(c) Mila Zytka für Deborah Sengl

Deborah Sengl: »Humor ist für mich Überlebenselixier«

Sie setzt feine Zwischentöne mit plakativen Mitteln, nimmt in der Auseinandersetzung mit dem Abgründigen ihren Humor zu Hilfe. Im LIVING-Interview spricht Deborah Sengl über die Tücken der sozialen Medien und ihren Zugang zu Kunst in stürmischen Zeiten.

12.08.2024 - By Marlene Mayer

Titelbild: Mahnerin mit schwarzem Humor: Die Arbeiten von Deborah Sengl beinhalten immer auch Gesellschaftskritik. Das einem bei der Betrachtung das Lachen im Halse stecken bleiben kann, ist einkalkuliert. deborahsengl.com

Orte, die Jahrhunderte über- und erlebt haben, verströmen eine besondere Magie.« Das sagt Deborah Sengl, die zurzeit an genau so einem Ort eines ihrer Exponate ausstellt. Denn Node Contemporary bespielt ein neues Zwischennutzungsprojekt – für die nächsten 18 Monate wird das Palais Festetics, ein leer stehender Prachtbau in der Wiener Berggasse, zur Spielfläche für Kunst und Kultur

SPIEGEL DER BEFINDLICHKEITEN

Im Rahmen der Gruppenausstellung »Mirror Mirror«, die Kurator Walter Hösel an der Schnittstelle von Kunst, Handwerk und Design angelegt hat, thematisiert Sengl die gestörte Selbstwahrnehmung in Zeiten der sozialen Medien nun mit großen, leuchtenden Buchstaben. Anlässlich der Eröffnung der Node Contemporary bat LIVING die Künstlerin zum Gespräch.

LIVING Mit Ihren Arbeiten halten Sie der Gesellschaft stets einen Spiegel vor. Das passt auch zum Motto der Schau.

DEBORAH SENGL Mit dieser Arbeit stelle ich in Frage, welchen Einfluss die Entwicklungen unserer Welt auf die jüngste(n) Generation(en) haben. »You are too fat!« ist ein Spiegel in Form eines überdimensionalen Smartphones. Dieser Schriftzug steht gleichzeitig für die Tücken der sozialen Medien und die gestörte Selbstwahrnehmung in Zeiten wachsender Selbstoptimierung.

Hat der Blick in Ihren Spiegel für die:den Betrachter:in auch etwas Versöhnliches – weil schnell klar wird, dass er allen die gleiche Botschaft überbringt?

Womöglich kann genau eine solche Ausstellung aufzeigen, dass wir alle (immer wieder) einem Spiegelbild ausgesetzt sind, das wie der Blick durch eine mehrfach vergrößernde Lupe auf unsere aktuelle Befindlichkeit wirkt. Eine allgemeine Diskussion über dieses nur allzu menschliche Phänomen wäre nicht nur versöhnlich, sondern idealerweise auch stärkend für unser oft gemindertes -Selbstbewusstsein.

Sie sagen, dass Sie Kunst bewusst auch als Ventil für Themen nutzen, die sie beunruhigen. Was ist es aktuell, das Sie vielleicht beunruhigt, beschäftigt?

Ehrlich gesagt beunruhigt mich derzeit vieles. Generell zusammengefasst ist es die weltweit voranschreitende Spaltung der Gesellschaft. Mir erscheint ein sinnvoller und friedlicher Dialog in immer weitere Ferne zu rücken. Man ist entweder dafür oder dagegen, Zwischentöne sind unmodern, sogar verpönt (geworden). Kunst kann die Welt sicher nicht retten. Unsere einzige Möglichkeit ist es, diese Missstände zu verbildlichen und idealerweise einen Blick abseits unserer sozialen Echokammern zu ermöglichen …

Dabei begegnen Sie auch ernsten Themen mit Humor. Warum? Ist Humor für Sie ein Mittel, um in einen Dialog zu kommen?

Tatsächlich sind meine Arbeiten sehr ernst und kreisen fast ausschließlich um das (Fehl-)Verhalten unserer Gesellschaft. Humor ist nicht nur, jedenfalls für mich, ein gewisses Überlebenselixier in herausfordernden Zeiten. Es ist auch eine Möglichkeit, die:den Betrachter:in meiner Werke an diese heranzulocken. Wäre der erste Blick zu verstörend, würden ein weiterer und mein Wunsch nach der Auseinandersetzung mit dem eigentlichen Inhalt womöglich gar nicht stattfinden.

Ausgewählte Exponate aus Ihrer Ausstellung »Die letzten Tage der Menschheit« werden heuer im jüdischen Museum noch einmal gezeigt und in einen aktuellen Kontext gesetzt. Warum hat die Schau auch nach zehn Jahren noch so eine Gültigkeit?

Die Ausstellung »Die letzten Tage der Menschheit« im Essl Museum war schon 2014 erschreckend aktuell. Das Jüdische Museum und ich haben einige beispielhafte Szenen ausgewählt, da wir gerade jetzt – in diesem entscheidungsträchtigen Wahljahr – auf die Dringlichkeit eines demokratischen Miteinanders und die Verantwortung von uns allen aufmerksam machen wollen. Lydia Haider begleitet diese Szenen mit wortgewaltigen Texten. Möge es uns noch rechtzeitig etwas die Augen öffnen …

Sie wohnen in einem Biedermeierhaus, die alte Substanz der Wohnung haben Sie mit einer Architektin für Ihre Bedürfnisse adaptiert. Was war Ihnen dabei wichtig, welchen Stellenwert hat das Wohnen generell für Sie?

Ich verbringe sehr gerne Zeit daheim (auch mit meinem alten geliebten Kater Fernet) und Wohnen hat diesbezüglich für mich einen sehr hohen Stellenwert. Da ich sehr ordentlich bin, bevorzuge ich effiziente Stauräume. Die sichtbaren Gegenstände und das Mobiliar stammen aus den unterschiedlichsten Jahrzehnten und jedes einzelne davon hat eine persönliche Geschichte. Insofern ist mein Zuhause so etwas wie meine persönliche Wunderkammer.

Haben Sie ein Lieblingseinrichtungsstück?

Im Grunde sind alle meine Einrichtungsgegenstände gleichwertig. Womöglich hat jeweils das zuletzt hinzugefügte ein wenig mehr Aufmerksamkeit verdient. In diesem Fall ist es der »Circle Chair« des schwedischen Designers Yngve Ekström (1960er), ein Geschenk meiner Mutter.

Die Stimme des Spiegelbilds: Selbstzweifel und Selbstoptimierung gehen in diesem Exponat Hand in Hand: »You are too fat!«.

(c) beigestellt

Prachtbau in Zwischennutzung: 18 Monate bespielt Node Contemporary das Palais Festetics in der Wiener Berggasse. Hinein können Besucher:innen nur nach Anmeldung. nodecontemporary.com

Erschienen in:

Falstaff LIVING 05/2024

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