© Sarah Beth Turner

Will Guidara: »Manchmal muss man sein Ego vor der Tür lassen«

Will Guidara, ehemaliger Co-Eigentümer des einst besten Restaurants der Welt, enthüllt in seinem Buch »Unvernünftige Gastfreundschaft« das Geheimnis seines Erfolgs. Im Interview erklärt er außerdem, welche Rolle ein Plüschteddy und ein Hotdog dabei gespielt haben, warum Unvernunft nicht nur im beruflichen Kontext wichtig ist – und warum wir unvernünftig sein sollen, besonders wenn es um Menschen geht.

Dank Will Guidara wurde das New Yorker Restaurant »Eleven Madison Park« im Jahr 2017 zum besten Restaurant der Welt gekürt. Es war lange Zeit der Hotspot der Millionenmetropole, und es war nahezu unmöglich, einen Tisch zu ergattern. Sowohl die Reservierungen als auch die Bewerbungen häuften sich – alle wollten in dem Restaurant essen oder arbeiten, wo Spitzengastronomie auf ein neues Level gehoben wurde. Auch Chefkoch Daniel Humm trug seinen Teil dazu bei, aber das eigentliche Erlebnis war das Ergebnis von Will Guidaras Ideen.

In seinem Buch »Unvernünftige Gastfreundschaft«, das am 6. April auf Deutsch erschien, enthüllt Guidara genau diese Ideen und Geheimnisse, die das »Eleven Madison Park« zu einem Drei-Sterne-Restaurant und zur Nummer eins der The World's 50 Best Restaurants machten. 2019 entschied sich Guidara, eigene Wege zu gehen und gründete eine Agentur. Er nutzt seine radikale Neuerfindung der Gastfreundschaft nun, um Unternehmen in Fragen der Kundenzufriedenheit zu beraten.

Falstaff: Herr Guidara, in ihrem Buch »Unvernünftige Gastfreundschaft« erzählen Sie von einer Gastfreundschaft, die weit über die Erwartung des Gastes hinausgeht. Wie kamen sie darauf?

Will Guidara: Ich wollte schon lange ein Buch schreiben. Nachdem ich meine Restaurants verkauft habe und kurz darauf die Corona-Pandemie ausbrach, war das der perfekte Zeitpunkt. Ich fühlte, dass ich den Weg, den ich zuvor gegangen war, erneut durchleben musste, um herauszufinden, welchen Weg ich als nächstes einschlagen sollte. Wie mein Vater immer sagt, lernt man am besten, wenn man lehrt. Ich dachte, dass es auch für mich von Vorteil wäre, wenn ich alle Lektionen, die ich gelernt habe, aufschreibe, um sie besser verkörpern zu können. Es wurde mehr als das.

Inwiefern?

Egal in welcher Branche man tätig ist, jeder kann sich für Gastfreundschaft entscheiden, indem man zielstrebig, entschlossen und unerbittlich danach strebt, dass sich Menschen wohlfühlen. Viele erfolgreiche Menschen tun dies bereits. Sie sind unvernünftig in ihrem Streben nach dem, was sie erschaffen oder tun. Das ist der Kern der unvernünftigen Gastfreundschaft: bereit zu sein, alles zu tun, was nötig ist, um die Menschen zu erreichen. Mit dem Buch will ich eigentlich nur sagen: Wir dürfen auch unvernünftig sein, wenn es um Menschen geht.

Können Sie ein Beispiel für unvernünftigen Service geben, der über das Übliche hinausgeht?

Service und Gastfreundschaft sind nicht dasselbe. Service ist ein Teil des Produkts. In einem Restaurant bedeutet Service, den richtigen Teller mit dem richtigen Essen zur richtigen Zeit an die richtige Person zu bringen. Es geht darum, Bestellungen aufzunehmen, Fehler zu vermeiden und das grundlegende Versprechen zu erfüllen, das man dem Kunden gegeben hat.

 

Es sind oft die kleinen Gesten, die den Unterschied machen.

 

Und Gastfreundschaft?

Gastfreundschaft bedeutet, mehr Zeit und Energie zu investieren, die notwendig sind, um den Menschen das Gefühl zu geben, dass es mehr als nur ein Dienst ist. In unserem Restaurant gab es eine Position, die wir den »Dreamweaver« nannten. Die Aufgabe dieser Person bestand darin, Ideen zum Leben zu erwecken und dem Erlebnis eine persönliche und bedeutsame Note zu verleihen.

Wie sieht unvernünftige Gastfreundschaft nun konkret aus?

Es sind oft die kleinen Gesten, die den Unterschied machen. Wir hatten mal einen Gast aus Los Angeles, er war geschäftlich in New York, und erwähnte beiläufig, dass er nach dem Essen direkt zum Flughafen müsse und keine Zeit mehr hätte, seiner Tochter das spezielle Mitbringsel zu besorgen, das sie sich gewünscht hatte. Sie würde enttäuscht sein, sagte er. Der Dreamweaver hat daraufhin den gewünschten Plüschteddy mit dem berühmten »I Love New York«-T-Shirt organisiert und dem Gast am Ende übergeben. Er war überwältigt. Es ist genau solch eine unvernünftige Gastfreundschaft, die den Unterschied macht.

Das ist ein außergewöhnliches Talent. Ist (unvernünftige) Gastfreundschaft etwas, das angeboren ist, oder kann es erlernt werden?

Man muss nur aufmerksam genug sein, zuhören und vielleicht auch Gelegenheiten nutzen, Regeln zu brechen, um jemandem das Gefühl zu geben, in diesem Moment gesehen und geschätzt zu werden.

Stichwort Regeln brechen: Ihr Buch diente als Inspirationsquelle für die siebte Folge der zweiten Staffel von »The Bear«, in der anstelle eines Hotdogs eine Pizza von außerhalb in einem Sternerestaurant serviert wurde. Wie wichtig ist das Essen für die unvernünftige Gastfreundschaft?

Es gibt dazu ein passendes Zitat von Maya Angelou: »Die Menschen werden vergessen, was Du gesagt hast. Die Menschen werden vergessen, was Du getan hast. Aber die Menschen werden nie vergessen, was sie bei Dir gefühlt haben.« An viele großartige Mahlzeiten, die ich hatte – und ich bin sicher, dass es vielen Menschen genauso geht – erinnere ich mich nicht. Aber ich erinnere mich an das Gefühl, das ich hatte, als ich das Restaurant verlassen habe.

@vaynerspeakers The Story Behind S2E7 of @fxnetworks's The Bear: Will Guidara's Unreasonable Hospitality. 👀 The original story involves @Will serving an NYC street hot dog to a table of out-of-town diners at his four-star restaurant, fearful they didn't experience all New York had to offer. This might sound like a crazy idea but when you realize you're not just serving food but creating memories, unreasonable hospitality begins to take form. FX used this unbelievable story and adapted it for their hit show "The Bear" for the world to see! Bravo Will! 🥳 👏 #customerexperience#hospitalityindustry#hospitality#tedtalk#customerservice ♬ original sound - VaynerSpeakers

Welche Rolle spielt dann noch die Küche?

Ein Restaurant funktioniert nur durch Essen (lacht). Die Köche müssen jedoch verstehen, dass das Erlebnis, das sie den Gästen bieten, wichtiger ist als jedes Gericht auf dem Teller.  Spontan einen Hotdog von einem Imbissstand zu servieren, nur weil der Gast es nebenbei erwähnt hat, funktioniert nicht, wenn die Küche nicht mitspielt. Das erfordert ein gewisses Maß an Reife von einem Koch, um zu erkennen, dass es nicht darum geht, das zu servieren, was man servieren möchte, sondern das, was den Menschen am meisten Freude bereitet. Die Küche und der Speisesaal sind Partner. Wenn nicht beide an die Idee glauben, wird sie niemals gut. Und manchmal muss man dafür sein Ego vor der Tür lassen.

Stimmen Sie dem Sprichwort zu, dass der Kunde oder Gast König ist, oder gibt es Ihrer Meinung nach auch Grenzen für den Gast?

Großartige Gastfreundschaft ist ein Dialog, kein Monolog. Es ist ein Austausch, der auf Respekt und Wertschätzung beruht. Zugegeben, das Restaurant oder das Unternehmen ist derjenige, der die Führung übernimmt. Aber ich glaube nicht, dass der Gast immer Recht hat.

»Unvenünftige Gastfreundschaft« ist nicht nur auf die Gastronomie beschränkt, sondern kann auch auf andere Branchen oder sogar auf das Privatleben angewendet werden. Inwiefern?

Es gibt sehr wenige Menschen, die nicht in irgendeiner Form für andere Menschen arbeiten. Verkaufen Sie Versicherungen? Sind Sie in der Beratung tätig? Vermieten Sie Autos? Arbeiten Sie in einer Apotheke oder einem Lebensmittelgeschäft? Wir verkaufen den Leuten vielleicht unterschiedliche Dinge, aber wir sind alle im Dienste anderer Menschen tätig. Und wenn wir uns entscheiden, uns bewusst und kreativ um diese Menschen zu kümmern, können wir Ungewöhnliches bewirken. Nicht nur für unsere Kunden, sondern auch für uns selbst. Für mich persönlich gibt es nichts Erfüllenderes, als anderen Menschen sichtbar Freude zu bereiten. Wenn wir etwas mehr Dankbarkeit und Anerkennung in unseren Alltag integrieren würden, glaube ich, dass wir selbst mehr Energie haben und glücklicher sind.

Unvernünftige Gastfreundschaft: Die bemerkenswerte Kunst, Menschen mehr zu geben, als sie erwarten
Will Guidara
352 Seiten
Hardcover, 21,4/15,8/3,5 cm
28,00 Euro
ISBN 978-3-96584-376-9


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Anna Wender
Anna Wender
Redakteurin
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