumsitzen. Vor allem aber dient die Spirale auch als Rampe, um später einmal bei Bedarf mit dem Rollstuhl ins Becken hinein- und hinunterfahren zu können. Nicht nur in Japan, einem der Länder mit der höchsten Lebenserwartung und Über-alterung der Gesellschaft, auch in Europa ist Wohnen im hohen Alter zu einem wichtigen Bestandteil der Immobilienwirtschaft geworden. Und die Bauträger reagieren darauf. Manche sogar mit lustigen, erfrischenden, lebensbejahend fröhlichen Konzepten. So wie zum Beispiel in der kleinen Gemeinde Veenoord im Osten der Niederlande, nur wenige Kilometer von der deutschen Grenze entfernt. Auf der Parzelle einer ehemaligen Grundschule errichtete der Developer Woonservice ein kleines Senior:innenwohndorf mit 21 barrierefreien, ebenerdig zugänglichen Bungalowwohnungen, die sich um einen zentralen Innenhof gruppieren.
Architektur schafft Atmosphäre
Charakteristisch für den sogenannten »Elzenhof« – Erlenhof auf Deutsch – ist die warme, behagliche Farb- und Materialwahl. Das in Groningen beheimatete Büro Specht Architecten entschied sich, dem Wohnkomplex ein urlaubshaftes Sommerfrische-Flair zu verleihen (ganz so wie an der Nordsee) und die Anlage hofseitig in eine sandfarbene und knallrote Holzfassade zu hüllen, die ein wenig an Strandhäuser und bunt bepinselte Strandkörbe erinnert. Die gute Laune wird großgeschrieben: Ergänzt wird das Wohnungsangebot von gemeinschaftlichen Einrichtungen wie etwa Fahrradabstellraum und Partywohnzimmer für alle. Und in Österreich? »Das Thema ist längst schon im sozialen, geförderten Wohnbau angekommen«, sagt Robert Korab, Geschäftsführer von raum & kommunikation. »Immer mehr gemeinnützige Bauträger investieren in diese Richtung, weil sie verstanden haben, dass dies im Zeitalter einer alternden Gesellschaft ein sozialer Auftrag ist.« Viele soziale Trägervereine wie etwa die Caritas entwickeln und betreiben Wohngemeinschaften für ältere Personen. So auch die »WG Melange« im Baugruppenhaus »Leuchtturm« in der Seestadt Aspern in Wien. Im ersten Stock des Hauses befindet sich eine 150 Quadratmeter große Cluster-WG für fünf Senior:innen. »Das Modell funktioniert wie eine Student:innen-WG, nur studieren die Bewohner:innen halt schon lange nicht mehr«, sagt Korab, der das Projekt sozial und partizipativ mitentwickelt hat. »Die bestehenden WGs funktionieren wunderbar. Und sie sind erst der Anfang.« Aktuell arbeitet Korab an einem Senior:innen-Quartierhaus in Brunn am Gebirge. Bei Fertigstellung wird dies wahrscheinlich das größte und innovativste Projekt dieser Art sein.