(c) Carl Brunn

Architekturporträt kadawittfeld

Das deutsche Architekturbüro kadawittfeld errichtet Gebäude zum Sporteln und Arbeiten, zum Ankommen und Abfahren. So unterschiedlich die Bauaufgaben auch sind: Sie alle teilen sich zwei Qualitäten – und zwar menschlichen Respekt und die Nichtfarbe Weiß.

02.08.2024 - By Wojciech Czaja

Vor genau zehn Jahren bekam der Salzburger Hauptbahnhof ein neues Gesicht verliehen – mit viel Leichtigkeit, mit weiß lackierter Gleishalle und mit prall gefüllten Luftkissen, die über der denkmalgeschützten Eisenkonstruktion nun als Wärmedämmung und Witterungsschutz dienen. Seitdem wurde der schicke Verkehrsknotenpunkt mit allerhand Preisen überhäuft, darunter etwa mit dem Architekturpreis des Landes Salzburg, dem österreichischen Staats-preis für Design und sogar dem Europäischen Stahlbaupreis. Während die Passagiere längst in ihre Railjets und -bayerischen Lokalbahnen einsteigen, ist kaum bekannt, dass die Bahnhofssanierung von einem deutschen Architekturbüro mit zum Teil steirischen Wurzeln geplant wurde. »Die Deutsche Bahn ist nicht gerade für ihre Pünktlichkeit bekannt«, sagt Gerhard Wittfeld, Geschäftsführer kadawittfeld-architektur, der das Büro gemeinsam mit seinem Grazer Partner Kilian Kada leitet. »Doch hier in Salzburg ist die Verspätung etwas hübscher zu ertragen als in vielen anderen Bahn-höfen.« Die weiße Farbe war keineswegs beabsichtigt, sondern hat sich erst im Laufe des Umbaus ergeben, als unter dem letzten Anstrich, einem schlammigen Grünbraun, die originale Farbschicht zum Vorschein kam: Eierschalenweiß. »Schaut gar nicht aus wie ein Bahnhof«, sagt Wittfeld, »eher wie ein Sakralbau, wie eine Kathedrale der Mobilität. In gewisser Weise ist das eine Wertschätzung gegenüber den Menschen, die dieses Bauwerk benutzen.«

Visionäre Firmenarchitektur

Dieser Respekt zieht sich durch das gesamte Œuvre des Büros, das mit mittlerweile 200 Mitarbeiter:innen an den Standorten Berlin, München, Köln und Aachen heute zu den größten Architekturbüros Deutschlands zählt – das und die Farbe Weiß. Um den bunten, mitunter sogar neonknallfluoreszierenden Schuhen den Vorrang zu geben, entschied sich kadawittfeld, das neue adidas-Headquarter in Herzogenaurach, Bayern, chromatisch auf ein Minimum zu reduzieren. Das Ergebnis ist eine dreidimensionale Büromatrix aus Weiß und Schwarz, aus Licht und Schatten, aus Baukörpern und luftig schwebenden Verbindungsbrücken, die in Anspielung auf die langen Sneakerschnürsenkel einfach nur »Laces« genannt werden. Was bei adidas die Laces, sind beim deutschen Netzbetreiber 50Hertz die im Zickzack geneigten tragenden Fassaden-säulen, deren Neigungswinkel der 50-Hertz-Sinuskurve der standardisierten Wechselstromfrequenz entsprechen. »Ob eine denkmalgetreue Eisenkonstruktion, eine nach Schnürsenkeln benannte Weg­verbindung oder ein bauliches Detail, das zugleich eine Metapher auf das eigene Unternehmen ist«, meint Wittfeld, all das seien Zitate, die ein:e Außenstehende:r wohl nie verstehen werde. »Aber das macht nichts. Es reicht, wenn diese Qualitäten auf einer emotionalen Ebene fesseln und berühren. Genau diesen Respekt wollen wir den hier arbeitenden Menschen vermitteln.« Im Falle der 50Hertz-Unternehmens­zentrale, entstanden in Kooperation mit dem Grazer Büro LOVE architecture and ­urbanism, scheint dies mehr als gelungen. Inmitten der gesichts- und charakterlosen Europacity im Norden des Berliner Hauptbahnhofs, in der sich eine 08/15-Bürokiste an die andere reiht, versprüht das niederfrequente Hochhaus mit seinem unverwechselbaren Tragsystem Humor und Zugehörigkeit. Dank der ungewöhnlichen Bauweise ist der Büro­campus innen fast stützenfrei. Nach einem Open-Office-Konzept von Kinzo Berlin arbeiten die Leute hier in einem hellen, akustisch gedämmten Raumreigen aus Weiß, Hellgrau und knalligem Gelb.

DFB-Campus, Frankfurt: Mit dem neuen Ausbildungszentrum des Deutschen Fußball-Bunds ist Kadawittfeld die Quadratur des Balles gelungen. Die Zitate des runden Leders sind unverkennbar. dfb.de

Bürozentrale, Baden-Württemberg: Für einen großen deutschen Supermarktdiskonter entstand diese Bürolandschaft mit weichen Formen und begrünten Terrassentreppen. Schöner kann Arbeiten kaum sein.

(c) HG Esch

»50Hertz Netzquartier«, Berlin: Nicht nur chic, sondern mit einer -tragenden Aufgabe: Zickzackstützen im Headquarter des Netzbetreibers 50Hertz in der Berliner Europacity. love-architecture.com, 50hertz.com

(c) HG Esch

Hauptbahnhof Salzburg: Die Sanierung der alten Gleishalle macht diesen Mobilitätsknoten zu einem der schönsten Bahnhöfe Europas. Über der denkmal-geschützten Eisenkonstruktion gibt es ein leichtes Luftkissendach auf PTFE-Folie. Zug fährt ab! kadawittfeldarchitektur.de

(c) Helmut Pierer

Metaphern des Wettbewerbs

Neben der Welt der Corporate-Bauträger ist kadawittfeld, das regelmäßig mit internationalen Awards ausgezeichnet wird, zunehmend auch im Sportbereich tätig. 2022 wurde der neue DFB-Campus in Frankfurt am Main fertiggestellt. Das Epizentrum des Deutschen Fußball-Bunds, in dem Trainer:innen, Schiedsrichter:innen und Nachwuchsspieler:innen ausgebildet werden, ist eine riesige, fast 60.000 Quadratmeter große Landschaft aus Innen und Außen. Um das integrale Ineinandergreifen aus Theorie und Praxis auch räumlich abzubilden, wurden die Schul- und Sporttrakte unter einem gemeinsamen Riesendach zusammengefasst. Neben den Treppenaufgängen findet man – in Form von gekanteten Metallkassetten – immer wieder formale Zitate des Fußballs. Eines der vielleicht schönsten, minimalistischsten Projekte von Kadawittfeld ist die Erweiterung des Dressurstadions, in dem Reitturniere und Weltmeisterschaften ausgetragen werden, nur drei Kilometer vom Aachener Büro entfernt. Auf der Wind-und-Wetter-Seite des Stadions entstand eine neue überdachte Tribüne, die sich wie ein weißer Winkel über das Sportfeld schiebt. »Die Metapher des Wettbewerbs passt gut zu unserer Disziplin als Gestalter einer gebauten Umwelt«, sagt Gerhard Wittfeld, der im Büro sogar eine eigene Abteilung für Nachhaltigkeit betreibt. »Denn eine riesengroße Aufgabe steht uns noch bevor: Wir müssen es schaffen, die schöne Welt des Bauens mit den Anforderungen an einen nachhaltigen Umgang mit Material, Energie und Grund und Boden in Einklang zu bringen. Um ehrlich zu sein, haben wir alle dafür noch keine passende Lösung gefunden.«

Dressurstadion, Aachen: Architektur an der Schnittstelle zwischen Pflicht und Kür: Das bestehende Stadion für Dressurreiten wurde um eine neue überdachte Tribüne erweitert. chioaachen.de

(c) Andreas Horsky

Erschienen in:

Falstaff LIVING 04/2024

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