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Design-Ikone wird 70! Mit dem »Jotter« schreibt man flotter

Kugelschreiber gibt es viele, aber es gibt nur einen »Jotter«. Der vielleicht berühmteste Kuli der Schreibgeschichte wurde zwar hundertmillionenfach hergestellt, ein Allerweltsprodukt ist er deswegen noch lange nicht. Eine kleine Würdigung zum 70. Geburtstag.

19.07.2024 - By Manfred Gram

Titelbild: Geburtstagskind: Parkers legendärer Kugelschreiber »Jotter« wird 70. Das Schreibgerät mit seiner charakteristischen schlanken Form und dem ikonischen Federclip begleitete Wirtschaftsaufschwünge und wurde zum Insigne von Kompetenz.

Üblicherweise adelt 007 klassische Luxusgegenstände mit seiner mysteriösen Aura. Aston Martins zum Beispiel, Omega-Uhren oder Champagner. Von Bollinger bis Taittinger war alles dabei, was gut und teuer ist. Aber es gibt auch Ausnahmen. Als Pierce Brosnan 1995 mit »Golden Eye« die Geheimagenten-Agenden übernahm, wurde ihm von Cheftüftler Q ein »Parker Jotter« übergeben. Vor dreißig Jahren war ein Kugelschreiber bereits ein mehr oder weniger profaner Gegenstand. Bonds Kugelschreiber allerdings nicht. Der war in Wirklichkeit nämlich eine C4-Bombe. Dreimal klicken macht die Bombe scharf, vier Sekunden warten – bum. Außer man klickt wieder dreimal und entschärft so die Kulibombe. Was man halt so braucht im Spionagealltag.

Kuli-Know-how

So oder so, der »Jotter« schlug, als er vor genau 70 Jahren erstmals präsentiert wurde, bereits ein wie eine Bombe. In seinem Debütjahr verkaufte er sich mehr als 3,5 -Millionen Mal. Das war kein Zufall. Immerhin wurde über neun Jahre lang am »Jotter« geforscht und herumgedoktert. Die ersten zehn Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg waren die Blütezeit der Kugelschreiber, so richtig super war aber noch keiner der Schreiber, die damals am Markt waren. Und das, obwohl schon seit Ende des 19. Jahrhunderts mit Schreibgeräten experimentiert wurde, die einen mit Tinte gefüllten Kolben haben, der von einer kleinen Kugel verschlossen wird. Man bekam das größte Problem dabei einfach nicht in den Griff: die Tinte. Sie war zu flüssig, sie tropfte und trocknete schnell ein. Erst die ungarischen Brüder György und László Biró kreierten eine Lösung, bei der Mechanik und Tinte harmonierten. Nur ganz kurz (weil’s irgendwie wichtig ist): Die Birós ließen einen Mechanismus patentieren, der ein leichtes Abrollen der Kugel auf dem Papier ermöglicht, während eine eigens entwickelte kleckssichere Tinte luftdicht abgeschlossen wird, damit sie nicht eintrocknet. Eine tolle Idee, die aber erst so richtig abhob, als das US-Unternehmen Parker, bis dato für hochwertige Füllfedern bekannt, 1954 mit dem »Jotter« ins Kuli-Business einstieg und das Biró’sche Patent dafür weiterentwickelte. Auch das nur ganz kurz (weil’s irgendwie schon wieder wichtig ist): Parker hat als Material für die Minenkugel das extrem harte Wolfram­carbid gewählt. Außerdem sieht sie aus wie ein Minigolfball. Die Kerben wirken wie das Profil eines Reifens. Sie geben Halt auf glatten Flächen und verteilen die Tintenpaste regelmäßig am Papier. Resultat war ein Kugelschreiber, der auf allen Oberflächen funktioniert, nicht schmiert, nicht tropft und obendrein auch gut aussieht.

Schreibikone

Man brauchte für die schneller werdende Zeit, für Fortschritt und Wirtschaftswunder ein schnelles, verlässliches Schreibgerät. Der »Jotter« erfüllte diese Ansprüche und wurde ergo flotter zu einer Ikone als alles, was davor oder danach kam. Seine schlanke Form liegt angenehm in der Hand und sorgt für ein perfektes Schreibgefühl. Kappe und Körper schillern matt silbrig und verleihen dem Stift einen seriösen Auftritt. Auch des charakteristischen Pfeilclips wegen, der wiederum – »Jotter« sei Dank – zu einem weltberühmten Firmen- und Produktinsigne von Parker wurde. Mit Mehrwert, schließlich ermöglicht es der Clip, den Stift sicher zu befestigen. Zum Beispiel an Hemdbrusttaschen. Das mutet 70 Jahre später zwar etwas merkwürdig an, aber bis tief in die 1980er-Jahre signalisierte ein sichtbar getragener Kugelschreiber in gewisser Weise Kompetenz. In Bank- und Postfilialen ebenso wie in Autowerkstätten, unterm Schnürlsamtsakko oder am Labor­kittel. Und heute? Heute ist der »Jotter«, der nahezu unverändert produziert wird, ein analoger, anachronistischer Gruß aus alten Tagen, der millionenfach erwidert wird.

Skyliner: Den 70er von »Jotter« feiert Parker mit limitierten Editionen. Diese hier ist New York gewidmet und kostet ca. 30 Euro. parkershop.eu

Kein Schmierfink: Der Journalist, Bildhauer, Maler und Hypnotiseur Lászlò Biró (1899–1985) gilt als Erfinder des Kugelschreibers und hatte die clevere Idee, bei seinem Bruder György, einem Chemiker, eine Farbpaste für ein klecks-sicheres Universalschreibgerät entwickeln zu lassen.

Erschienen in:

Falstaff LIVING 04/2024

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