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Umstrittene Delikatesse: Politiker, die Robben essen

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Robben sind niedlich, daher protestieren Tierschützer weltweit für ihren Schutz. Seehundjäger argumentieren, die wachsende Population drohe zur Plage zu werden. Sie wollen die Meeressäuger lieber auf dem Teller sehen.

Politiker gehören zweifellos zu den sonderbarsten Spezies dieses Planeten, was sie mit großer Regelmäßigkeit in Form bemerkenswerter Rufe unter Beweis stellen. Nehmen wir ein Beispiel aus Kanada. Im Februar dieses Jahres forderte Diane Lebouthillier, Minister for Fisheries, Oceans and the Coast Guard (auf Deutsch: Fischerei, Ozeane und die Küstenwache), ein Zuschnitt, den es wohl nur in Kanada gibt: »Wir haben ein neues Produkt, das wir vermarkten müssen: Robbenfleisch. Richtig zubereitet ist es köstlich.«

Erfreulich, dass damit ein neues Thema für diese Kolumne quasi auf dem Silbertablett serviert wurde. Und doch bezweifelte ich die Glaubwürdigkeit dessen, was ich während der Morgenlektüre erfahren hatte. Robbenfleisch? Wirklich? Dafür muss man die unheimlich süßen Tiere doch zuerst erlegen. Ich konnte mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass sich daraus noch irgendwo auf der Welt Kapital schlagen lassen würde. Schon gar nicht im fortschrittlichen Kanada.

Robbensafari auf Rügen

Aber das war wohl ein vorschnelles Urteil. Ich gebe zu, vor der Recherche wusste ich nicht viel über Robben – und ich muss vorwegnehmen: Was ich herausgefunden habe, hat meine Meinung über Männlichkeitsrituale nicht gerade verbessert. Unter einigen Grönländern gilt man nämlich erst als Mann, wenn man eine Robbe erlegt hat. Andere Länder, andere Sitten.

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Aber von Anfang an: Genau genommen ist die Bezeichnung »Robbe« nur ein Oberbegriff, der sich in Hundsrobben, Ohrenrobben und Walrosse aufgliedert, die sich wiederum in Seehunde, Seelöwen, Seebären, Mähnenrobben, Seeleoparden und viele Arten mehr unterteilen lassen. Vergleicht man die Leibesbeschaffenheit eines Menschen scherzhaft mit einer Robbe, so ist im Regelfall die massige Kegelrobbe gemeint. Zwischen ihren Jagdausflügen leben die meisten der fellbedeckten Meeressäuger in kleineren Gruppen an Land. Zur Paarungszeit bilden die Robbenmänner Harems von bis zu zehn Weibchen. Der Großteil der pelzigen Jäger ist in polaren und subpolaren Breiten beheimatet. Allerdings findet man sie auch im nördlichen Europa, also Dänemark, Finnland, Island, Norwegen und Schweden. Sogar in Deutschland gibt es inzwischen wieder einige Exemplare, die gesamte Nord- und Ostseeküste entlang, um genau zu sein. Eine von ihnen hat es sogar zum TV-Star gebracht. Die Insel Rügen, wo die ZDF-Vorabendserie »Hallo Robbie!« spielte, wirbt bis heute mit Robbensafaris, die man auf keinen Fall verpassen sollte.

Teil der nationalen DNA

Bis vor circa 150 Jahren waren Mensch und Robbe noch erbitterte Konkurrenten beim Fischfang. Hiesige Jäger bekamen für jedes erlegte Tier nach Vorlage seines Unterkiefers eine Prämie ausgezahlt. Dann ging ihre Population gefährlich zurück. Seit 1974 unterliegen Robben einer ganzjährigen Schonzeit, ihr Bestand erholte sich, was ein neues Problem nach sich zog: Je mehr Robben es gibt, desto mehr infizieren sich mit Parasiten und werden krank. In Deutschland gibt es ehrenamtliche Jäger, die Strände auf der Suche nach kranken Tieren ablaufen, um sie auf bestmögliche und schnelle Weise zu erlösen. Ahnungslose Passanten assoziieren das nicht selten fälschlicherweise mit den grausamen Bildern, die Felljäger erzeugen, wenn sie Robben mit einem Hakapik – einer Art Holzschläger, an dessen Spitze sich ein Metallhaken befindet – erschlagen, um das »weiche Gold« nicht durch Einschusslöcher zu entwerten.

Genau genommen ist die Bezeichnung »Robbe« nur ein Oberbegriff für mehrere Arten. Heimisch sind die Tiere im hohen Norden, aber 
auch in Deutschland. In Kanada landen sie auf dem Teller – gerne als Braten.
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Genau genommen ist die Bezeichnung »Robbe« nur ein Oberbegriff für mehrere Arten. Heimisch sind die Tiere im hohen Norden, aber auch in Deutschland. In Kanada landen sie auf dem Teller – gerne als Braten.

Heute gibt es weltweit nur noch ein einziges Zentrum für Robbenjagd: Kanada. Warum der nordamerikanische Staat das Töten der Tiere noch nicht beendet hat, dazu gibt es unterschiedliche Ansichten: Tierschützer klagen, die kommerzielle Robbenjagd in ihrer heutigen Form sei ein Entgegenkommen der kanadischen Regierung an die Fischereibetriebe, die von dem 1992 verhängten absoluten Fangverbot für Kabeljau noch immer stark gebeutelt sind. Gleichzeitig lenke die Politik damit vom eigenen Missmanagement ab, das die Überfischung der Kabeljau-Bestände überhaupt erst verursacht hatte. Andere Stimmen sagen, die Jagd bewahre das Land vor einer wahren Robbenplage, die wiederum die Kabeljau-Vorkommen noch weiter dezimieren würde. Und überhaupt sei die Jagd Bestandteil der nationalen DNA. Für die in Kanada und Grönland beheimateten Inuit war das Fleisch von Robben nämlich über Jahrhunderte das wichtigste Grundnahrungsmittel.

»Außergewöhnlich schmackhaft. Und sehr proteinreich«

Als die EU im Jahr 2010 ein Handelsverbot für Robbenerzeugnisse erließ, demonstrierte Kanadas politische Führungsriege auf besondere Weise Solidarität mit seinen Robbenjägern: mit einem festlichen Robben­essen. Die damalige Generalgouverneurin Michaëlle Jean legte sogar selbst das Messer an und schnitt ein Stück Fleisch aus einem Robbenkadaver, um es roh zu verspeisen – was sie mit den Worten »Außergewöhnlich schmackhaft. Und sehr proteinreich« kommentierte.

Bis heute müht sich Kanadas Regierung, das eisenhaltige Robbenfleisch als Superfood zu vermarkten, was Tierschützern erwartungsgemäß gar nicht schmeckt, aber dazu führt, dass immer mehr Köche – vor allem im französischen Teil des Landes – es als Delikatesse auf ihre Speisekarte setzen.

Wenn es also unbedingt Robbe sein muss, machen Sie es nicht wie Generalgouverneurin Jean. Sondern gehen Sie ins Restaurant und genießen Sie das Fleisch am besten als Braten, Tatar oder Suppe. Im Netz gibt es auf den einschlägigen kanadischen Portalen eine ganze Reihe Ausgehempfehlungen.

Lebensmittelkonsum und Moral

Deutschland-Chefredakteur Sebastian Späth schreibt ab sofort regelmäßig über umstrittene Delikatessen und unethisch gewonnene Lebensmittel, ihren Ursprung und Alternativen – ohne erhobenen Mahnfinger, dafür mit überraschenden Hintergründen und Perspektiven.


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Sebastian Späth
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