(c) bauchplan

Gürtel und Zweierlinie: Grünes anstatt Graues Wien

Das Büro bauchplan will die Zweierlinie und den Gürtel in Wien von Autobahnen in Klimaboulevards verwandeln. In ihren Projekten in Österreich und Deutschland zeigen sie, warum Städte dringend klimagerecht und CO2-neutral werden müssen – und wie das gehen kann.

17.05.2024 - By Maik Novotny

Titelbild: Mach den Gürtel locker: Zwischen Stadtbahnbögen und Fahrspuren ein richtig guter kilometerlanger Park – warum eigentlich nicht?

Sie haben es schon wieder getan. Gerade ein Jahr ist es her, dass die Pläne für den »Klimaboulevard« an der Zweierlinie durch die Medien gingen, jetzt lanciert das Büro bauchplan im bewährten Team mit Landschaftsplanerin Gisa Ruland und Verkehrsexperte Harald Frey die nächste Stufe seiner Begrünungsoffensive. Unter dem Titel »Gemma Gürtel 2030+« zeigen sie, dass der Umbau der mehrspurigen Autohölle zu einem lebenswerten Ort möglich ist. Dabei ist die Gruppe mit dem bauchigen Namen (für dessen Bedeutung es so viele Interpretationen wie Personen gibt) nicht auf polemische Schlagzeilen aus. Die Planer:innen mit Standorten in Wien, München und Köln sind ernsthaft bei der Sache, das merkt man im Gespräch mit Marie-Theres Okresek und Rupert Halbartschlager, zwei der vier Bauchplan-Partner:innen in ihrer vor Arbeit brummenden Fabriketage im Wiener Süden.

Wie kam es zur Idee, die Zweierlinie und den Gürtel zu begrünen?

Marie-Theres Okresek Man muss Straßen in Zukunft anders gestalten, weil wir in Zeiten der Klimaerwärmung und Hitzeinseln Freiflächen für Menschen brauchen. Es geht einfach nicht, dass wir 80 Prozent der Straßenbreite für Autos reservieren. Wir sehen an der Zweierlinie, dass es derzeit auch mit zwei Spuren funktioniert, ohne dass es anderswo zum Verkehrsinfarkt kommt. Wenn man am Gürtel phasenweise rückbaut, würde das auch dort funktionieren

Rupert Halbartschlager Dabei sind wir keine Autogegner, es geht uns schlicht um Gerechtigkeit. Wir wollten auch zeigen, wie eine übergreifende Stadtplanung aussehen kann. Denn in Wien wird zu oft nebeneinanderher gearbeitet.

Dabei ist oft von blau-grüner Infrastruktur die Rede. Was versteht man darunter?

Rupert Halbartschlager Es geht darum, Grünflächen als Netzwerk zu sehen, denn wir müssen die Stadt kühlen. Dafür gibt es nichts Besseres als einen Baum. Aber viele heutige Arten werden die kommenden Hitze- und Dürreperioden schwer überleben. Daher geht es darum, das Niederschlagswasser nach dem Schwammstadt-prinzip versickern zu lassen und nicht in den Kanal zu leiten.

Klima-Boulevard: Die Zweierlinie, die graue Schwester der Ringstraße, könnte zur Green Line werden, wenn es nach den Plänen von bauchplan, Gisa Ruland und Harald Frey geht.

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Farewell, Feinstaub! Unter dem Titel »Gemma Gürtel 2030+« schlagen bauchplan vor, die lärmige Wiener Stadtautobahn in eine grüne Infrastruktur zu verwandeln.

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Sie planen in Österreich und in Deutschland im großen Maßstab. Gibt es Unterschiede?

Marie-Theres Okresek Allerdings. Nur ein Beispiel: Wir schätzen es, dass die Planungsbeamten in Deutschland sehr gut ausgebildet sind und man auf Augenhöhe kommunizieren kann. Für richtige Stadtplanung ist das elementar. Auch ist man dort schon weiter bei der Etablierung einer Umbaukultur.

Das bedeutet Erhalt statt Abriss und Neubau?

Marie-Theres Okresek Genau. In Ulm haben wir soeben einen Wettbewerb gewonnen, bei dem wir ein Einkaufszentrum in ein Quartier umbauen und dabei möglichst viel vom Bestand erhalten. Das, was wir abbrechen müssen, wird teilweise für die Gestaltung der Grünflächen verwendet, dadurch ergibt sich eine ganz neue Ästhetik. Wir müssen in Kreisläufen und CO2-Bilanzen denken,
und zwar schnell.

Rupert Halbartschlager Wir haben 2022 einer Publikation den Titel ACT NOW! gegeben, weil wir nicht mehr warten dürfen, bis jemand anderes anfängt, wir müssen alle sofort loslegen und das Bauen klimaneutral machen. Das ist eine riesige Aufgabe, und es ist die wichtigste.

»Es geht einfach nicht, dass wir 80 Prozent der Straßenbreite für Autos reservieren. Wir sehen an der Zweierlinie, dass es derzeit auch mit zwei Spuren funktioniert, ohne dass es anderswo zum Verkehrsinfarkt kommt.« Marie-Theres Okresek, Partnerin bei bauchplan

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»Es geht darum, Grünflächen als Netzwerk zu sehen, denn wir müssen die Stadt kühlen. Dafür gibt es nichts Besseres als einen Baum.«, Rupert Halbartschlager, Partner bei bauchplan

Erschienen in:

Falstaff LIVING 02/2024

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